GIUSTINO KABIRO: Nella Carovana

Manchmal hat es nicht nur Nachteile, wenn man die Texte eines songorientierten Albums aufgrund einer Sprachbarriere nicht oder nur bruchstückhaft versteht. So viel einem dabei auch entgeht, wendet sich die Aufmerksamkeit fast automatisch anderen, z.B soundbezogenen oder kompositorischen Details zu, die sonst vielleicht nur unterschwellig wahrgenommen werden. Dies ist natürlich besonders dann der Fall, wenn der durch die Musik geschaffene Schauplatz von vielfältiger und ungewöhnlicher Art ist.

Taucht man ganz in die Welt von “Nello Carovana”, dem Debüt des jungen piemontesischen Musikers Matti Giustetto alias Giustino Kabiro ein, dann könnte man sich – wie der Rezensent – in einer seltsamen verödeten postapokalyptischen Welt wiederfinden. Wandert man durch die Ruinen aus Stein und Beton und versucht sich zwischen den rostigen Resten der niedergegangenen Zivilisation einen Reim auf das zu machen, was hier vielleicht einmal geblüht hat, dann stellt man mit der Zeit fest, dass nicht alles Leben und auch nicht alle Kultur von diesem Ort verschwunden sind. Interessanterweise sind es gerade die folkloristischen, okkulten, rituellen Zeichen einer Kultur, die an diesem Ort überlebt haben, Zeichen von Organik, die mit den steinernen und metallenden Resten eine merkwürdig stimmige und keineswegs kontrastreiche Verbindung eingegangen sind. Zu all dem gehört auch ein vielfacher Chor von Stimmen, die sich rezitierend und singend zu Wort melden.

Dieses “hauntologische” Szenario ist eine eher bildliche Beschreibung einer Musik, die ganz gekonnt die unterschiedlichsten Versatzstücke von Industrial und dunklem Apokalyptic Folk miteinander zu einem phasenweise hörspielartigen Gesamtwerk zusammenfügt. Nach dem Intro, in welchem eine verzerrte Stimme wie durch kaputte Boxen von spirituellen und ästhetischen Dingen spricht, taucht man ein in ein retrofuturistisches SciFi Szenario, in welchem vor einer Kulisse aus zirpenden Insekten und einer kindlichen Synthiemelodie eine trunkene Stimme erklingt. Was immer hier passiert, steigert sich gegen Ende zu einer bedrohlichen Noisekaskade. Das fast zehnminütige “Kabiro (Prima Parte)” ist einer der Höhepunkte des Albums und könnte fast eine ganze One Track-EP füllen. Hier wird eine komplexe Geschichte erzählt, die mit verbummeltem Gitarrenpicking, das halb versteckte Punkwurzeln durchscheinen lässt, beginnt und mit einer entspannten und zugleich energischen Rezitation weitergeht. Eine durchgehende Atmosphäre des Kaputten, aber auch der Entschlossenheit durchzieht schon diesen anfangs noch dezenten Teil, der dann aber mit lauten Synthieriffs und seltsamen Geräuschen in einen etwas dramatischeren Schauplatz umgeleitet wird. Findet man sich dort in einem surrealen Szenario wieder, tritt eine fulminante Sopranistin an den vorderen Bühnenrand und scheint alles wie ein griechischer Chor zu kommentieren.

Nach dem vergleichsweise pastoralen “Una Fiamma” landet man in der hörspielartigen Klanglandschaft von “Emanatione”. Wie mit verbundenen Augen aber umso offeneren Ohren findet man sich wie es scheint in einer großen weiträumigen Halle wieder, in der eine gehauchte Frauenstimme und seltsames Flüstern vom säuselnden Wind durch den Raum geweht werden. Tiefere Sounds bringen eine Art Unbehagen ein (oder verdeutlichen das schon bestehende Unbehagen). Vor dem verwehten Schluss, in welchem allerhand Sounds und Stimmen durcheinanderwirbeln, wie um die Unabgeschlossenheit zu verdeutlichen, wird man noch durch von starken Kontrasten geprägte weitere Stationen geführt, so durch “Profundamente”, bei dem ein filigraner A capella-Gesang in ein Gitarrenrock-Szenario überleitet und durch die live eingespielten und zum Teil bedrohlichen Sounds des Atmens, Kauens, Knabbern und Schmatzens von “Imbarchino”.

“Nello Carovana”, soviel kann auch ohne Verstehen der Texte gesagt werden, ist ein vielschichtiges Album, das zahlreiche atmosphärische Grundtendenzen miteinander vereint, ohne dabei an dem Widersprüchen zwischen Schönheit und Zerfall, organischem und verrosteter Härte, Dystopie und Natur zu zerbrechen. Ein Debüt, das guten Gewissens spannend genannt werden kann und auf Zukünftiges gespannt macht. (U.S.)

Label: Chiærichetti Æditore Ræcordings