Musikalische Biotope, die teils aus raumzeilichen Bedingungen, zum Teil aber auch durch das Zusammenwirken von Zufallsfaktoren entstehen, sind eine feine Sache, und wenn der Hauptbezugspunkt ein geografischer ist – warum nicht? Relativ übersichtliche Zentren sind Städte, und so gibt es – bei aller Ungenauigkeit, sie solche Bezeichnungen mit sich bringen – einen Bristol-Sound und einen Denver-Sound, die Genialen Dilettanten in Berlin und die Hamburger Schule des sogenannten Diskurs-Pop.
Im deutschsprachigen Raum tat sich gerade in den 70er und 80er Jahren nicht wenig, und vielen Hörern ist heute kaum mehr bewusst, wie sehr Phänomene wie Krautrock oder die damit einhergehende Elektronische Avantgarde der Seventies und, nach dem vom Punk eingeleiteten Paradigmenwechsel, NDW und Post Punk eine Kontinuität bildeten. Eines der wichtigsten Zentren in dieser Zeit war die Stadt Düsseldorf, und dieser Tage dokumentieren Groenland Records dies zum zweiten mal auf einer Compilation, und präsentieren bekannte und obskure Acts aus der Stadt am Rhein, die mit Geräten, die auf Namen wie Roland, Korg und Moog hörten, der Musik ihrer Zeit neue, zum Teil durchaus revolutionäre Impulse gaben.
Zu den bekanntesten Figuren dieser Szenerie zählt das Duo Michael Rother und Klaus Dinger, deren Stammband Neu! diesen Übergang vielleicht am besten repräsentierte. Mit „Isi“, das ihr 75er Album eröffnete, ist eines ihrer besten Stücke vertreten, trotz des nach vorn platschenden Rhythmus fließt der Song entspannt dahin, gekonnt changiert der analoge Keyboardsound zwischen verträumter und aufgeweckter Stimmung. Verfolgt Rothers Solostück „Karussell“ die traumwandlerisch ambiente Richtung weiter, ist Dingers Folgeprojekt La Düsseldorf, das seine Heimatstadt inklusive der launischen Fortuna besingt, schon weitaus näher am klanglich meist organischeren Postpunk.
Diesem ist die sprachspielerische Kritik am Computerhype von Der Plan ebenso verpflichtet wie DAFs Coverversion der „Kebabträume“ und Rheingolds „Fluss“, dessen bildreicher Text den Weg des fließenden Wassers mit (elektronischer) Musik vergleicht. Fällt das schöngeistiges „Abendlicht“ des so früh ums Leben gekommenen Wolfgang Riechmann wieder komplett aus der Reihe, so sind auf EBM vorausweisende Tracks wieder ganz klar Musik der 80er: „Zwei Herzen, ein Rhythmus“ der Krupps, Liaisons Dangereuses mit hektischem französisch und einem furiosen Saxophon, Robert Görls Schmachtfetzen „Darling, Don’t Leave Me“ im Duett mit Annie Lennox.
Interessant ist, dass eine weitere Kategorie an Songs, die etwas an Cold Wave erinnern und auf den in den 90ern beliebten „Banshee“-Samplern eine gute Figur gemacht hätten, von etwas unbekannteren Acts stammen. Am zumindest unter Auskennern noch bekanntesten dürften Pyrolator sein, von denen hier eine augenzwinkernden Charakterstudie namens „Max“ zu hören ist. Topolinos, die hier dem (selbstverständlich ebenfalls augenzwinkernden) Orientalismus frönen, sind heute wesentlich obskurer als Propaganda, mit denen es personelle Überschneidungen gab. Von Teja Schmitz, der nur eine 7” gemacht hat und in der Szene v.a. als Friseur beliebt war, wurde eine schräge, soundartige New Wave-Perle der Vergessenheit entrissen
Nachdem der erste Teil im Zusammenhang mit der gleichnamigen Suhrkamp-Monografie Rudi Eschs (der selbst Mitglied bei Die Krupps ist) erschienen ist, begleitet der zweite die englische Übersetzung des Buches und gibt als diachroner Längsschnitt einen interessanten Einblick in die musikalischen und themenbezogenen Interessen einer lokalen Subkultur.
Schmunzeln muss man hier und da bei den etwas angestaubten Texten über Hifi und Computer mit den damals hippen, heute jedoch etwas hausbacken und weltfremd wirkenden Begriffen, oder wenn Pyrolators Frontmann filmreif „walkmään“ croont – ein durchaus liebenswürdiger Effekt, der sich mit der Zeit immer einstellt, wenn ein Werk allzu kurzlebig-neumodische Themen aufgreift. Wenn ihr also mal Kult werden wollt, singt voll ambivalenter Inbrunst kulturpessimistische Texte über Tinder und Instagram! Der einzige Wermutstropfen freilich ist, dass die berühmteste Düsseldorfer Elektronik-Band auf beiden Samplern nicht vertreten ist. (J.G.)
Label: Groenland