SWANS: Leaving Meaning

Wer ursprünglich glaubte, Michael Giras Insistieren, dass es sich bei der Wiederbelebung der Swans vor knapp zehn Jahren nicht um eine Reunion, sondern um eine „reconstitution“ handele, sei bloß eine semantische Spitzfindigkeit, den sollten die in den letzten Jahren entstandenen Alben und insbesondere die Auftritte eines Besseren belehrt haben: Das erste Album der neuen Formation „My Father Will Guide Me Up A Rope To The Sky“ basierte auf Songs, die Gira ursprünglich für sein Folk/Americana-Projekt Angels of Light geschrieben hatte und auch wenn das eine beeindruckende und wuchtige Rückkehr war, so bewegte man sich weitgehend noch im herkömmlichen Songformat. Die darauf folgenden drei Doppelalben „The Seer“, „To Be Kind“ und „The Glowing Man“, die sich durchaus als Trilogie verstehen lassen, lösten sich mit ihren eruptiven Stücken, die auch schon einmal eine halbe Stunde lang sein konnten, davon und auf den dazugehörigen Touren verzichtete man weitgehend darauf altes Material zu spielen. Die zwei bis drei Stunden dauernden Auftritte waren eine für Band wie Publikum physische Erfahrung bis an die Grenze zur Erschöpfung und es dürfte wohl kaum jemanden gegeben haben, der davon unberührt geblieben wäre.

Als Gira vor Veröffentlichung von „The Glowing Man“ verkündete, die Swans in dieser festen (Band-)Form aufzulösen und auf künftigen Veröffentlichungen mit einem losen Kollektiv von Musikern zu arbeiten, mag das nur konsequent gewesen sein, denn ähnlich wie man sich Ende der 90er fragen konnte, was nach dem monumentalen, fragmentierten und fragmentarischen „Soundtracks for the Blind“ kommen solle/könne, schien auch nun ein Stadium erreicht worden zu sein, das nicht mehr zu halten war und nicht mehr überboten werden konnte.

Verglichen mit den letzten drei Doppelalben ist „Leaving Meaning“  (zumindest partiell) etwas zurückhaltender, weniger eruptiv, was schon mit dem kurzen Intro „Hums“ deutlich wird. „Annaline“ ist mit seinen vereinzelten Pianotönen ein ruhiges nachdenkliches Stück, bei dem Giras Gesang und die ganze Stimmung an seine Arbeit mit Angels of Light erinnern. Dagegen knüpft das treibende und repetetive „The Hanging Man“ – nicht nur aufgrund des Titels – mit seinem Zusammensiel von Perkussion und Bass an die letzten Alben an. Gira ruft (an): „Healer, come here soon“ und lässt den 11-Minüter mit den fast homophonen Ausrufen „NOT! SHOT. NOT. THOUGHT. KNOT! NOT! “ enden. Ursprünglich auf „Love Of Life“ veröffentlicht und für „Leaving Meaning“ neu arrangiert und instrumentiert, ist „Amnesia“ ein ruhiges von Akustikgitarre dominiertes Stück mit hymnischen Backing Vocals von Anna and Maria von Hausswolff. Auf dem Titelstück erschaffen die Australier von The Necks eine ruhige, leicht angejazzte Klangfläche, zu der Gira „I can see it / but not see it. I can feel it / but not keep it. I can touch it / but not hold it. I can be it / But not know it. I can reach it / But won’t touch it“ intoniert, um am Ende dann aber die Aufforderung zu geben: „Let’s go! Glorious“. Das drastisch betitelte, zehnminütige „Sunfucker“ reiht sich in die lange Liste der Stücke mit Sonnenmetaphorik ein und erinnert mit seiner unruhigen, dichten Klanglandschaft, zu der ab der Hälfte wuchtige Perkussion dazukommt, an die letzten Aufnahmen und wenn es heißt:„Surrender, surrender, go under bright water. The flooding is coming, give up to Sun Fucker. The naked, the crawling – they become us while burning “, dann kann man das fast als Beschreibung der Auftritte der Swans der letzten Jahre sehen. Selbst in seiner Demoversion ist das Stück irritierend. Einen Moment des Innehaltens gibt es auf „Cathedrals Of Heaven“. Auf dem 12-minütigen „The Nub“, wieder mit The Necks, entsteht eine melancholische Klangfläche, “expansive soulscape”, heißt es auf dem neuen Album, zu der Baby Dee hypnotisch singt. „What Is This“ könnte man sich auch auf einem Angels Of Light-Album vorstellen. Beendet wird das Album von dem harschen und von karger Perkussion durchzogenen „My Phantom Limb“, auf dem die spoken words von Gira fast schon programmatisch klingen: “The imbecile is sacred. My spit in the dust is sacred.Your lover’s sentient hand is sacred. Fucking is sacred. Music is sacred.To give up is sacred. Silence is sacred. Mindlessness is sacred.”

Wenn als Kritikpunkt gegen dieses Album vorgebracht wird, die Welt, die Gira in seinen Texte beschreibe, sei keine schöne, dann sagt das vielleicht mehr über den Rezensenten als über die Qualität dieses Doppelalbums und vielleicht mag man sagen, dass das neue Album „verdaulicher“ als die letzten ist, aber die wohlwollend attestierte „fast beschwingte Geisterbeschwörung.“ trifft es nicht, denn dafür ist “Leaving Meaning” im positivsten Sinne zu ver-störend.  (MG)

Label: Young God Records (USA) / Mute