SWANS: The Seer

Als die Swans 1996 mit „Soundtracks For The Blind“ das letzte Studioalbum für 14 Jahre  veröffentlichten, waren das zwei CDs voller Loops, Collagen, Fragmente, ausufernder Stücke, die das vorwegnahmen, was später Postrock genannt werden sollte und auf gewisse Weise war das auch ein Eingestehen, dass man das, was musikalisch möglich war, ausgeschöpft und erschöpft hatte, ähnlich vielleicht wie das Spätwerk Shakespeares Theaterkonventionen und das, was zur damaligen Zeit aufführungstechnisch möglich war, sprengte. Als Gira dann verkündete, er wolle nach sieben Alben mit seinem Folkprojekt Angels of Light ein neues Album mit den Swans aufnehmen, betonte er, es handele sich nicht um eine Reunion, sondern um eine „reconstitution“. Man mag das als semantische Spitzfindigkeit abtun, aber als dann „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ 2010 erschien, war man erstaunt ob der Wucht der Stücke, die sich allerdings alle in einem relativ überschaubaren Songformat bewegten, und die das Epische und Fragmentarische des 1996 veröffentlichten Doppelalbums zurücknahmen, was sicher auch damit zu tun hatte, dass der Großteil der Songs eigentlich für ein Angels of Light-Album gedacht war. Schon in damals entstandenen Interviews thematisierte Gira allerdings den Wunsch aus diesen Formaten auszubrechen und die dann folgende lange Tour zeigte dann eine Band, die diese Strukturen tatsächlich aufbrach und überschritt – nachzuhören auf dem Livedoppelalbum „We Rose From Your Bed With The Sun In Our Head“.

Schon „Lunacy“, der Opener des neuen Doppelalbums “The Seer”,  verdeutlicht, dass man sich von dem Vorgänger entfernt, dabei scheinen die Texte bei den ausufernden Songs nur eine untergeordnete Rolle zu spielen und Gira hat schon mehrfach darauf hingewiesen, dass sich das oft von Slogans beeinflusste Texten für die Swans von der Herangehensweise bei den eher narrativen Angels of Light-Stücken unterscheidet. Auf sechs Minuten wird ein Klangwall erzeugt, bei dem es überrascht, dass Giras Gesang recht sanft ausfällt, auch dann, wenn er mit der Unterstützung der Low-Mitglieder Al und Mimi Zeilen wie „hide beneath / your monkey skin / feel his love / nurture him / kill the truth /or speak the name: Lunacy!“ intoniert. Das zehnminütige „Mother of the World“ wird von Singen und Stammeln und repetetiven Momenten bestimmt und die Wiederholung spielte schon immer eine zentrale Rolle im Werk Giras, was David Keenan vor einiger Zeit zu der Metapher der „paucity of architectural vision behind [Gira's] songwriting“ greifen ließ. Dass das aber sogar bei akustischen Stücken gelingen kann, beweist dieser Auftritt.

Im Gegensatz zu diesen vitalistischen Tracks gibt es aber auch so etwas wie den Eineinhalbminüter „The Wolf“, auf dem Giras Stimme nur von Rauschen im Hintergrund begleitet wird und dessen letzte Zeilen man fast unter das Erlebnis eines Swans-Auftritts setzen könnte: „I am bruised/but I am raised“. Das Titelstück ist eine Kakophonie, die fast gänzlich ohne verständliche Worte auskommt. Auf „The Seer Returns“ (mit Backing Vocals von Jarboe) vernimmt man ebenfalls Ekstase und Entgrenzung und den ruhigen, fast dämonischen Sprechgesang: „All the people are fucking: they’re just a pile of writhing, selfish bliss“. Man könnte fast glauben, der oftmals Cowboyhut tragende Gira habe „love“ und „hate“ auf die Knöchel seiner Hände tätowiert. Etwas ruhiger, aber nicht weniger verstörend, fällt die Wüstenharmonianummer „93 Ave. B Blues“ aus, die in einem Crescendo aus Schlagzeug und Gitarre untergeht, bevor die erste CD mit der reduzierten Akustiknummer „The Daughter Brings The Water“ ausklingt. Das von der Yeah Yeah Yeahs-Sängerin Karen O vorgetragene folkige „Song For a Warrior“, das das zweite Album eröffnet, wirkt – wie schon an anderer Stelle bemerkt wurde, trotz des brachialen Textes („use your sword, use your voice and destroy, and destroy, then begin again“) etwas deplatziert, was vielleicht (auch) daran liegen mag, dass die Swans in ihrer jetzigen Inkarnation eine extremst maskuline Band, die kein bisschen das ist, was von manchen Personen mit dem äußerst unschönen Wort “durchgegendert” bezeichnet wird. „Avatar“ dagegen ist ein weiterer von Phil Puleos und Thor Harris’ Perkussion geprägtes Stück; die beiden erzeugen eine wahre Klangmauer, in die Giras vergleichsweise milder Gesang einbricht. „A Piece Of The Sky“ beginnt mit unidentifizierbaren knisternden Klängen, bevor Jarboes Vokalfragmente und dann dichte Streicherdrones einsetzen. Nach etwa zehn Minuten Experiment beginnt dann ein Song, den man fast auf einem der Ende der 80er, Anfang der 90er Jahre verröffentlichten Alben verorten könnte, die die melodischste Phase der Bandgeschichte dokumentieren. Aber auch hier ist der Text weit von Entspannung entfernt: „in the blood of the swans as the sun fucks the dawn“. Abgeschlossen wird das Album von “The Apostate“, das nach einem mehrminütigen Vorspiel zu einer aus Perkussion und Gitarren bestehenden Klangwand wird und an dessen Ende Gira singt, stammelt und in Zungen spricht: „We’re on a ladder to god / we are blessed! We are blessed! Fuck! Bliss! Fuck! Bliss!“

Kürzlich meinte Gira: „the actual, human-generated sounds are what interest me. I don’t really like music that isn’t made physically by a human being. I like some electronic music, but I really like performers that, kind of… have to struggle. It’s like working on the road gang, or something.“  In diesem Zitat steckt vieles drin, was die Swans ausmacht(e): Die Betonung des „Ringens“ und das (sowohl für die Musiker als auch für die Zuschauer und Zuhörer) extrem Physische der Musik. Man könnte jetzt ein Riesenfass aufmachen und das Dionysische der Musik betonen, Georges Bataille aus dem Hut zaubern und das Erreichen von Ekstase und Transzendenz durch Entgrenzung und Überschreitung thematisieren, aber vielleicht führt das alles zu weit und es reicht zu sagen, dass „The Seer“ ein Album ist, das das besitzt, was gute Musik ausmachen sollte: Es ist aufregend! Und obwohl die Texte des Albums von einer Lichtmetaphorik durchzogen sind, sollte man bedenken, dass auf dem Cover von Coils “Love’s Secret Domain” zu lesen war:„out of light cometh darkness“. Nach dem Hören von „The Seer“ kann man das glauben. Falls Gira dann der “Seher” des Titels ist, ist er ein Haruspex.

(M.G.)

Label: Young God Records

Band: Facebook