MUSIQUE INFINIE: Earth

Dass Musique Infinie so unmittelbar nach ihrem Debüt bereits mit einem neuen Album von sich reden machen, ist auf jeden Fall ein hoffnungsvoll stimmendes Zeichen, denn bei einem kreativen Arbeitspensum, wie es die beiden Schweizer Noémi Büchi und Manuel Oberholzer, bekannt auch als Feldermelder, in verschiedenen Projekten an den Tag legen, ist die auf Dauer angelegte Existenz der “unendlichen Musik” keineswegs garantiert. Die beiden mittellangen Stücke ihres neuen Albums “Earth”, die tatsächlich noch vor “I” komponiert wurden, fungieren als Soundtrack zu einem Stummfilmklassiker aus der frühen Sowjetzeit und kamen wohl recht spontan zustande, als dieser 2022 beim Videoex Festival für experimentellen Film gezeigt wurde.

Dem Rezensenten ist Alexander Dovzhenkos Earth (1930), der auf russisch Zemlya heißt, nur in Ausschnitten bekannt. Es handelt sich dabei um einen der einflussreichsten Filme des frühen sowjetischen Kinos, sein Sujet ist die Transformation der Ukraine von einem feudalistischen zu einem kollektivistisch wirtschaftenden Staat, eine Entwicklung, die hier im Rahmen einer fiktiven Biografie erzählt und wohl, wenngleich ohne Revolutionspathos, heroisch dargestellt wird, wobei wohl auch eine gewisse Wehmut in der Darstellung des alten, überkommenen anklingt, was dem Gesamten dann eine Ambivalenz voll spannungsgeladener Gegensätze verleiht.

Musique Infinie setzen irgendwo an dieser Stelle an und scheinen das atmosphärische Wechselbad des Films im eigenen Medium neu zu erzählen. Das die erste Seite füllende “Creation” startet mit einem Klang, der an verwehte Chöre erinnert, herbeigeweht von einer rauschenden, tosenden Welle, die bald in einem Bett orchestraler Elektronik versinkt und im weiteren Verlauf immer wieder neu heranflutet. Ein Eindruck des Feierlichen erfüllt viele der Motive – die wuchtigen Trommelwirbel, die organischen Sounds, die mal aquatisch, mal wie eine weibliche Stimme anmuten. Zugleich ist eine kühle, reduzierte Spannung spürbar, die ruhigere, ambiente Passagen begünstigt. Durchaus sind es Brüche, gleichwohl subtile, die solch unterschiedliche atmosphärische Elemente einander gegenüberstellen.

Das die andere Seite ausfüllende “Destruction” – auch bei den Titeln liegt eine Gegensätzlichkeit vor – scheint zunächst in fast euphorischer Gestimmtheit anzufangen. Doch dann stockt die dynamische Bewegung der Musik im Räumlichen und Zeitlichen deutlich. Das Stück wirkt generell aufgewühlter, flitzende Perkussion übernimmt für Momente die Führung und der orchestral anmutende Sound hat eine martialische, vielleicht tatsächlich destruktive Aura. Auch hier gibt es verschiedene Abschnitte, zwischen denen die Brüche deutlicher sind, wenngleich die so angedeutete Destruktivität ihre ganz eigene Schönheit besitzt. Irgendwann tauchen auch die Chöre aus dem ersten Stück wieder auf, vielleicht infernalischer, doch sie leiten über in eine entspannte Rhythmik, die ein fast versönliches Ende einleitet.

Label: Hallow Ground