Paradiesvorstellungen finden sich in beinahe jeder Form nicht nur von Spiritualität, sondern unter der Hand letztlich in jeder Philosophie, sobald darin eine Utopie auch nur vage anklingt. Oft entstehen solche Vorstellungen gerade in bitteren Zeiten des Verlusts und der Vergänglichkeit. Wenn alles verwittert und verdorrt, entsteht der Wunsch nach dem Grünen, dem Immerneuen, wenn man den vegetativen Aspekt der Farbmetapher im neuen Album “Evergreen – Walk To Paradise Garden” von Trappist Afterland mit in Betracht zieht. Ein Paradies könnte also weniger ein statischer Ort sein als vielmehr ein Zustand ständigen – und vor allem: wiedergefundenen – Wachstums, und diese Idee durchzieht mehr oder weniger alle neun Songs des Werks.
“Evergreen – Walk to Paradise Garden” ist das mittlerweile zehnte Album des Projekts von und um den australischen Psych Folker Adam Geoffrey Cole und entstand während einer Zeit tiefgreifender persönlicher Krisen und Umbrüche. Zwischen Besuchen bei seiner an Demenz erkrankten und kurze Zeit später verstorbenen Mutter und dem Scheitern seiner Ehe nahm Cole seine Songs auf. Diese Zeit prägte das gesamte Album, das inmitten von Trauer und Verlust die Hoffnung auf neues Leben und Wachstum sucht. Musikalisch unterstützt wird Cole dabei von namhaften Künstlern wie dem Gitarristen Henry Parker, der Folksängerin Angeline Morrison, dem bekannten Sänger und Künstler David Tibet (Current 93) und Tali Trow, sowie seinen langjährigen Mitstreitern Anthony Cornish, Tom Warren und Matt Malone.
Die neun Songs, allesamt ungemein bewegend, trotzen, wie es im Begleittext heißt, zeitgeistigen Trends und zeigen Trappist Afterland von ihrer vielleicht bislang emotionalsten Seite. Der bereits auf einer Single in einer leicht anderen Version zusammen mit Grey Malkin veröffentlichte Opener “The Squall” setzt den Ton für das Album: Oud und Gitarre verweben sich mit Coles andächtigem Gesang und sanften weiblichen Backing Vocals zu einem kraftvollen Stück über Wachstum und Regeneration. In dem poetischen Text, der von einem unerwarteten Sturm erzählt, schwingt trotz aller Aufwühlung Hoffnung mit. Zur Version der Single schrieb ich vor einigen Wochen: “Die entrückten Gitarrenfiguren und die leisen Töne des leicht nach hinten gemischten Gesangs lassen, vielleicht aufgrund der Tonart und der repetitiven Melodie, eine aufwühlende Stimmung entstehen. In den poetischen Bildern des Textes erzählt Cole von einem Sturm, der ganz überraschend über ein sich verloren fühlendes lyrisches Ich hereinbricht und überall in der Umgebung seine Spuren, seine Abdrücke hinterlässt. In all dem scheint aber auch eine Portion Hoffnung oder gar Zuversicht zu stecken [...], denn der merkwürdige, unberechenbare Wind scheint in seinem Bluesgesang auch etwas Befreiendes zu haben”. All das gilt selbstredend auch für die aktuelle Version.
Das folgende “The Good Ole Way” beginnt wie es endet mit den kreisenden Klängen einer Tanpura, dem in westlicher Wahrnehmung vielleicht indischsten aller indischen Instrumente, begleitet vom holzigen Timbre der Oud, und kreiert so ein gutes organisches Substrat für Coles Lyrik, die hier, facettenreich gefärbt durch die dezenten Beiträge von Angelina Morrison und Henry Parker, in ungewohnt kriegerischen Bildern das Meistern der Herausforderungen der Unbeständigkeit wie einen Marsch durch widrige Umstände besingt. Halt findet das lyrische Ich hier auch beim Altbewährten, schon gekannten und immer wieder zu übenden, das dem Song den Titel gibt. “Cruciform/The Reincarnation of Kelly Anne” hingegen lässt mit seinem unbekümmert wirkenden Saitenspiel – zunächst – ein sanftes, entspanntes Setting entstehen, bis eine unerwartete Wendung die Atmosphäre aufbricht und druckvolle, elektrifizierte Energie in das Geschehen bringt.
Ein echter Höhepunkt ist “Give Thanks and Lament”, das mit einer feierlichen Gitarrenmelodie beginnt, bei der man, trotz kleiner irritierender Brüche, sofort Coles Handschrift erkennt. Der Song ist eine Hymne der Dankbarkeit, gerichtet an alle wichtigen Instanzen des Lebens, von der persönlichen Begleiterin bis zu dem kosmischen Träumer, der in Coles christlicher, vielleicht noch Reste seiner früheren Begeisterung für Gnostizismus enthaltenden Spiritualität die Welt erträumt. Zwischen den Strophen meldet sich dann David Tibet als Gastsänger zu Wort und schlägt mit seinem Verweis auf die kanonischen Evangelien die Brücke zum Biblischen. Das grüne, vegetative, das den Verfall überdauert, klingt hier schon an und bekommt in “Green St. Return” seine größten Momente. Schnell verschwimmt hier der Kontrast zwischen der elektrisierenden Gitarre und dem etwas heruntergefahrenen Gesang, und man taucht ein in Coles wie ein Portal beschriebene Erinnerungen an den Geburtsort seines Vaters. Grün sind sicher auch die Disteln in “Barefoot in Thistles”, das zu entspanntem Gitarrenspiel die Chance feiert, die in jedem Moment steckt. Um etwas derartiges kreisen auch die Motive in “Our Masterpiece”, wo zu feierlichem Strumming und berührenden Keyboardtupfern das Gelungene in den Blick genommen wird, das selbst aus der zerfahrensten Situation entstehen kann.
Das vielleicht beste und ergreifendste Stück des Albums, “Incarnation Blues”, verarbeitet am deutlichsten die Trauer über den Verlust von Gemeinschaft – ein Satz wie “When I say ‘we’ it breaks my heart, because we is now just me” ist einer der simpelsten und zugleich stärksten und eindringlichsten Verse des Albums – vielleicht gerade, weil viele weitere Worte in den Texten des Albums das darin anklingende Gefühl der Isolation negieren. Das abschließende Stück, “You are Evergreen”, lässt wieder die Tanpura erklingen und greift die Themen von Neuanfang und dem schon im Leben auffindbaren Immergrün auf. Es rundet das Album, vielleicht Coles bestes, mit einem versöhnlichen Ton ab und setzt so einen passenden Schlusspunkt der intimen, gefühlvollen Reise durch Trauer, Verlust und Regeneration. (U.S.)
Label: Cosmic Eye / Sound Effect Records