NATURA MORTA: Diotima

María Mallol Moya, die unter dem Namen Natura Morta oder Naturamorta auftritt, gehört zu den Künstlern, die es nicht übermäßig eilig mit ihren Soloarbeiten haben, und erfahrungsgemäß kann dies für ganz unterschiedliche Haltungen stehen. Oft ist es eine verquere Mischung aus Geduld, Schüchternheit, Perfektionismus und der Überzeugung, nicht jeden nennenswerten musikalischen Einfall unter die Leute bringen zu müssen. Vielleicht spielt bei Natura Morta etwas von all diesen Gründen eine Rolle, nur eines ist auszuschließen, nämlich ein Mangel an kreativen Ideen.

Schon auf ihrem ersten Songbeitrag “No wine, no life, no bread” auf einer Compilation auf Hyla Tapes überraschte sie nicht nur mit einem ordentlichen Panorama an Soundquellen von Spoken Words über Feldaufnahmen bis hin zu akustischen Instrumenten, sondern auch mit einer soliden Bandbreite vom traditionellen und progressiven Einflüssen. Auch hat sie in den letzten Jahren immer wieder an Bands und Kollaborationen mitgewirkt, auch hier ist sie nie auf ein Genre festgelegt. Jüngst steuerte sie Gesang zu Rosacroces furiosem “Tropico del pianto”-Album bei.

Das Songmaterial zu ihrem nach einer weisen Seherin und Verkünderin der “platonischen” Liebe benannten Longplayer, dem auf Tape und digital erscheinenden “Diotima”, entstand nach und nach in den letzten Jahren, und man merkt der Musik die vielen Einflüsse, die in einer solchen Zeit notgedrungen an die Tür klopfen, deutlich an. Das Album eröffnet mit fein produzierter, rhythmisch pulsierender Elektronik und einem in der Luft schwebenden, fast etherischen Gesang – eine Mixtur, bei der eine gewisse Rauheit nicht im Widerspruch zum Intrikaten stehen muss. Man begegnet dem im Verlauf an weiteren Stellen: In “Head (Abyssm)” bewirkt die gleichermaßen organisch und meachanisch wirkende Soundtextur die irritierende Aura eines untoten Wesens, was vielleicht ganz gut zum Projektnamen passt. Im Vergleich dazu wirken vom Schwerpunkt her akustischere Stücke wie “The Second After the Big Bang” oder “When the Devil Comes” nahezu idyllisch. Letzteres ist ein fantastisches totentanzartiges Lullaby, von dem einige Dark Folk-Finsterlinge nur träumen können. “The Party Where I Play Dead” wäre die perfekte, auf Zehenspitzen daherkommende Post Altamont-Hymne. Natura Morta beherrscht die Kunst der Rückgriffe im populärkulturellen Warenhaus perfekt, wahrscheinlich ganz ohne es zu beabsischtigen.

Ein weiteres Merkmal fast aller Songs ist eine gewisse Tendenz ins Hörspielhafte, bei denen – wie im Titelstück – Piano, Rezitation und die Geräusche der Natur oft die wesentlichen Komponenten sind, Grillen und Zikaden verdienen ein Extra-Credit. In den verwunschenen Soundscapes von “Bosson du Higgs” entsteht aus wie zufällig mitgeschnittenen Gesprächsfetzen, stimmungsvollen Klavierparts und wie verlangsamte Peitschenhiebe kreisenden Loops eine spannungsgeladene Atmosphäre, die schwer zu charakterisieren ist. “Blood is (Eternal) Life” wirkt mit seinen leidgetränkten Sprach- und Flüster-Vocals vor einer verhuschten Soundkulisse wie ein in Zeitlupe stattfindender Trip in eine Unterwelt, die der eigenen Blutkreislauf sein könnte. In “Anahi” erwacht eine verhexte und von Unkraut überwucherte Welt aus einem langen Dornröschenschlaf, und wer hinter den amnutigen Klavierparts den (eventuell nur aus Flüstern erzeugten?) Lärm auszumachen versteht, ahnt, welch gewaltvoller Vorgang das ist.

“Diotima” ist ein reichhaltiges Debüt. Es ist um einiges runder und trotz Momenten der Verzerrtheit harmonischer und unkantiger ausgefallen als Natura Mortas erster Samplerbeitrag, und letztlich illustriert dies nur, wie vielfältig das Potential der Künstlerin ist. Wäre schön, wenn das nächste Album trotzdem nicht ganz so lange auf sich warten lässt. (U.S.)

Label: Chiærichetti Æditore Ræcordings