BALDRUIN: Kleine Freuden

Fast haben sie etwas von einer Enzyklopädie en miniature, die “Kleinen Freuden” von Baldruin – ein Name, der vielleicht auf Baldrian und Balduin anspielt, garantiert aber den baldigen Ruin verkündet und das Klangkunstprojekt des Künstlers und Ambient-Poltergeistes Johannes Schebler ziert, der außerdem noch in den Combos Grykë Pyje und Freundliche Kreisel mitwirkt. “Kleine Freuden” enthält ganze 34 Stücke mit assoziationsreichen (und bisweilen schalkhaft verspielten) Titeln, deren längstes eine Spieldauer von 1.20 Minuten hat und die es immer wieder schaffen, einen schon in dieser kurzen Zeit zu bannen und ganz in die jeweilige Miniaturwelt zu ziehen.

Die kleine Szenarien offenbaren alle ihre eigenen Wesenszüge und Stimmungsbilder, dennoch zeichnen sich mit der Zeit gemeinsame Tendenzen ab, die dem ganzen einen erkennbaren Rahmen geben: Helle, silbrig-ambiente Dröhnung bildet oft das Fundament für ausnehmend schöne Melodiefragmente auf Synthies ebenso wie auf den unterschiedlichsten klassischen Instrumenten, man meint Akkordeon, Piano und Streicher zu hören. Mit ihren Reminiszenzen an mittelalterliche und sonstige Alte Musik lassen diese Melodien eine märchenhafte Atmosphäre entstehen, die durch Spieluhren und ähnliches noch untermauert wird.

Das kann im Einzelfall eine halbdunkle Entspanntheit induzieren, doch sind aufgeweckte und aufwühlende Momente keineswegs selten. Rasseln und Handdrums können wie in “Taumel” einen geheimnisvollen und vom Klang her “gedubbten” Ritualismus evozieren. In manchen Momenten scheint aber auch Gefahr im Verzug, wenn monumentale Elektronik die Pferde scheu macht oder – wie in “Schon wieder erleuchtet” – als dystopisch anmutender Maschinenlärm aus tiefen Kellern empordringt. Mysteriöse Schritte und undeutliche, teils geflüsterte Stimmen tun ihr übriges, und doch sind die Szenen nie frei von Wohlklängen und euphorischen Harmonien. Die im Titel genannten Freuden indes sind frei nach William Blakes Sprichwörtern der Hölle stets solche, die nicht lachen.

Manch einer würde sich das eine oder andere Stück länger wünschen, und auch der Rezensent hat dieses Problem bei manchen Tracks durch die Dauerschleife notdürftig gelöst. Das waren beispielsweise “Mach die Augen zu”, wo einfachste, tremolierende Tonfolgen eine Entrücktheit erzeugen, für die andere eine halbe LP-Seite gebraucht hätten. Ferner “Verstimmt” mit seiner leicht orientalisierenden Sci Fi-Orgel oder “Stille Nacht” mit seinen aquatischen, von Froschquaken oder ähnlichem durchzogenen Sounds.

All dem zum Trotz hat man doch bei mehr oder weniger allen Stücken den Eindruck, für wenige Augenblicke in eine in sich vollständige Welt zu tauchen, statt eine Skizze – oder schlimmer: eine schlichte Präsentation von Motiven – zu hören. In genau diesem Sinne ist “Kleine Freuden” eine perfekte Platte für die besinnliche Zeit. (U.S.)

Label: Mappa Editions