SIEBEN: Crumbs

Matt Howden war schon zufriedener mit seinem Land und seiner Zeit. Dieser Tage jedenfalls hadert er so sehr, dass er seinem Ärger, seiner Hoffnungslosigkeit, aber auch seiner Zuversicht ein kraftstrotzendes, raues, an manchen Stellen geradezu punkiges Sieben-Album namens “Crumbs” gewidmet hat.

Moment mal, Sieben, Matt Howden – war das nicht der Geiger, den man immer mit anheimelndem Darkfolk in Verbindung brachte, der am laufenden Meter von herbstlicher Schwermut durchdrungene Songs produziert und, wie es sich für einen Spätromantiker gehört, Keats und Byron vertont hat? Jein, denn Folk war bei Sieben immer nur eine Komponente unter vielen, zwischen seinen schönen dunklen Popstücken fanden sich schon immer – v.a. auf “Desire Rites” – kämpferische Songs, und der Byron, den er porträtierte, war der sterbende Freiheitskämpfer im griechischen Missolonghi.

Zu “Crumbs” kann man sagen, dass es vom Stil her die Linie seit “The Old Magic” fortfährt, die einen deutlichen Bruch zur klassischen melodischen Phase, die von “Our Solitary Confinement” bis “Each Divine Spark” reichte, einleitet. Seitdem wurde der Sound trockener, grober, spröder, von den Melodien kann man ähnliches sagen, und der Druck, der über das angezogene Tempo in die nach wie vor repetitiven Songs kam, ist kaum zu überhören.

Ging es in “The Old Magic” und den vorausgegangenen EPs um Spuren des Primordialen im heutigen Nordeuropa, so ist “Crumbs” eine trocken disseitige Kampfansage an so manche Unart unserer Zeit, und wie es bei einem so druckvollen Album sein muss, zählen dazu einige Nachlässigkeiten, wie etwa die resignierte Zufriedenheit mit den Brosamen von den Tischen der Bonzen, die im Titelsong verhöhnt wird, aber auch die sich selbst als mutig feiernde, aber letztlich feige Untergangsstimmung der Dauerschwarzmaler, der im Opener “I will Ignore the Apocalypse” eine derbe und dreckige Absage erteilt wird. Und wer weiß, vielleicht steckt in dem Titel auch eine kleine Spitze gegenüber den Versuchen, Siebens seit jeher eigenwillige Musik in die Schublade “apokalyptischer” Musikgenres zu stecken.

Bei all dem wird keineswegs ein intellektueller Diskurs entfacht, sondern Wut, und wenn in “The Overlords are Back” ein Reset für unseren Planeten gefordert oder in “Here is the News” ein neuer kalter Krieg mit immer idiotischeren Machthabern an den zentralen Schaltstellen besungen wird, passt es ganz gut, dass es sich dabei um punkige Pogonummern handelt, bei denen die geloopte Violine verzerrt ertönt – wenn Howden sich in einem der textlastigeren Stücke als “Liberal Snowflake” präsentiert, wirkt das unter den Umständen fast ironisch, aber bei genauerem Hinhören wirkt auch dieses Bekenntnis zu sozialen Werten wie ein trotziger Akt. Zumal es inhaltlich sowieso passt.

Die Grundstimmung des Albums ist dynamisch und pulsierend, an einigen Stellen dreht Howden, verglichen mit früheren Aufnahmen, stark an der Geschwindigkeitsschraube – auch manchmal innerhalb der Songs, was für solide Verfremdung sorgt, und bei dem mit hypnotisch pochenden Beats, Rasseln und verfremdeter Stimme präsentierten “Is it dark enough?” erinnert Sieben fast ein wenig an den Techno mit Rockinstrumenten, wie ihn Bands wie Nisennenmondai spielen. Rock im engeren Sinne findet sich in den zwei Bonusstücken mit Bandbegleitung, aber auch in der Soloversion des herausragenden “Coldbloods”, bei dem die Violine, wenn ich denn nichts überhöre, Riffs, Rocksoli, Rauschen und coole Midtemporhythmen im Alleingang hevorbringt. Und auch hier wieder wundert man sich über das, was schon immer überraschend war – nämlich dass Howden es schafft, mit wenigen Mitteln eine derartige Opulenz zu erzeugen.

Fest steht, dass The Mighty Sieben als satirischer Antiheld im Tweed-Suit in Bestform ist, und ich hoffe, dass das langsam mal eine etwas größeren Hörerschaft erreicht. (U.S.)

Label: Redroom