Pulsierende Wellen kommen stetig näher, fließen über moosbewachsene Steine, sanft zunächst, aber ein stilles Wabern und Rumoren ist unter der Oberfläche zu hören, und fast meint man, dass auch leichte Kanten zu spüren sind. Mit der Zeit wird es lauter und über die Steigerung des Volumens scheint sich etwas anzuschleichen, das sich beinahe zu einer veritablen Brandung steigert. Schon im Präludium zu Safas “Hometown” wird deutlich, dass hier wenig linear verläuft. Immer wieder ereignen sich unerhörte Begebenheiten, verschwinden von der Bildfläche, um irgendwann wieder aufzutauchen. Die weibliche Stimme in abgehackten Sprach-Fragmenten ist nur eines der offensichtlicheren Details.
“Hometown” ist der ambient-elektronische Score zur gleichnamigen Video-Installation des niederländischen Kollektivs Metahaven, dessen visuelles Material vor sechs Jahren teils in Kiew, teils in Safas früherer Heimatstadt Beirut gedreht wurde. Der (dem Rezensenten nicht bekannte) Film, der im Zentrum der Arbeit steht, befasst sich laut Begleittext mit der Auswirkung sich verändernder Lebensbedingungen und Technologien auf die Befindlichkeit zweier Personen und auf deren Vorstellungen über ihre Orte und ihre Biografien: “Aus der Sicht zweier Protagonisten zeigt Hometown deren unsichere und verzerrte Beziehung zu geografischen Affinitäten und den intimen Erinnerungen, die in der Landschaft verankert sind” heißt es in den begleitenden Worten. “Die Originalpartitur entstand aus einem kontinuierlichen Austausch von Bildern, Skripten und Gedichten zwischen Safa und Metahaven und entwickelte sich zu einer klanglichen Gesamterzählung. Die Komposition beleuchtet den Kampf der Protagonisten, Zugang zur Erinnerung zu erhalten und sie gleichzeitig in ihren räumlichen und vernetzten Bedingungen zu verorten”. Veränderte Lebensbedingungen an verschiedenen Orten (in dem Fall im arabischen Sprachraum) standen auch im Fokus von Safas im vorigen Jahr erschienenen Album “Ibtihalat”, dessen auf verschiedenen traditionellen Formen rhythmischer Musik basierenden “retro-futuristischen” Tracks zumindest auf den ersten Eindruck eine ganz andere Welt entstehen lassen als die hier vorliegenden dunkel-melancholischen Soundscapes.
Mhamad Safa, der neben seiner musikalischen Laufbahn auch ein Architekturstudium abgeschlossen und sich so vielleicht zwei unterschiedliche Perspektiven auf das Phänomen Raum angeeignet hat, steuerte also nicht nur den Soundtrack bei, sondern beteiligte sich aktiv an der Entwicklung des Gesamtwerks mit seinen gesellschaftsbezogenen Schwerpunkten und dem Fokus auf Räume und Orte. Im folgenden “Grounds” entsteht ein Bild davon, wie unsicher so etwas wie ein geographischer Ort, ein Boden unter den Füßen sein kann. Ein scharfer, windiger Sound durchdringt wie scharfe Klingen den Raum und reißt andere Dinge los, die ebenso sperrig durch den Raum fliegen. Auch hier wird stark mit der Unsicherheit und Unbestimmtheit nicht nur der immer wieder auftauchenden Sounddetails, sondern auch das Tempos und der Marschrichtung gespielt, niemals ist eine Folge von Klängen und Tönen abschätzbar, alles bleibt weitgehend unwägbar. Der Grund, die Basis ist in immerwährender Bewegung, die Topographie in stetigem Wandel. Safa, der in seinem musikalischen Werdegang viele Stationen von Punk und Metal über Breakcore und Techno durchlaufen hat, hat sich hier für einen sauberen, in so manchen Abschnitten spiegelglatten Sound entschieden, der den Blick auf die Ereignisse eröffnet, wie es Rauheit kaum könnte. Erst später, so beispielsweise im opulenten “Gazes”, lässt er diese zum Zug kommen und damit einen Höhepunkt an beklemmender Intensität entstehen. Generell sollte man sich das Adverb “ambient” hier nicht all zu nah am Romantischen vorstellen, ebenso wie selbst in den flächigeren Passagen auf “Hometown” auf subtile Art deutlich wird, dass Safa auch ein Meister rhythmischer Kompositionen ist.
Mit der Zeit macht sich in all diesem Gemenge auch eine interessante sakral wirkende Seite bemerkbar, die – ob intendiert oder nicht – die Tiefe der Settings verstärkt – zuerst im Titelstück, das ein anfangs noch diffuses verhalltes Läuten anklingen lässt, das nur leicht melodischer als herkömmliche Glocken daherkommt und sich im Laufe der Zeit auch gegen andere, reiserbesenhaft perkudierende Sounds durchsetzt, ebenso gegenüber ihrer graduellen Transformation in metallenes Hämmern.
Von diesem Ursprungsort aus diffundieren die dort geborenen Klänge in die unterschiedlichsten Richtungen. So in die bimmelnden und dröhnenden Hochtöner von “Supersummer”, deren Verlauf flächig anmutet, deren sanft entrückte langsame Wellenform aber auf Mikroebene aus vielen kleinen leicht miteinander verschmolzenen Glockensounds besteht, die auch hier gegen eine perkussive Bedrohung anzukämpfen scheinen. Aber auch in das wie von einem Bildhauer plastisch gestaltete metallene Rattern, das als profaner Wiedergänger die Dröhnung von “Caterpillar” von innen zu sprengen scheint. Nicht zuletzt in “Simulations”, dessen weltabgehobenes Schweben auf eine gewisse Weise ein Gegenpunkt zu einem Titel wie “Grounds” darstellt. Hier entstehen über dem dunklen Grollen einer abgründigen Tiefe glitzernde Bimmelwellenbögen, die vor 30 Jahren auch auf einem Album von Hilmar Örn Hilmarsson eine gute Figur gemacht hätten.
Während ich schon dabei bin, eigene imaginäre Bilder zu der Musik zu entwerfen, komme ich zu dem Schluss, dass “Hometown” als rein musikalisches Werk das Zeug zu einer Konsensplatte hätte, auf die sich – vielleicht auch, aber nicht nur wegen ihres sich ständig verschiebenden Stoffs – die Freunde unterschiedlicher elektronischer Musik einigen können. (U.S.)
Label: Ruptured