Ursprünglich 2017 als zweites Album in Eigenregie des nach einer von Hildegard von Bingen erfundenen Schrift benannten Projekts von Kristin Hayter veröffentlicht, kommt nun auf Profound Lore eine leicht erweiterte Version des in einem „shed in the woods“aufgenommenen Albums heraus. Hayter selbst bezeichnet “All Bitches Die” als “retribution” und jede Zeile der von biblischer Metaphorik durchzogenen Texte illustriert das: Das Projekt Lingua Ignota knüpft an eine Uniarbeit Hayters an und soll „misogynist content as biblically vitriolic anthems for survivors of domestic violence and sexual assault“ rekontextualisieren.
Wenn man die klassisch ausgebildete Hayter singen und schreien hört, dann muss man vielleicht unweigerlich an eine griechischstämmige Amerikanerin denken, die einmal “wilde Frauen mit Steakmessern” besang. Musikalisch gibt es sicher Unterschiede, aber über den hier evozierten Zorn und die Rachefantasien gibt es sicher eine Reihe von Anknüpfungspunkten – so sampelt Hayter auf zwei Stücken die amerikanische Serienkillerin Aileen Wuornos, der Diamanda Galas einmal ein Stück und mehrere Konzerte widmete. Im Zeitalter von #Me Too ließe sich Hayter sicher eher im Lager derjenigen situieren, die „weibliche Potenz“ fordern. Hayter selbst sagt: „The music is about reclaiming power that has been stolen.“ Camille Paglia schrieb einmal: “Yes, we are indeed formed by traumas that happen to us. But then you must take charge, you must take over, you are responsible.”
Der Opener „Woe To All (On The Day Of My Wrath)“ beginnt mit wuchtigen perkussiven Schlägen, dazu schreit Hayter markerschütternd und nähert sich mit ihrem Gesang dem Black Metal an. Nach fünf Minuten ändert das Stück jedoch die musikalische Ausrichtung und es setzen zaghafte Klavierpassagen ein, zu denen Hayter singt. Aus einer persönlichen Vendetta wird ein apokalyptisches Szenario: „The teeth of seven thousand men adorn my silver crown […] Every mountain shall crumble […] woe to all who inhabit the earth”. Das Stück endet in einer Kaskade aus Glöckchen und atonalen Bläsern (?). „God Gave Me No Name (No Thing Can Hide From My Flame)“ besteht aus sakralem Gesang, Orgelspiel und dissonanten Verzerrungen im Hintergrund : “Shoot to kill/No sickness spreads like mine will”. Auf dem Titelstück singt Hayter primär vom Klavier begleitet und “All Bitches Die (Bitches All Die Here)” weist textlich und von der Art des Vortrags Blueseinflüsse auf: “Sinner you’d better get ready/Hallelujiah/For the time is coming that the sinner must die“. “For I Am The Light (And Mine Is The Only Way Now)” beginnt mit einem Sprachsample und knüpft dann mit dem wütenden Gesang und den verzerrten Orgel- und Klavierpassagen an den Anfang des Albums an. Das ist ein beeindruckendes sakrales Stück (von “liturgical noise” spricht die Kollegin von Vice): „I repay evil with evil”. Es folgt die Anrufung eines strafenden Gottes: “Frigid Father/I beg of you from a throat raw with curses/By your almighty grace intercede for me/Console me with blood”. Mit „Holy is the Name (Of My Ruthless Axe)“, fast schon eine Klavierballade, wird das Album auf getragene, fast todtraurige Weise beendet, wobei die Wut sich weiterhin textlich manifestiert: “All my rapists lay beside me/All my rapists still and grey”.
Das ist nicht nur auf Tonträger, sondern auch live durchaus beeindruckend, auch wenn man auf ihrer aktuellen Tour mit The Body den Eindruck hatte, dass (nicht nur) Männer ihren Auftritt, auf dem die Grenze zwischen Künstlerin und Publikum partiell niedergerissen wurde, zu sehr selbstgefällig als transgressives Spektakel goutierten und weniger als eine authentische und teilweise im positivsten Sinne irritierende Artikulation von „Lärm und Wut“. (JM)
Label: Profound Lore