BABY DEE: A Book of Songs for Anne Marie

Die meisten dürften wissen, dass „A Book of Songs…“ nicht der wirkliche Nachfolger zu dem 2008 auf Drag City erschienenen „Safe Inside the Day“ ist, handelt es sich doch um eine Überarbeitung und Neuinterpretation – und nicht um eine Wiederveröffentlichung, wie in einigen Rezensionen fälschlich zu lesen war – des 2004 auf Durtro in einer Miniauflage von 150 Exemplaren veröffentlichten gleichnamigen Albums.

Dee sprach vor einigen Jahren in einem Interview, das ich mit ihr führte, davon, dass die Lieder auf „Songs for Anne Marie“ schmuddelige kleine Kinder seien, damit auf das etwas Unfertige des ursprünglichen (von ihr allein in mehr oder weniger einem Take eingespielten) Albums anspielend, eine Metaphorik, die im Booklet  aufgegriffen wird, wenn David Tibet, der die erste Version veröffentlicht hat, als Ersatzvater und Maxim Moston, der das Album jetzt neu instrumentiert und produziert hat, zum geliebten und sich sorgenden Onkel wird, der die Kinder jetzt in ihren besten Sonntagsanzügen in die Welt entlässt.

Befanden sich auf den ersten Alben Dees („Little Window“ und “ Love’s Small Song“ – beide ebenfalls auf Durtro erschienen) getragene, mininal mit Klavier und/oder Harfe eingespielte Stücke, die einen von der Stimmung etliche Jahrhunderte zurückkatapultierten, fanden sich auf „Safe Inside The Day“ erstmals auch die grotesken Cabaret- und Vaudeville-Nummern (es ist kein Zufall, dass eines der stärksten Stücke von „Safe Inside the Day“ – das auf Goethe verweisende „The Earlie King“ – kürzlich auf einer Kompilation namens „Twisted Cabaret“ veröffentlicht wurde), die auf ihren Konzerten für Heiterkeit und ungläubiges Staunen sorgten. Dee sang bei ihren Auftritten von Grizzlybären, die die Unterwäsche von Mormonen schätzten, Inkontinenz oder aber, dass Jesus „deinen fetten Arsch in der Hölle schmoren lassen“ werde. Diese Elemente wurden auf dem mit Maxim Moston, Andrew W.K., William Breeze, John Contreras, Matt Sweeney und Will Oldham  hervorragend besetzten Album partiell aufgegriffen und es spricht für Dees Qualitäten, dass diese Mischung aus grotesken und ernsten und getragenen Stücken wunderbar funktionierte.

Verglichen mit diesem Album muss „A Book of Songs…“ auf den ersten Blick wie ein Rückschritt wirken, knüpft das Album von der Stimmung doch an die Stücke ihrer ersten beiden Studioalben und der EP „Made for Love“ (von der sich das Stück „Morning Fire“ jetzt auch auf „A Book of Songs…“ findet) an. Das von Maxim Moston mithilfe von John Contreras, Rob Moose und anderen neu instrumentierte Album (u.a. kommen Cello, Geige, Trompete und Mandoline zum Einsatz) klingt natürlich fertiger als die erste Version. Interessanterweise gibt es aber (ganz) kurze Momente, die durch die zusätzliche Instrumentierung fast schon zu gefällig klingen, z.B. „Lilacs“; anderen Stücken hingegen fügen die Streicher eine noch größere Tiefe und Intensität hinzu („Black but Comely“).  Insgesamt klingt  das Album sehr geschlossen und homogen, es wird zudem mit jeder Zeile deutlich, dass Dee eine begnadete Texterin ist und wenn sie singt „As sunlight comes to sorry stone/So come, my love/And take this sorriest stone of all/To find a grateful place” (“A Book of Songs for Anne Marie”) möchte man einfach nur dahin schmelzen. Dabei dürfte deutlich werden, dass Dee trotz ihrer Qualitäten als Songschreiberin nie in einem Maße Alben verkaufen wird wie Antony oder gar wie selbiger dazu eingeladen werden wird, ein Lied für Lavazza zu singen, dafür ist ihr Gesang zu eigen, zu sehr gegen den Strich gebürstet, changiert er doch zwischen barockartigen Intonationen und einem Meckern, das sie auch gerne live unter Beweis stellt. Auch dürfte ihr Auftreten mit Springerstiefeln und Micky Maus-Pulli nicht jedermann goutieren (können). Es mag bezeichnend sein, dass Dees Auftritt im Krefelder Hof Gäste wie Bedienstete – die sich unter einem Harfenkonzert etwas anderes vorgestellt hatten –  sehr irritierte. Das spricht aber natürlich nicht gegen Dee (sondern vielmehr für sie).

Fast am Ende des Albums heißt es: „No more sad songs, no more/No more night skies, I’ve got a sunrise“ und natürlich: Wer dieses Album besitzt, hat die Möglichkeit einem Sonnenaufgang beizuwohnen, bei dem man sich völlig der Melancholie hingeben kann. Wem bei diesem Album nicht die Tränen kommen, der hat kein Herz.

(M.G.)

Label: Tin Angel Records