Manchmal kommt zusammen was zusammenkommen muss. Das von dem Oberhausener Enko Landmann betriebene Label Gruselthon feierte seit Beginn seiner Aktivitäten nicht nur die unterschiedlichsten Spielarten abwegiger Musik, sondern auch allerhand finstere Gestalten, die unsere fantastischen Tag- und Albträume heimsuchen und den kreativeren Teil der Menschheit bereits zu unzähligen Romanen, Filmen, Comics und Platten inspirierten. Keinesweg wunderte es mich dann vor einigen Monaten zu erfahren, dass der Kurator auch ein glühender Fan des legendären texanischen Sängers, Gitarristen und Songschreibers Roky Erickson ist, der bereits in den 60ern mit seiner Band 13th Floor Elevators Musikgeschichte schrieb und nach deren Auflösung solo und in verschiedenen Konstellationen weiterhin großartige Alben aufnahm.
Erickson zählte mit besagter Combo zu den maßgeblichen Begründern dessen, was als Psychedelic Rock in die Annalen der Musikgeschichte eingehen sollte. Viele der auf den drei regulären Alben, v.a. aber auf dem bahnbrechenden Debüt “The Psychedelic Sounds Of The 13th Floor Elevators” vertretenen Songs muten für ein paar Sekunden wie angenehm hörbare, mit viel Rhythm & Blues-eingefärbte Beatmusik an, bis die kleinen Störfaktoren, für die der eine oder andere schon das passende Ohr haben mag, die bei vielen aber noch für einige Momente der Verdrängung anheimfallen, immer deutlicher werden und bald unüberhörbar an die Oberfläche dringen. Garagige Omen eines schnoddrigen Protopunk, zerfletterte Kompositionsstrukturen, trippiges Tremolo allenthalben, schwindelerregende dionysische Dröhnung, die u.a. dem basswummernden Einsatz eines elektrifizierten Jug zu verdanken war, und vor allem die Signatur eines Getriebenen in den intensiven, wandlungsvollen Vocals des Frontmannes erhoben die 13th Floor Elevators von Beginn an über die Doors und Jefferson Airplanes dieser Welt und machten ihren Konsum für viele zu einer reizvoll riskanten Angelegenheit.
Auch wenn neunmalkluge Berufsdenker den Autor an sich seit Jahrzehnten bereits für tot zu erklären versuchen, kann man die Abgründigkeit der musikalischen Trips dieser Band nicht ohne die Persönlichkeit ihres Sängers und Chefideologen betrachten. Erickson war wahrscheinlich das, was man heute eine hochsensible Persönlichkeit nennen würde, und sein schonungsloser Umgang mit den Potenzialen seines Geistes und recht bald auch mit Substanzen aller Art brachten ihn über kurz oder lang an die Grenze zur Psychose und zeitweise wohl ein paar Schritte darüber hinaus. So verbrachte er dann auch immer wieder gewisse Zeiten in Kliniken und Besserungsanstalten und vor allem auch für Jahre in relativer Zurückgezogenheit, in der nur seine fürsorgliche Mutter und einige wenige Freunde persönlichen Zugang zu ihm hatten.
Für seine Musik hatten diese Persönlichkeitszüge gute und schlechte Auswirkungen, die zu beurteilen auch immer von den Geschmacksfragen des jeweiligen Publikums abhängen. Oft kam es mit seinen Kollegen zu getrennten Wegen und gerade in Zeiten nach den Elevators gab es zahlreiche stilistische Brüche. In weniger erschöpften Zuständen hätte es vielleicht noch mehr Musik gegeben, doch die Abgründigkeit und fantasievolle Natur seiner Musik profitierten in jedem Fall von den Richtungen, die sein Leben nahm (während ein anderer Bandkollege musikalisch verstummte und später Karriere bei Scientology machte, doch das ist freilich eine andere Story). Die unberechenbaren Stimmen und Nachtgesichte in seinem Kopf flossen in reichhaltigen Bildern in die Texte gerade seines Solowerks, dabei bediente er sich eines Arsenals an Figuren, die er Filmen und Büchern entlehnte: Vampire, Dämonen, Geister, Teufel, Aliens, hybride Kreaturen und Mutanten, und dann der immer wieder gefühlt im Minutentakt zwischen Himmel und Hölle hin und her springende Hop Scotch des vielleicht mysteriösesten aller Bewusstseinszustände, nämlich der Liebe, die oft fälschlicherweise als Gefühl bezeichnet wird.
