RUBIN HENKEL: Restless

Rubin Henkels Musik drehte sich immer in der einen oder anderen Weise um Erinnerung. Auf seinem Debüt “Ruhe” aus dem Jahr 2018 verknüpfe der als Pianist und Soundtrackkomponist bekannte Musiker einige der ersten Melodien, die er als Kind mit einfachem Gerät aufnahm, zu einem anrührenden Mosaik aus kunstliedhaften Details. Auf seinem neuen Album “Restless” arbeitet er erstmals im größeren Stil mit den Erinnerungen einer anderen Person.

Während der Pandemie verbrachte Henkel viel Zeit mit seinem Vater, dem in Kanada geborenen Fotografen Philip Pocock, der in den frühen 80ern einige Zeit in Westberlin verbrachte und dort Kontakt zur Subkultur der Punks aufnahm. Aus dieser Zeit stammten auch die Fotos, die sein Vater meist von Straßenszenen gemacht hatte und die dem Musiker einen ganz neuen Horizont eröffneten – dies allerdings nicht im üblichen Sinne des Wortes, denn Henkel erkannte schnell Parallelen zur eigenen Erfahrungswelt und der von Rastlosigkeit geprägten kollektiven Erinnerungen seiner eigenen Generation. Vielleicht war dies der Initialfunke, der ein neues Album entstehen ließ, jedenfalls kam recht bald ein künstlerischer Dialog mit dem Werk seines Vaters in Gang, dessen Ergebnis die musikalische Interpretation von zwölf ausgewählten Fotografien ist.

Das Album startet mit feierlichen Tonfolgen auf dem Klavier, die zunächst eher an einen schwermütigen Abspann als an einen Auftakt namens “A Future” erinnern mögen, doch gerade solchen Brechungen geben der Musik eine Ambiguität, die der der Bilder recht nahe kommt. Ähnliches könnte man auch über das Knistern und anderen dezente Sounds sagen, die die Klänge des Pianos fast wie sanfte kleine Störfaktoren umhüllen, und man könnte in ihnen eine Kulisse oder eine Umgebung sehen, in der sich die zentralen Motive ereignen. Vieles in dieser Musik kommuniziert über etwas so vages wie Stimmung: “Ruhelos” transportiert mit seiner unruhig fließenden Melodie die mollastige Aufgekratztheit, an die man beim Titel denken mag. Um einiges zaghafter tastet sich “Postman” voran, und stets wirken die leicht rasselnden Sounds wie das klangliche Pendant zu der sich ins Bild drängenden Bewegung bei bewusst aus dem Alltag gegriffenen Schnappschüssen, und sie bewahren die schönen Melodien vor einem allzu illusorischen Eskapismus.

Jedes Stück offenbart gerade beim wiederholten Hören seine eigenen Charakteristiken und verdient Hervorhebung. “Bi” mit der eher frei als unschlüssig wirkenden Veränderlichkeit des Tempos, die leise, vielleicht genügsam-abgeklärte Resignation in “This is the Wall”, das leise, an eine aufmerksame Habachtstellung erinnernde Stakkato in “In Regard”, eine ungeschminkte Studie über die verschiedenen Ebenen des Beobachtens und Aufnehmens seiner Mitmenschen, bei deren musikalischem Gegenstück die klangliche Gestaltung im Vergleich zum Piano einen größeren Stellenwert bekommt. Dann die Entrücktheit in “Light and Day”, der finale ambiente Gegenzoom in “Hello Yello” und einiges mehr. Dennoch lässt sich “Restless” am besten als Einheit genießen, als zusammenhängendes Eintauchen in eine beinahe luzide erinnerte Welt, die sich auch ohne die inspirierenden Fotografien heraufbeschwören lässt.

Auf “Restless” werden die Erinnerungen – und Erinnerungsstützen – des Vaters derart mit vom eigenen Gedächtnis erzeugten Ideen zu einer dokumentierenden und ästhetischen Einheit verknüpft, dass sich die Frage nach der Abgrenzbarkeit eigener und fremder Erinnerung fast automatisch stellt und vielleicht notgedrungen unbeantwortet bleiben muss. In einer limitierten Auflage kann ein Booklet mit den ausgewählten Fotografien und den dazugehörenden Song-Partituren über Henkels Bandcamp-Seite bestellt werden. (U.S.)

Label: 7K!