CYCLOBE – Interview

1999 veröffentlichten Ossian Brown – damals noch Simon Norris – und Stephen Thrower ihr Debüt “Luminous Darkness“, ein zwar fragmentarisches, aber atmosphärisches Album, auf das 2001 “The Visitors“ folgte, ein elektro-akustisches Meisterwerk. Im Rahmen von “Angry Eelectric Finger“ bearbeiteten CYCLOBE das Ausgangsmaterial von NURSE WITH WOUND so sehr, dass sie diese Veröffentlichung als ihr eigentlich drittes Album betrachten. Am 20 April 2007 war der bislang weltweit einzige Auftritt des Duos CYCLOBE in der Minoritenkirche in Krems an der Donau zu erleben – eine visuelle und akustische Meisterleistung. CYCLOBE hatten als Eröffnungsakt große Erwartungen zu erfüllen, die sie mit einem Set aus elektroakustischen Kollagen und atemberaubender Videoinstallation voll und ganz erfüllten. Für den ca. einstündigen Auftritt ließen sich Stephen Thrower und Ossian Brown von Thighpaulsandra an Synthesizern und Cliff Stapleton an der Drehleier unterstützen.

Am Tag nach dem Auftritt hatten wir die Gelegenheit bei schönstem Wetter im Park eine entspannte halbe Stunde lang mit Stephen Thrower und Ossian Brown über ihren Auftritt, die Vergangenheit und die Zukunft zu sprechen.

Als ich damals ein Interview kurz nach der Veröffentlichung von “The Visitors“ gemacht habe, meintet ihr bezüglich von Auftritten, dass es eine ganze Weile dauern könne, da es langweilig sei, sich Leute hinter Laptops anzuschauen. Was hat sich für euch in der letzten Zeit da getan?

Ossian: Die Vorstellung, live aufzutreten, hat uns lange Zeit Angst eingejagt.

Stephen: Ich bin da relativ ruhig, aber Ossian ist etwas nervös. Ich denke, wir haben erkannt, dass wir weitere Instrumente einsetzen können. Wir machen keine Auftritte, die ans Theater erinnern, aber es gab gestern immer noch eine Menge zu sehen: Akustische wie elektronische Instrumente. Zusätzlich haben wir dann noch visuelle Elemente eingesetzt.

Ossian: Wir verwenden Frosch- und Vogelgeräusche, synthetische Klänge, akustische Instrumente.

David Knight hat mal gesagt, wenn er daran interessiert sei, sich anzuschauen, wie Personen hinter Laptops sitzen, könne er in ein Bürogebäude gehen.

(Lachen )

? Ich habe den Eindruck, dass das Liveset gestern sehr organisch war. Es scheint so etwas wie eine elektro-akustische Sprache zu sein, die etwas erzählt.

Stephen: Wenn es so etwas wie eine abstrakte Erzählung gibt. Das ist eine witzige Art zu beschreiben, was wir tun. Wir erschaffen so eine Art von dramatischen Strukturen, auch wenn sie sich nicht an beschreibbare Ereignisse anknüpfen lassen oder es eine präzise Erzählung ist. Aber es gibt so etwas wie eine Entwicklung und Veränderung.

Ossian: Man geht durch verschiedene Räume, unternimmt Reisen.

Habt ihr gestern Teile des neuen Albums gespielt?

Stephen: Das letzte Stück ist von dem neuen Album. Die anderen Stücke waren entweder….

Ossian: “Remember, Archangels  Protect Us“

Stephen: Das stammt von einer sehr limitierten Single, die auf Klanggalerie veröffentlicht worden ist. Aufgrund der Limitierung werden sie wenige gehört haben.

Die Visuals  mit diesen Schwindel erregenden Naturmotiven waren toll- Woher stammen sie, wer hat sie produziert?

Stephen: Es waren Filme von Anna Thew. Es gab einen mit vielen Blüten, die sehr schnell umeinander rotierten und einen anderen mit Winterbäumen…

Ossian: Sie hat eine ganze Serie dieser Filme gemacht – ein Film für jede Jahreszeit.

Stephen: Sie ist Filmemacherin und verwendet meist Super 8 Material, arbeitet sehr viel mit Doppelprojektionen und Überlagerungen von Motiven.