Mit dem Tribute “I Think of Demons”, das den hoffnungsfroh stimmenden Zusatz “Vol. 1″ trägt, setzt Gruselton dem Genie dieses Musikers ein kreatives Denkmal, welches darüber hinaus auch einige der wichtigsten musikalischen Acts aus dem Umfeld des Labels zusammenbringt – plus einige Künstler, deren Werk Landmann bisher aus der Ferne bewunderte. Das Resultat ist beachtlich, und eine der Qualitäten, die gleich in den ersten Minuten des ersten Hördurchgangs auffallen, ist die Bandbreite hinsichtlich der Entscheidungen, wie nah bzw. fern sich die beteiligten Acts an dem Originalmaterial bewegen wollten. Die folgende, gezielt auf Abwechslung setzende Anordnung der einzelnen Beiträge leistet diesem Eindruck freilich Vorschub.
Das mir bislang unbekannte Projekt BAR eröffnet die Sammlung gleich mit einem Gassenhauer, nämlich dem Titeltrack des Mitte der 80er erschienenen Soloalbums “Clear Night for Love”, und schaltet bei dem sehr eingängigen beschwingten Stück mit seinen vulnerablen Untertönen ein oder zwei Gänge herunter – der Song könnte in der Version wunderbar den Abspann eines Films untermalen. Eher auf Transformation setzen die vielen unserer Leser wohl bekannten Bostoner Violet Nox: Wie interessanterweise die meisten Beteiligten wählten die futuristischen Psych-Elektroniker mit “Stand for the Fire Demon” einen Song des ebenfalls aus den 80ern stammenden Roky Erickson and the Aliens-Albums “The Evil One”, dessen von Ericksons gepresster Stimme und einem zünftigen Hardrocksound geprägten Stil sie in eine ergreifend sehnsuchtsvolle Synthienummer verwandeln, die wie aus einem verhallten, nebelverhangenen Club herübergeweht scheint und dabei das Nokturnale unangetastet lässt. Würde man das Original nicht kennen, könnte man den Song glatt für einen ihrer eigenen halten, und sollte jemals jemand die Zeitmaschine erfinden, so sollte man die Version wie sie ist in die besten Clubs der 80er verpflanzen, sie wäre ein Höhepunkt in jeder dunklen Tanzveranstaltung.
Während sich Los Buerlecitiños wieder recht nah am Original bewegen, und einem der bekanntesten Klassiker der Elevators, dem ratternden, wusseligen und von Verzweiflung getriebenen Abgesang auf eine unbalancierte Liebe “You’re gonna miss me” ein Denkmal setzen, überführt Allysen Callery das in seinem akustischen Strumming und der endlos anmutenden Repetition des Titels beschwöhrend anmutende 86er Solostück “I am” in das Dämmerlicht eines spukhaften Neuengland, wo der Teufel sich zwischen dem sanften Finger Style und dem traumwandlerischen Gesang gerade so gut zu verstecken weiß wie er will. Birds That Change Colour nehmen sich mit “Don’t Fall Down” einen Elevatorsklassiker vor und heben dessen exzentrische Details noch deutlicher hervor, Fenton Weills dagegen spielen das unglaublich aufwühlende “Roller Coaster” vom Debüt etwas dumpfer, kauziger und zugleich introvertierter, besonders stark wirkt hier der Kontrast zwischen federleichten Takten und kernigem Saitenspiel. Die Nürnberger Garage Psych-Rocker Shiney Gnomes wissen besonders die Melancholie aus dem 69er “May the Circle Remain Unbroken” mit seinem sensiblen Gesang vor zerfleddderter Klangkulisse herauszukitzeln.
