Was Adrien Naber, der sein Projekt Journey of Taro nennt, auf seiner LP “Gamelan Sketches” herausbringt, ist ein vielschichtiges musikalisches Palimpsest, dem nicht nur alte Traditionen, sondern auch die Mitwirkung zahlreicher Personen zugrunde liegt. Naber reiste in der Vergangenheit mehrfach nach Indonesien, um auf verschiedenen Inseln die lokalen Ausprägungen der Gamelan-Musik zu erforschen und aufzunehmen. Später unterzog er eine Auswahl des vermutlich enormen Corpus einer Überarbeitung, die der Musik in unterschiedlichen Graden einen zeitgenössisch-elektronischen Anstrich gab.
Gamelan, soviel hier nur dazu, ist im eigentlichen Sinne kein Musikstil, sondern die Bezeichnung für typische Ensembles an Instrumenten in der Musik, die seit Jahrhunderten auf Java, Bali und anderen Inseln des indonesischen Archipels bei vielen sakralen und profanen Anlässen gespielt wird. Für den Rhythmus werden primär metallene Instrumente wie Gongs und diverse Verwandte von Xylophonen eingesetzt, meist in Variationen repetitiver Grundmuster. Solisten an Flöten und anderen Instrumenten und gelegentlich auch Gesang sind für die Melodien zuständig. Musik in der Tradition der Gamelan-Ensembles hielt im zwanzigsten Jahrhundert Einzug in den westlichen Kanon, besonders stark erstmals im Rahmen der Minimal Music.
Trotz unterschiedlicher oder unterschiedlich deutlicher Grade an Überarbeitung wird die Musik auf “Gamelan Sketches” von einem roten Faden zusammengehalten, denn Journey of Taro ordnet die einzelnen Skizzen offenbar nach einem nachvollziehbaren Narrativ an. Die erste der sechs Skizzen beginnt recht bedächtig und erinnert trotz seiner Halleffekte und Obertöne noch stark an das, was man sich unter dem traditionellen Ausgangsmaterial vorstellen könnte. Die meist hellen Sounds und die entspannte Heiterkeit der Tonfolgen sorgen für einen eingängigen Auftakt.
Kleine kratzige Überraschungen häufen sich allerdings im Laufe des Albums, unterstützt von immer häufigerem Klingeln und Rumpeln, das nie in erwarteten Momenten auf den Plan tritt, und das Zusammenspiel von aufgeweckt rasseligen Takten und hallenden Räumen scheint den repetitiven Charakter der Musik noch mehr zu unterstreichen. Die verspieltesten momente warten auf der zweiten Seite mit rauschender Distortion, Raumklangeffekten und rückwärts abgespielten Parts nur so um sich wirft, und “Sketch Nr. 4″ ist meine Anspieltipp für den Tanzabend der Marionetten.
Naber zufolge verschmolz der Eindruck der indonesischen Musik mit Tracks von Grime- und Dubstep-Künstlern wie Amon Tobin, Digital Mystikz oder Vex’d, die er während seiner Reise häufig hörte. In den fertigen “Gamelan Sketches” zeichnet sich das durchaus ab, und mit ihrer niemals linearen Schichtung aus zitiertem und bearbeitetem Material bereichern die die bisweilen aggressiv geführte Diskussion über interkulturellen Transfer mit ebenso interessantem Stoff wie Carlos Casas mit seinem jüngst veröffentlichten “Kamana”-Album. (U.S.)
Label: Vrystaete / Enfant Terrible