V.A.: El Hombre es el Animal

Man is the Animal – so heißt es am prägnanten Versende eines der beliebtesten und meistgecoverten Coil-Songs, nämlich “Fire of the Mind”, das 2005 auf “The Ape of Naples” das Licht der Welt erblickte. Coils Texte waren trotz einer deutlichen Hermetik stets auch von einer fast sloganhaften Klarheit, viele Stücke, auch besonders das an Anspielungen reiche “Fire of the Mind”, enthielten ganze Reihungen an Wendungen, die Stoff für Bandnamen oder Titel aller Art hergeben würden. Manche mögen dabei eine gewisse Unterdeterminiertkeit übersehen. Dass der Mensch das Tier ist, wurde garantiert häufig auf die beliebte moralisierende Misanthropie heruntergebrochen, ungeachtet dessen, was eine Zeile zuvor über Engel gesungen wird.

Wie dem sei, unter dem Motto, das im Spanischen “El Hombre es el Animal” lautet, hat das in Madrid ansässige Label Contubernio jüngst eine Tribute-Compilation zusammengestellt, auf der schwerpunktmäßig spanische Vertreter zum Teil rhythmischer Elektronik versammelt sind. Alles in allem heißt das aber sehr unterschiedliches, denn abgesehen von ein paar beeindruckenden Ausnahmen reicht die Bandbreite von dancigen Technobeats über Bodymusic der alten Schule bis hin zu lärmenden Soundtracks voll mit originellen Soundideen. Die ausgewählten Coil-Songs stammen aus allen Phasen der Bandgeschichte, die auf unseren Seiten erst kürzlich wieder Thema war.

Birds and Cages – ich halte mich hier nicht and die Reihenfolge der Tracks – verkörpern tanzbaren Techno am ehesten in Reinkultur und sollten mit ihrer Version von “Going Up”, bei der Melodie und Sound des Originals gut herauszuhören sind, ein Tipp für alle sein, die 90s nicht als Schimpfwort betrachten. Viele Beiträge sind EBMlastiger und brechen die Musik schon ein wenig auf griffige Strukturen herunter, machen sie eingängiger, ohne sie – soviel Entwarnung sei gegeben – vollends zu entmystifizieren. DVRA LEX aus dem Umkreis des Labels huldigen den Amethystfälschern mit einer schlüssigen, knarzig-forschen Version des nach ihnen benannten Stücks. Mit einem stoffeligen Vomito Negro-Rhythmus und einer leicht stockenden Frauenstimme interpretieren Fundición Electrónica “Heaven’s Blade” derart frei, dass man den Bezug überhören könnte, achtete man nicht auf die Vocals. Mit crunchy Synthies ist Professor Mantis in seiner “Penetralia”-Version recht nah am Original der “Horse Rotorvator”, dessen brachialer und zugleich schleppender Beat immer an eine mögliche Metal- oder No Wave-Version denken ließ – ein Subtext, der auch hier durchscheint, aber (zum Glück?) nicht verwirklich wurde.

Synthie-Veteran Igor Casayjardin führt das kurze, aggressive “Clap” von der “Scatology” mittels Entschleunigung auf seine subtilen Strukturen zurück, was bei Coil-Interpretationen gerne etwas häufiger vorkommen dürfte. Düster und rituell-perkussiv sind die beiden Umsetzungen aus dem “Hellraiser”-Kosmos geraten – ein Kapitel, das Coil damals vielleicht gerade wegen der Ablehnung ihres wohl doch zu sperrigen Soundtracks, dessen subtile Arrangements in Wirklichkeit wohl nur wenige verschreckt hätten, zusätzlichen Ruhm bescherte. Turnavel gibt dem Hauptthema vom Sound her eine gewisse Breitband-Tauglichkeit und überblendet den Score mit Zitaten von Clive Barker und Georges Bataille. Tube Tentacles nimmt sich mit analogen Gerätschaften einen weiteren Abschnitt des Soundtracks vor und transformiert diesen in wellenförmiges Rauschen. Unter dessen Oberfläche tut sich aber einiges, Melodiefragmente sind ebenso zu hören wie der Sound von Propellern, Schreie und zum Ende hin purer Noise. Wer aus den Liner Notes erfährt, dass der Musiker bereits mit M.B., The Haters und Govt. Alpha an den Reglern stand, ahnt, wie der Hase läuft.

Eine Reihe weiterer, meist songorientierter Stücke orientieren sich gut erkennbar an den Originalen, so eine mit Sprachsamples und Vocoder ergänzte Version von “Triple Sun” des Duos Felix Bouvier und Tronald Dump, oder Ô Paradis’ elegische Umsetzung des fast naiv-klaren “A Cold Cell”, das sehr von der unbeantwortbaren Frage lebt, ob es buchstäblich gemeint oder eher als Allegorie auf die alltägliche Existenz als Knast und Exil zu verstehen ist. “Restless Day” erfährt bei der Band mit dem Namen Reserva Espiritual de Occidente eine folkig-monumentale Auferstehung, bei der man meinen könnte, Rose McDowall zu hören. Neben Artik Falls, die den Stoff von “Ostia” in einen Popsong a la Talk Talk überführen, und Lumes verspielter Hommage an “Teenage Lightning” nähern sich Comando Suzie der spukhaften Moon Music von “Where Are you?” besonders kreativ an, in dem sie das von John Balance so ergreifend apostrohierte Schattenkind, den Poor Little Ghost Boy antworten lassen. Die insgesamt akustischere Gestalt des Songs geht wohl zum Großteil auf Eva Grace zurück, die seit einigen Jahren ein fester Bestandteil des katalanischen Projektes ist.

Dass die Sammlung mit einer eher zerfledderten Version des Titelsongs schließt, bei der Tom Esmitz a.k.a. Milf Burray die Ohrwurmmelodie nur andeutungsweise in den experimentellen Arrangements erkennen lässt, zeigt noch einmal, wie viel unterschiedliches kreative Musiker aus Coil herausholen können, wenn sie die Stücke respektvoll gegen den Strich kämmen. Die hier versammelten Interpreten decken letztlich ein relativ großes Spektrum ab, und da niemand versucht, die Originale blos mit simpleren Mitteln nachzuspielen, ist die Sammlung in jedem Fall gelungener als diverse Dark Ambient-Tributes im letzten Jahrzehnt (die Coil m.E. immer noch ein würdigeres Nachleben beschert hatten als die Fetischisierung noch der irrelevantesten Restposten aus dem Nachlass der Band, aber das ist freilich ein anderes Thema).

“El Hombre es el Animal” ist bislang digital erhältlich, für die nähere Zukunft ist ein Tape in Planung. Könnte ich zaubern, gäbe es schon bald einen zweiten Teil unter dem Titel “La superficialidad constante conduce al mal” – enthalten wäre eine treibende “Panic”-Version von Coagul und Escama Serrada mit “Constant Shallowness” in Kurzform. Niedowierzanie würde “Lorca not Orca” auf der Mandoline covern, und von Rosa Solé gäbe es eine kammermusikalische Version von “Titan Arch”. (U.S.)

Label: Contubernio