MICHAEL CASHMORE: The Snow Abides Completely

Wie so viele andere kreative Köpfe bewegte sich der Brite Michael Cashmore im Umfeld des Temple Ov Psychick Youth, sein als Nature And Organisation 1986 veröffentlichtes Tape „Third Terminal Position“ war dann auch musikalisch situiert in der Industrial Culture. Cashmore war ab 1990 für viele Jahre Stammgitarrist bei Current 93 sein Debütauftritt in Amiens ist auf dem wunderschönen Livealbum „As The World Disappears“ verewigt – und trug sicher mit seinen Kompositionen und seinem Gitarrenspiel zur steigenden Popularität der Band bei.

Er selbst reaktivierte Nature And Organisation mit dem 1995 erschienenen Album „Beauty Reaps The Blood Of Solitude“, eingespielt mit zahlreichen Personen aus dem World Serpent-Umfeld und sicher eines der besten Apocalyptic Folk-Alben aller Zeiten. Als dann 1998 der Nachfolger „Death In A Snow Leopard Winter“ erschien, zeigte sich allerdings etwas, das bedingt symptomatisch für die dann folgenden Jahre sein sollte. Das Album wurde in einer unvollständigen, instrumentalen Version mit Klavier- und Streicherparts veröffentlicht (die geplanten Bläser- und Gesangsbeiträge fehlten). „I had to abandon work on this album for various personal reasons“, konnte man in den Linernotes lesen. Sein einige Jahre später unter eigenem Namen veröffentlichtes Album „Sleep England“, eingespielt mit E-Gitarre und Bass, war in seinem Understatement durchaus sympathisch, wirkte aber verglichen mit dem grandiosen Fingerpicking, das sich etwa auf einem Current 93-Album wie „Of Ruine Or Some Blazing Starre“ fand, etwas unspektakulär.

Cashmore arbeitete in all den Jahren immer wieder mit anderen Musikern zusammen (u.a. mit Marc Almond auf „Feasting With Panthers”). In den letzten Jahren war er als Solokünstler wieder aktiv(er), wenn auch mit anderer, oftmals elektronischerer Ausrichtung (etwa hier) und seinem gedanklichen Überbau The Hidden Throne, den er in dem Buch mit dem bezeichnenden Titel „Transformation Through Love“ darlegte. Im Vorwort schrieb David Tibet, es handele sich bei diesem Buch um „a journal of a journey out of Michael’s sadness and suffering and darkness to a new vision of his inner and outer worlds“.

Die Aufnahmen zu „The Snow Abides“ entstanden weitgehend in den Jahren 1999-2001. Das Konzept des Albums war/ist durchaus interessant: Anohni (damals noch Antony) sang von David Tibet geschriebene Texte, Tibet selbst rezitierte Texte von Cashmore. Erst 2006 erschien als „The Snow Abides“ auf Durtro Jnana ein Teil der Aufnahmen: zwei Instrumentaltracks sowie die drei von Anohni gesungenen Stücke. Cashmore schreibt in den Linernotes der nun unter dem Titel „The Snow Abides Completely“  mit Artwork von Kathy Aponi versammelten vollständigen Aufnahmen, er habe während der Kompositionen unter schweren Depressionen gelitten, aus mangelndem Selbstwertgefühl seien ihm seine Texte peinlich gewesen und daher habe er die Aufnahmen nicht veröffentlichen wollen, erst jetzt fühle er sich dazu in der Lage – was sehr gut ist, denn die hier zu hörende Musik gehört sicher mit zum Stärksten, das der seit Jahren in Berlin lebende Cashmore bisher veröffentlicht hat.

Das Album wird eröffnet mit dem von getragenen Streicherpassagen (Cello, Geige, Bratsche) dominierten instrumentalen „My Eyes Open“, auf dem eine sanft melancholische Stimmung erzeugt wird, die auf dem gesamten Album dominiert. „As The Sun Disappears Into Water“ beginnt mit einer langen instrumentalen Passage – das dezente Pianospiel Cashmores wird von Streichern begleitet –, bevor Tibets Stimme rezitierend einsetzt. Am Ende hört man „the silence/alone/the silence“. Das kurze „I Cradle Future Graves In My Innocent Hands“ erinnert, wie auch einige der weiteren Stücke, etwas an „Soft Black Stars“  oder auch oben erwähntes „Death In A Snow Leopard Winter“. Der Titel „And All I Understand Is Nothing“ illustriert vielleicht die Stimmung, in der Cashmore damals war („final emptiness“). Diese Stimmung wird auf „You Knew I Could Never Hold On“ mit der Reduktion auf Piano und Text fortgeführt, wenn Tibet vom „Slowly animated cycle of dying“ spricht. Auf „For The Sun Is My Shield Eternally“ kommt eine traurige Flöte dazu. Die dritte Seite des Doppelalbums beginnt mit dem instrumentalen „Before The Light Has Gone“, auf dem das Piano von dramatischen Streichern begleitet wird. Das Titelstück ist ein perfektes Zusammenspiel von Klavier, Streichern und Anohnis Gesang. Wenn sie singt „My heart arose – ecstatic butterfly“, dann möchte man begeistert zustimmen, denn was man als Hörer empfindet, kommt dem sicher nahe. Auch „How God Moved At Twilight“ und „Your Eyes Close“ sind ähnlich starke Songs. Nach Anohnis letzten Worten “I look at my hands/And count the Sun/Making another scar across my sky/And I Close my eyes” kommt noch das Instrumental “Snow No Longer” sowie das mit Bill Fay aufgenommene Stück “My Eyes Open Into Eternal Sunlight Forever”, das zum Rest der Aufnahmen passt.

Das ist teilweise todtraurige Kammermusik mit Momenten des Sublimen und Erhabenen und vielleicht eine der besten (Wieder-)Veröffentlichungen des Jahres 2024. (MG)

Label: Svart Records