JULIA SABRA: Natural History Museum

Julia Sabra, bekannt als Stimme der libanesischen Dreampopcombo Postcards und unter ihrem persönlichen Namen bereits auf dem Album “Snakeskin” in Erscheinung getreten, eröffnet mit ihrem Solodebüt “Natural History Museum” ein neues und sehr persönliches musikalisches Kapitel. Es handelt sich dabei um eine Sammlung von Songs, die zwischen 2020 und 2024 inmitten der schwierigen politischen und sozialen Lage des Libanons entstanden sind, und ist ein Werk, das mit bemerkenswerter Rohheit und zugleich Zerbrechlichkeit überzeugt.

Die Aufnahmen, die größtenteils live auf Tape ohne Overdubs entstanden sind, tragen die Unmittelbarkeit und Intimität von Sabras späten Nachtstimmungen in sich, die sie in Sprachnachrichten an ihre Bandkollegen festhielt. Aufgenommen wurden die Stücke teils im Studio, teils in der Kirche des Ortes, in welchem die Sängerin aufgewachsen ist. Sabra und ihr langjähriger musikalischer Partner Fadi Tabbal entschieden sich bewusst für einen klanglich reduzierten Ansatz, um die Songs in ihrer vulnerabelsten Form zu bewahren. So werden die Hörer direkt in Sabras tief persönliche Welt gezogen, die von der Verarbeitung der Explosionskatastrophe im Beiruter Hafen, von zahlreichen Kindheitserinnerungen, von Verlusten und der Suche nach einem Platz inmitten von Gewalt und Unsicherheit geprägt ist.

Das eröffnende “White Walls” beginnt mit einem sanften Rauschen und schwebendem Gesang, während die melancholische Moll-Melodie die Atmosphäre einer tiefen emotionalen Introspektion entstehen lässt. Sabras poetische Texte schaffen ein Gefühl von Raum und Erinnerung, das sich durch das gesamte Album zieht: „Somewhere in my dreams when I fall asleep, I’ll find it all as it was, as we were.“ Es sind alltägliche, vertraute Dinge, die sie (wie etwas später in “Home Is Sad”) beschreibt – und doch brechen große, traumatische Ereignisse in diese fragile Welt ein, wie der Rückblick auf eine jugendliche Flucht vor Gewalt irgendwo in den Straßen ihrer Stadt, und neben den großen Ereignissen geht es auch die kleinen Abgründe, die das Leben mit sich bringt. Und ganz alltägliche Dinge wie der kotzgrüne Teppich in einem weiß gestrichenen Raum.

“Skyscape”, mit filigranem Gitarrenpicking und einer leisen, meditativen Stimmung, erinnert an die introspektive, von kontinuierlichen, fisseligen Mustern geprägte Musik eines Robbie Basho. Auch hier weht ein Hauch von Wehmut durch die Melodie, passend zu dem von lichtdurchfluteten Erinnerungen, aber auch von versteckten Omen durchzogenen Text: „As waters slowly rise“ – vielleicht eine Anspielung auf eine langsam herannahende Katastrophe, die im Hintergrund lauert? Der emotionale Höhepunkt des Albums scheint mir “I Want It All” zu sein. Mit dem Pathos eines tränenschweren Gitarrenstrumming beschreibt das lyrische Ich seine Erinnerungskollektionen und den Wunsch nach einem friedvollen Leben und der Suche nach Liebe und Geborgenheit, Verse wie “Is my faith still there after all those years?” verdeutlichen die zwischen Zweifel und Hoffnung changierende Ambiguität, die den Song von der ersten bis zur abschließenden Note durchzieht. Unterstützt von den zurückhaltenden Backing-Vocals des v.a. as Drummer bekannten Pascal Semerdjian, wird dieser Song zu einer bewegenden Hymne des Sehnens und der inneren Zerrissenheit.

In “Goodbye” schwingen Abschied und Verlust von Orten und Menschen mit. Sabras hochtönende Stimme erhebt sich über akustische Gitarren und erzählt von persönlichen und kollektiven Tragödien, die untrennbar mit der Geschichte des Libanons verbunden sind. Zedern und Berge – Symbol für das Land selbst – tauchen im Text auf, bevor das titelgebende Naturkundemuseum und ein dort stattfindendes tragisches Ereignis plötzlich in den Fokus rückt und den Schmerz des Verlustes, der das Album durchzieht, noch einmal verdichtet. “Love conquers all, but I feel so small”, heißt es gegen Ende, und wieder kommt die leitmotivische Zerrissenheit zwischen Resignation und Zuversicht zu Wort, die immerhin verhindert, das nichts in Stein gemeiselt ist. Kurz darauf, in “Fall From Grace” ist über einer tollen Melodie auf einem E-Piano von einem Licht die Rede, das irgendwo scheint, doch die Sprecherin hat die Suche danach aufgegeben.

Nach dem aufgeweckteren “Hands”, das anscheinend die Erinnerung an eine Jungendliebe wie ein mystisches Ereignis besingt, und einem sanften Cover des Chansons “Dis, quand reviendras-tu?” der französischen Sängerin Barbara, wieder ein Song über das Warten, schließt das Album mit “Minor Detail”, der das Album mit seiner subtilen, fast orchestralen Synthie-Landschaft ausklingen lässt. Und mit einem Gesang, der näher am Ohr als je zu vor anmutet. Auch hier klingen subtil Abgründe an, die einen simpel positiven Schlusspunkt verweigern, und irgendwie hätte auch nichts anderes gepasst.

“Natural History Museum” ist, was das Solodebüt einer Bandmusikerin sein sollte – ein zutiefst persönliches Album, das die kleinen Momente des Lebens einfängt und sie in den größeren, tragischen Kontext von Kriegen, Verlusten und einer Suche nach Hoffnung setzt, deren Motivation niemals versiegt. Julia Sabra gelingt es, diese beiden Ebenen so subtil zu verweben, dass man sich in den intimen Erzählungen verlieren kann, während im Hintergrund die Schatten einer bewegten Vergangenheit lauern. Ein außergewöhnliches Debüt, das zugleich zart und kraftvoll, persönlich und (man verzeihe das große Wort) universell ist. (U.S.)

Label: Ruptured