Weiter geht’s mit zwei weiteren Stücken vom “The Evil One”-Album. Mit berührenden Streichern, ätzenden Saiten, einem aufgeweckt klingelnden Banjo und vor allem dem feierlichen Pathos eines stark in den Vordergrund gemischten Gesangs demonstrieren die Hamburger Newcomer Giant Crow, wie viel Drama in dem Song “If you have Ghosts” mit seinen im Original kraftvollen Rockriffs steckt, einem eindringlichen Stück über den Reichtum der Besessenheit – kein schlechtes Thema für all jene, die sich wie der Verfasser dieser Zeilen für eine hanseatische Antwort auf den sogenannten Denver Sound begeistern können. Die Cosmic Kangaroos, bei denen ein Frosch, eine bewaffnete Gangsterbraut und einer der Marx Brothers am Werk sind, haben sich “Creature with the Atom Brain” vorgenommen, im Original ein Paradebeispiel für den abgründigen nächtlichen Bikerrock des Erickson der 80er. Ohne sich allzu stark von diesem zu entfernen, schlagen die Kängurus in ihrer Interpretation die Brücke zum klassischen Elevators-Feeling, in dem sie den Song besonders psychedelisch kratzen, piepen, orgeln, jaulen und klingeln lassen.
Im finalen Drittel der Sammlung dominieren – abgesehen von Aeon Crypt mit ihrer staubig schleppenden und dennoch die klanglichen Kontraste stark konturierenden Doom-Stoner-Hardrock-Version von “Two Headed Dog”– die filigraneren Töne und lassen wahrscheinlich viele Leser unseres Magazins besonders auf ihre Kosten kommen. Da wäre zum einen die originelle Interpretation des (ebenfalls wieder vom besagten 80er Album stammenden) “Night of the Vampire” von keinen Geringeren als Walker Philips und Caira Paraval, die privat ein Paar sind und neben ihren Soloarbeiten noch zusammen in der Band Tabernacle spielen. Im Gegensatz zu ihrem ansonsten eher akustisch dominierten Acid Folk gehen die beiden hier mit nostalgischen Synthies zu Werke. Griffige kreisende Klangflächen, unterschwellige Dröhnung, Eispickelbeats, männlich-weiblicher Gesang und markerschütternde Schreie, die direkt aus einem Film von Mario Bava gefallen sein könnten, machen hier aus der energischen Rocknummer ein ganz anderes Stück. Ein weiteres besonderes Highlight ist Kristine Jungs originelle Interpretation des kraftvollen Nachtstücks “Cold Night For Alligators”, dem sie mit fragilem Gesang, Kinderstimmen, einer versteckten instrumentellen Opulenz und v.a. einer leisen, unprätentiösen Beiläufigkeit gerade eine besondere Intensität verleiht.
Den Abspann bestreitet dann Adam Geoffrey Cole alias Trappist Afterland, dessen neues Album bald in den Startlöchern stehen wird. Und da sich für ein gutes Finale kaum etwas besser eignet als ein Song, der mit wenigen Mitteln ganz großes sagt, hat er “Mighty is our Love” vom den 87er “Holiday Inn”-Tapes. Dem fisselig-improvisiert wirkenden Strumming aus locker gespannten Saiten und dem berührenden Text stellt er zusätzlich auch durch seinen sensibel tremolierenden Stimmeinsatz eine versöhnende Note zur Seite, die niemanden kalt lassen sollte. Mein Fazit ist kurz und besagt, dass diese gelungene Anthologie – mit Vorfreude auf Teil 2 – ein wunderbarer Anlass ist, den Ericksonkosmos kennen zu lernen und obendrein mehr als zwei Handvoll Acts, deren Oeuvres einen mehr als soliden Kern einer “neopsychedelischen” Plattensammlung bilden können. (U.S.)
Label: Gruselthon