YARA ASMAR: Synth Waltzes and Accordion Laments

Manchmal sind es Zufälle, die zur Beschäftigung mit einem interessanten Thema und letztlich zur Geburt einer Idee führen. Als die in Beirut lebende Künstlerin und Multiinstrumentalistin Yara Asmar vor einigen Monaten zu einer Residenz in den Schwarzwald aufbrach, hatte sie ein Akkordeon, geerbt von ihrer Großmutter, im Gepäck. Wenig wusste sie über die Firma Hohner, die ihre Instrumente genau in dieser Region von Einheimischen montieren ließ. Von Kollegen auf diesen Sachverhalt aufmerksam gemacht, begab sie sich bald auf Recherche und landete irgendwann in genau dem Haus, in dem ihr Instrument vor Jahrzehnten gefertigt wurde und hörte überrascht, dass selbst die Versanddaten in den Libanon Mitte der 50er Jahre noch dokumentiert waren. Wie von magischer Hand geführt, kehrte das Instrument also an seinen Geburtsort zurück. Heute sind Yara und ihr Akkordeon wieder im Zentrum der libanesischen Hauptstadt, wo schon ihre Großeltern zuhause waren.

Dieses Ereignis und die vielfältigen Erfahrungen in Deutschland, zu denen auch Auftritte der Künstlerin im Schwarzwald und in der Berliner Volksbühne zählten, inspirierten sie zu vielfältigen Reflexionen nicht nur über sich, ihre Familie und persönliche Andenken, sondern auch über den Charakter von Orten und die Bezüge, die wir unweigerlich zu ihnen entwickeln, ganz gleich, ob wir zu den bleibenden, den verlassenden oder den zurückkehrenden gehören. All diese Dinge wurden automatisch zu in unterschiedlichen Graden deutlichen Themen und Motiven ihres neuen Longplayers “Synth Waltzes & Accordion Laments” der gerade auf Tape bei Hive Mind erschienen ist und an ihr Debüt “Home Recordings 2018-2021″ (Hive Mind 2022) und ihre Kollaboration “Low Toms Bright Bells and Darkest Spells” mit Elyse Tabet und Pascal Semerdjian (Ruptured 2022) anknüpft.

Dichter und weniger heterogen wirkend als ihr Debüt hat das neue Album trotz motivischer und stimmungsmäßiger Vielfalt eine Reihe deutlicher roter Fäden, und einer davon findet sich in einer fast trostreich umarmenden Ernsthaftigkeit, die sich an vielen Stellen mit einer deutlichen Beweglichkeit, die verspielt sein kann, aber auch scheu und unruhig, zu arrangieren weiß – als wären zwei Personen, eine involvierte und eine verständnisvoll Acht gebende, miteinander im Dialog. Das hohe Dröhnen, dass im eröffnenden “To die in the country” das Album einleitet, wirkt fast ein bisschen schrill, aber eine geerdete und leicht wehmütige Melodie vermag dies einzuebnen und auch dem nicht ganz klaren Tempo der Synthies die Unsicherheit zu nehmen. Erstmals deutlich zu hören ist das warme, strömende Akkordeon im folgenden Track “Objects lost in drawers (found again at the most inconvenient times)”, wo es schöne langsame Tonfolgen produziert, die auf eine allzu exaltierte Melodie verzichten können, die dem hypnotischen Effekt, den sie entfalten, vielleicht auch abträglich gewesen wäre. Der ganze Song hat etwas von einer unerhörten Begebenheit, wie sie im Titel angedeutet wird, denn die melancholisch eingefärbte Freude scheint sich in alle mögliche Richtungen zu bewegen: Die Melodien schwingen sich empor, finden ihre Einbettung in einer fast orchestral anmutenden Fülle und kulminieren in einem kleinen infernalischen Höhepunkt. In all dem Strudel und Schwindel, der manchmal an eine surreal verzerrte Jahrmarktsorgel erinnert, offenbart sich ein großer Blick auf kleine Dinge, und wieder hat es etwas von einer zärtlichen, wenn auch etwas stürmischen Umarmung.

Jedes der folgenden Stücke hat seinen ganz eigenen Charakter und wirkt wie ein geräumiger Abschnitt in einem groß angelegten, spärlich beleuchteten Environment. Das liebliche Bimmeln der Metallophone in “From gardens in the city we keep alive”, das dem Garten des Großvaters gewidmet ist, setzt dieses Umarmende auf fast quirlige verspielte Art um, und hüllt damit dunkleres kantiges Dröhnen und gelegentliche Lärmpassagen ein. Ein von Aufbruchstimmung durchtränktes Pfeifen, das mit etwas Fantasie aus einem Morricone-Soundtrack gefallen sein könnte, findet sich wieder im folgenden “Everything is wrapped in cling film”, dessen aquatische Sounds tatsächlich ein bisschen wie in Bernstein eingelegt (oder wie unter dem titelgebenden Film versteckt) klingen. Hier dominiert eine etwas verträumtere Amosphäre, die sich in sonnengeblendeter Form auch in späteren Stücken wie dem etwas längeren “Three clementines on the counter of a blue-tiled sun-soaked kitchen” findet. In diesem etwas längeren, schimmernden Stück scheint eine ganze Welt aus Erinnerungen zu entstehen, ausgelöst durch die titelgebenden Früchte, wie es sonst Düfte vermögen.

Nur bei “Are these your hands? Would you like them back?” kommt die menschliche Stimme (zusammen mit der von Vögeln) deutlich zum Einsatz – Gastmusiker Majid Chidiak erzählt vor der Kulisse eines dröhnenden Auf und Ab und geheimnisvollen Flügelschlägen eine märchenhafte Begebenheit, in der Hunde im Blauen Mond die Sonne anbellen und auf Silber kauen, doch was anfangs noch wie ein eher surreal-kindliches Szenario anmutet, mündet in etwas, das einem resignierten Abgesang auf kulturelle Identitätsvorstellungen sehr nah kommt. Dass die Rezitation beinahe verschluckt wird von den Wellen der Musik, scheint Teil des Ausdrucks zu sein, doch auch hier fehlt die allgegenwärtige Wärme nicht. Selbst im dramatischsten der Stücke, “Jumana” findet sie sich in Form warmer Akkordeonklänge zwischen den Ritzen perkussiven Hantierens und Kettenrasselns, bevor in “Come back later” die hohen Töne für einen offenen, aber nicht hoffnungslosen Schlussmoment sorgen.

“Synth Walzes and Accordion Laments” ist ein reichhaltiges Album, das sich kaum auf eine handvoll Motive und schon gar nicht auf ein einziges herunterbrechen lässt. Was in allem aber mitschwingt, scheint mir das Thema des Andenkens, das für viele Stücke so etwas wie ein Ausgangspunkt darstellt. Dass ein Andenken nicht nur ein Objekt, ein Geschenk, eine Nachricht, ein Bild sein muss, sondern auch etwas selbstgeschaffenes, mit dem man einer Person oder auch einer Zeit ein Andenken schafft, wurde auf unseren Seiten bereits im Zusammenhang mit Hackedepicciottos “Keepsakes” festgestellt. in mancher Hinsicht kann man das auch von diesem fantastischen Album sagen. (U.S.)

Label: Hive Mind