FATIMA AL QADIRI: Gumar

Über die Symbolik des Mondes könnte man ganze Bibliotheken füllen. Das Metzler Lexikon literarischer Symbole beschreibt ihn einleitend als “Symbol der ständigen Erneuerung, der Nacht, der Freundlichkeit, der göttl. Ordnung, der Liebe, des Trostes, des Bösen und Fremden sowie der Dichtung” und deutet schon damit auf seine vielseitige, bisweilen arbiträr wirkende Bildlichkeit.

Etwas schwer greifbar “Linkshändiges”, das sowohl mit Rausch und Leidenschaft, als auch mit verzweifelten Gefühlen verknüpft sein kann, zeichnet sich aber wie ein vager roter Faden ab, wenn man tiefer in die Materie dringt. In Marc Almonds mehrwürdig bilingual betiteltem Song “Madame de la Luna” wird der “dilirious moon” zum Symbol des Außer-sich-Seins in verschiedener Form, zu einem bittersüßen Opiat, das dem Wahn, der Hoffnung und der Todessehnsucht Nahrung gibt. Das freilich sind – auch im Fall des erwähnten Lexikonartikels – Beispiele aus dem westlichen Kulturraum, doch wenn man einen Blick über den entsprechenden Tellerrand wagt, könnte man vielleicht den Eindruck einer gewissen Universalität bekommen.

Auch die aus Kuweit stammende Musikerin Fatima Al Qadiri hat ihre neue 10″-EP nach dem Mond benannt, der im Arabischen oder zumindest in der Variante der Golfregion Gumar heißt. Gumar ist in dem Zusammenhang auch der Name einer Jugendfreundin der Künstlerin, die einen in der lokalen Tradition verwurzelten Klangegesang studiert hat und auf “Gumar” erstmals als Vokalistin mit Al Qadiri zusammenarbeitet. Auch wenn beide letztlich ganz unterschiedliche musikalische Wege eingeschlagen haben, verband sie doch eine gemeinsame Leidenschaft zu dieser Art des Singens, was nun endlich zu einem gemeinsamen Projekt geführt hat. Der Titel ist allerdings nicht nur eine Hommage an die Freundin, denn die symbolische Ambiguität des mysteriösen Erdtabanten ist auch in den wenigen Worten, die auf dieser Veröffentlichung ihren Raum haben, omnipräsent.

Allein in der musikalischen Form der vier Songs ist diese Ambiguität zwischen leidenschaftlicher Hingabe und einer tiefen Verzweiflung zu spüren. Der Gesang, der in jedem der Songs wie vom Wind verweht durch den Raum schwebt und doch immer klar und deutlich wahrzunehmen ist, und die vermutlich auf gut bearbeiteten Synthies basierende, vordergründig ambiente Musik bilden dabei eine miteinander halb verschmolzene Einheit, wobei man das Wort “halb” durchaus unterstreichen kann, denn beides hat immer deutliche eigene Konturen. Der Opener und Titelsong stimmt darauf ein mit orgelartigen Hintergrundsounds und einer niemals transparenten, sondern prachtvoll schwebenden Stimme, die in nur zwei mehrfach wiederholten Fragesätzen den Mond direkt aufruft und ihn sehnsuchtsvoll nach seinem Verbleiben fragt.

In “Fidetik” werden einfache melodische Tonfolgen wie Nebelwellen immer wieder in den Raum gestoßen, während der Gesang aus verschiedenen Richtungen des Raumes eine fast trancehafte Klage anstimmt. Auch all dies klingt, gleichwehl der Himmelkörper nicht direkt erwähnt wird, nach einer “moon music in the light of the moon”. Die wenigen Worte, die hier fallen, drücken absolute Hingabe aus. Ich lege mein Leben für dich nieder, heißt der einzige, stetig wiederholte Satz des Textes, und der Ausspruch wurde wohl traditionell als Ausdruck der Ergebenheit gegenüber einem Stammeshäuptling geäußert, metaphorisch allerdings ist er auch so etwas wie ein Ausdruck einer absolut hingebungsvollen Liebe. In regelmäßigen Abständen ertönen lautere, aufschreckende Sounds, doch auch ohne die hätte die Musik hier durchaus eine gewisse Wucht.

“Mojik” ist eine textlich ebenso knapp gehaltene Anrede an die Wellen, in denen das lyrische Ich ertrinkt. Dieses Stück lässt im Klang Erinnerungen an kosmische Musik und die elektronische Avantgarde der frühen 80er aufkommen, doch es ist in seinen lauten Dröhnwellen auch noch um einiges dramatischer als die vorangegangenen Stücke. “Meriem” greift eines der typischen Song- und Lyrikthemen der arabischen Tradition auf, die unerwiderte Liebe. “Warum hast du mich verlassen?”, erklingt es entsprechend auf arabisch, und wenn gegen Ende der Satz noch einmal mit einer verfremdeten, maskulin klingenden Stimme wiederholt wird, scheint das fast der Tatsache der geschlechterübergreifenden Universalität des Themas Rechnung zu tragen.

Der mitunter diffusen Ungreifbarkeit des Themas entspricht das durchgehend nur andeutungshafte Surfen auf Motiven und atmosphärischen Nuancen, das keineswegs die Ausdruckskraft schmälert, sondern diese vielmehr mit einer enormen Weite bereichert. Schade, dass kein Album daraus geworden ist. (U.S. )

Label: Hyperdub