Wenn es an den berühmten Steel Cellos und Bow Chimes, die der im vorigen Jahr verstorbene Bob Rutman und seine Weggefährten seit den späten 60er Jahren in New York quasi erfunden und seitdem immer weiterentwickelt haben, etwas besonders interessantes gibt, dann ist es außer ihrem originellen Klang und den darin liegenden Möglichkeiten auch die Tatsache, dass man anhand dieser Geräte einiges über die Geschichte von Musikinstrumenten lernen kann – “zweckentfremdete” Gegenstände und Materialien, die sich irgendwann in der Rolle von Klangerzeugern wiederfanden, stehen vermutlich am Anfang der meisten, wenn nicht gar aller Instrumente, da man vermutlich stets zufällig auf deren Sound und dessen Potenzial aufmerksam wurde.
Man passte die Art, wie die neuen Instrumente gebaut wurden und letztlich klangen, bereits vorhandenen ästhetischen Parametern an, und konnten sie sich etablieren, richtete sich die Musik künftig nach ihnen. Ob aus einer so ge- und erfundenen Klangquelle eine lange Tradition mit Platz im klassischen Musikkanon wird oder ob ein neu entwickeltes Instrument schnell wieder in Vergessenheit gerät (oder als kurioses Artefakt in die Geschichte eingeht), hat immer mehrere Gründe. Einer davon ist sicher die Attraktivität eines kulturübergreifend mit Wohlklang assoziierten Sounds, ein weiterer der Zufall. Schön ist, dass es zwischen etabliert und randständig ja noch eine ganze Welt an Zwischenstufen gibt.
Wie sehr sich das Stahlcello etablieren wird, das anfangs beinahe als eine Art Nebenprodukt entstand, ist noch offen. Rutman entwickelte Vorläufer dieser Instrumente zunächst für ein Theaterstück, bei dem sie noch halbe Requisiten waren, und auch in seinem frühen Ensemble, der Central Maine Power Music Company, gerieten sie noch ins Hintertreffen gegenüber konventionelle(re)n Klangerzeugern. Doch die Idee der auf Stahl basierenden Streichinstrumente, bei denen verschieden dünne und lange Stangen unterschiedliche Schwingungen erzeugen und große, leicht gekrümmte Stahlplatten als Resonnanzkörper dienen, ließ Rutman nie los, und so entstand 1976 – und somit noch einige Jahre bevor von Punk und Industrial inspirierte Gruppen wie Test Dept., Officine Schwartz und natürlich die bekanntesten Berliner Krachfabrikanten dieser Ära den Klang des Stahls in ihre Musik integrieren sollten – das US Steel Cello Ensemble, in dem Rutman und Freunde einzig Steel Cello, Bow Chime und Buzz Chime verwendeten. Ein wesentliches Dokument: das 1989 erschienene und vor wenigen Jahren erneut veröffentlichte Album “Noise in the Library”.
Seitdem sind einige Jahrzehnte vergangen, und die Instrumente sind nun dabei, ihre kommende Geschichte unabhängig vom Schöpfer zu gestalten, und was für ihre Langlebigkeit sprechen sollte, ist auch ihr vielseitiger Klang: Das Steel Cello kann, wenn es will, wie ein konventionelles Cello klingen, oft jedoch erinnert es aufgrund seines Materials an ein Blasinstrument und manchmal hat es sogar Ähnlichkeit mit einer tief grummelnden menschlichen Stimme. Diese ganze Bandbreite kann man nun auf der CD “Beautiful Noise – The Sound of Bob Rutman” kennenlernen, auf der einige live eingespielte Tracks des Meisters aus den vergangenen anderthalb Jahrzehnten, oft zusammen mit befreundeten Musikern, enthalten sind und die wie eine Art Summa seines Oeuvres konzipiert ist.
Das eröffnende “Dresden” beginnt als fast zaghaftes, eher sanft gleitendes Auf und Ab an metallischen Sounds, was sich aber als Ruhe vor dem Sturm bzw vor einer enormen Schuttlawine herausstellt, die in ein tiefes Tal prasselt. Dass Rutman auch ein großer Entertainer war, zeigt sich im zusammen mit Bernd Jestram eingespielten vokallastigen “Slow Boat to China”, einer improvisiert wirkenden Jazzballade über das Festhalten und Loslassen menschlicher Verbundenheit, in der auch der Humor und die Leichtigkeit nicht zu kurz kommen. Das Boot fährt durch raue Gewässer in Form räudigen Lärms und weiter über ruhig tremolierende See, ein “Stiller” Ozean sozusagen. Im zusammen mit Jestram und Rex Joswig eingespielten “Yellow Ghosts” offenbart sich eine Seite des Steel Cello, die immer wieder und verständlicherweise mit Gesang verwechselt wird und an die bekannten – brummenden – tibetische Ritualgesänge erinnert, und die später von zahlreichen Bands (Phurpa beispielsweise, aber auch frühe Current 93 in einigen Stücken) tatsächlich mit der Stimme umgesetzt wurde. Neben dem elektrisierenden Brummen und dem wellenförmigen Auf und Ab der höheren Frequenzen ist hier auch tatsächlicher Gesang Bobs zu hören, ekstatisch und klagend, wie bei einem Stück, in dem es um alles geht.
Über jeden Track auf “Beautiful Noise” gäbe es einiges zu sagen, aber ich will an dieser Stelle nicht zu viel vorweg nehmen – das Urwüchsige und Unregelmäßige im “Steel Cello Solo” mit seinen zahlreichen Wendungen in Richtung, Tonhöhe und Gangart, der mit einem zotigen Gedicht beginnende Exkurs in seine Biografie im summenden “Short Cuts on Buzzing”, der gebrochene und gerade deshalb so exzessive Vortrag der bekannten Broadwayballade “My Funny Valentine” machen das Album zu einem vielgestaltigen Erlebnis.
Die vielleicht dramatischsten Momente gibt es in den beiden Stücken zum Ende der Sammlung: Düstergrollendes Stahlcello, spannungsgeladene Percussion und Bobs diesmal geradezu martialische Shouts erzählen im zusammen mit Zam Johnson aufgeführten “Little Big Horn” – wahrscheinlich – die Geschichte des letzten Sieges amerikanischer Ureinwohner gegen die US-Kavallerie am Fluss, der dem Stück seinen Namen gab. Bedächtiger, getragener beginnt das schlicht “Duet” genannte Stück mit Wolfrym Spyra, doch auch hier grollt es bald aus Abgründen. Tibetisch anmutendes stählernes Brummen setzt wieder ein und konterkariert wunderbar melodischen, wortlosen Gesang. Im letzten Drittel des Stücks ändert sich das Soundgebilde noch einmal komplett, alles schwebt empor, bis sich zum Schluss alles setzt. Die letzten Augenblicke gelten dem Applaus für Bob Rutman.
Ein Wunschtraum, den der Künstler bereits 1989 in einem Interview äußerte, war, “ein Orchester aus hundert Steel Cellos und Buzz Chimes und Bow Chimes zu haben, die zusammen einen riesigen, horrenden Lärm machen”. Sollte die CD einmal in die Hände eines wagemutigen Dirigenten oder Intendanten geraten, der so etwas umsetzt, dann wäre das eine von vielen passenden Möglichkeiten, wie das Erbe Rutmans in Zukunft weiterleben könnte. (U.S.)
Label: Moloko+