Es dürfte wenige Bands geben, die nach ihrer Reformierung, oder – wie es Michael Gira damals formulierte – „reconstitution“ so aktiv wie die Swans waren/sind. Zuerst mag man Giras Insistieren auf der Begrifflichkeit als semantische Spitzfingerei abgetan haben, aber die Jahre seit dem Erscheinen von „My Father Will Guide Me up a Rope to the Sky“ im Jahr 2010 waren beeindruckend – nicht nur, was die Anzahl der Alben anbelangt, sondern auch bzgl. des Umfangs: Das waren oftmals Mammutwerke, die sich teilweise nur noch auf zwei CDs oder drei Vinylscheiben pressen ließen. Die Stücke entwickelten sich und wurden entwickelt während der zahlreichen Touren und Auftritte die in ihrer Wucht Band wie Publikum einiges abverlangten.
Vor der Veröffentlichung von „Leaving Meaning“ (2019) hatte Gira angekündigt, die Band als lose(re)s Kollektiv weiterführen zu wollen, jetzt wurde vor Veröffentlichung von „Birthing“ eine weitere Änderung angesprochen: Das Album sei „my final foray (as producer / impresario) into the all-consuming sound worlds that have been my obsession for years. We’ll do a final tour in this mode towards the end of 2025, then that’s it. After that, Swans will continue, so long as I’m able, but in a significantly pared down form.“ Vielleicht sind ja die beeindruckenden Soloshows, die Gira mit Kristof Hahn jüngst spielte, Indikatoren für mögliche künftige Konstellationen.
Das neue, insgesamt 17., Album, das heftiger ausgefallen ist als “Leaving Meaning”, wird eröffnet von „The Healers“ und wenn Gira jüngst in einem Interview sagte, dass er künftig die Crescendos vermissen werde, die in der bisherigen Bandkonstellation für Euphorie sorgten, dann passt das gut zu diesem knapp 15-minütigen Opener. Wie sich dieser Track nach einer langen getragenen Passage nach und nach verdichtet, nach den Soundflächen zu Beginn in Minute 8 Schlagzeug hinzukommt, Gira plötzlich in Stimmen, in Zungen spricht, Unverständliches verkündet, das ist wieder einmal beeindruckend. Das ist ein Sichaufbäumen, mit Instrumenten, die wie Sirenen tönen. Zeilen wie „The wolves are swimming in our harbor/Our lungs are breathing in black water/The heavens rain down knives of silver/To kiss our bodies in the river“ sind in Verbindung mit der Musik Momente des Transzendierens. Die vorab veröffentlichte Single „I am a Tower“ beginnt ebenfalls ruhig mit leicht flirrenden Sounds und weiblicher Stimme. Erst nach vier Minuten setzt Gira ein und sprechsingt: „With thin boneless fingers and pink polished nails/I am searching for truth in the fat folds of your blunder/Speak up, Dick! Bring wonder, bring plunder/Bring your fish-headed fixer to whisper my ear “, während eine wilde Klangorgie im Hintergrund dröhnt, bis dann auch hier wuchtiges Schlagzeug einsetzt. Gegen Ende hört man dann das megalomanische „I am a kingdom of one, behold what I have become/Down in the belly of earth, I hereby nullify your birth/Now everything is mine, I am the end of time“. Das 20-minütige Titelstück klingt nach 12 Minuten ab, es ist so, als setze ein Song im Song ein. Zu dezenten Pianopassagen erinnert Gira fast schon an seine Angels Of Light-Aufnahmen, die dann aber wieder in Crescendos untergehen. Dann folgt mit „Red Yellow“ ein (im Kontext dieses Albums) relativ kurzes Stück, auf dem Gira dämonisch klingt: „It’s in us, red dust/Licking your fingers your butter your shadow your belly is pregnant with plaster and sawdust and lust/“, um zur Schlussfolgerung zu kommen: „It’s in us/Lust: is in us/Lust: is disgust“ und ein Saxophon dröhnt an der Grenze zur Dissonanz. „Guardian Spirit“ ist ein wuchtiges, schleppendes Stück mit seltsamer Flöte und Momenten, in denen man Angst bekommen kann: „In an ocean of mud/In a city in flames/Down deep in your brains/I am lifting you up/I am eating your head/Now feed me my find/My life is your death“. Der Track endet mit einer langen instrumentalen Coda. „The Merge“ beginnt mit einer Kinderstimme, die „I love you mummy“ spricht und entwickelt sich dann zu einer wilden Jazznummer, zwischendurch zählt Gira auf Deutsch, um am Ende nur begleitet von Akustikgitarre und ein paar Sounds das Stück zu beenden. Abgeschlossen wird das Album von zwei Stücken, die musikalisch positiver klingen. “The Merge” ist ein melodisches Postrockstück, das in das folkige “Away” übergeht, in dem einigen verstorbenen Weggefährten gedacht wird.
Während jemand wie Nick Cave durchaus noch immer gute Alben veröffentlicht und sich in seiner Rolle als Kommentator bei The Red Hand Files als überaus intelligenter und differenzierter Chronist des Allzumenschlichen zeigt, so ist die Musik, sind die oft religiös grundierten Texte in den letzten Jahren versöhnlicher geworden. Gira hingegen präsentiert in seiner Musik und insbesondere in seinen Texten (noch immer) Landschaften der Gewalt. Vor Jahren schrieb jemand über die Swans, die Alben enthielten „X-rated themes of self-loathing, despair and depravity“. Ich selbst habe Gira vor vielen Jahren in einer Besprechung von „The Seer“ als Haruspex bezeichnet und die Zukunft lässt sich wahrscheinlich tatsächlich nur aus Eingeweiden (ab-)lesen. (MG)
Label: Young God Records / Mute Records