Manches sah so in etwa aus wie “The Blair Witch Project“ auf Ecstasy.

Stephen: Das hat Simon gemacht.

War es die Absicht, dass es etwas bedrohlich wirkt?

Stephen: Eher wie im Delirium. Wir wollten ein paar Schwindel erregende und exzessive Bilder haben. Die Bäume tanzen nachher fast. Ich habe Anna kennen gelernt, weil sie eine Freundin von Derek Jarman war. In den frühen 90ern  sollte sie für Channel 4 einen Film über Safer Sex drehen. Damals war Channel 4 so etwas wie ein alternativer Sender und sie machte diesen Film, in dem eine Menge Erektionen zu sehen waren und die sie nicht auf Channel 4 zeigen konnten. Mit meiner alten Band IDENTICAL habe ich Musik für diesen Film gemacht.

Ihr wisst ja, dass man in Japan keine Schamhaare zeigen darf und ich habe eine asiatische DVD von Jörg Buttgereits “Nekromantik 2“ und die ganzen drastischen Szenen sind ungeschnitten, aber der Genitalbereich ist gepixelt.

Stephen: Die haben keine Probleme mit Gewalt. Es gibt diese völlig wahnsinnigen S/M-Sachen.

Ossian: Kürzlich haben wir ein Exemplar von “La Cinatrice Intérieure“ gefunden, den Philippe Garrel-Film mit NICO und dort war die Nacktheit auch dargestellt, als wenn es eine japanische Veröffentlichung gewesen wäre…

Ihr wart eng mit Derek Jarman befreundet, oder? Das ist eine persönliche Frage, aber ich hätte daran Interesse einen  Film über seinen Garten zu machen. Manchmal mache ich etwas über Garten von Künstlern. Gibt es den Garten noch?

Stephen: Ja, den gibt es noch. Sein Partner [Kevin Collins] lebt dort und pflegt weiterhin alles.

Ossian: Er lebt auch immer noch in dieser Fischerhütte, die ganz bemalt und mit Gravuren versehen ist, ein wunderschöner Ort.

Würdet Ihr sagen, dass Eure Beschäftigung mit Filmen einen großen Einfluss auf den Sound von CYCLOBE hat?

Stephen: Ja, schon. Wir haben immer schon eine Art Soundtrackmusik gemacht und ich habe Fragmente der Musik oft vorher in Filmen wahrgenommen. Es gibt ja Leute, die sagen, wenn du die Musik in einem Film bemerkst, dann ist es schlechte Filmmusik, also wenn sie die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Das ist Blödsinn! Man sagt ja auch nicht, dass, es sich um schlechtes Schauspielen handelt, wenn man die Schauspieler wahrnimmt.

Ossian: Gerade im Filmbereich trifft man auf viele sehr interessante Komponisten, zum Beispiel Ennio Morricone und Howard Shore. Die Italiener sind interessant: Fabio Frizzi ist sehr gut.

Es gibt ja von Howard Shore sehr unterschiedliches Material. Was ist mit minimalistischen Sachen, wie “Crash” von Cronenberg?

Ossian: Wenn man zu den frühen Sounds bei Cronenberg zurückgeht, zum Beispiel “Scanners”, da werden eine Menge Synthesizer verwendet, ein sehr spannender Soundtrack, wunderschön zu hören auch jenseits des Films.

Stephen: Was Soundtracks angeht, ist mir noch etwas sehr wichtiges aufgefallen. Bei Filmen akzeptieren die Zuschauer extreme Avantgardemusik, die sie sich sonst in keinem anderen Kontext anhören würden. Denkt man zum Beispiel an die Originalversion vom “Texas Chainsaw Massacre”… Die Filmmusik dazu ist im Prinzip Musique concrète. Becken werden mit dem Bogen in Schwingungen gebracht, sehr extreme atonale Musik! Nie hat aber jemand da gesessen, das “Texas Chainsaw Massacre” geguckt und hat angeekelt das Gesicht wegen des Soundtracks verzogen.

(verzieht das Gesicht und hält sich die Ohren zu)

Ossian: Nein, im Gegenteil. Viele Menschen reagieren auf eine positive Art und Weise auf diese Musik.

Stephen: Ja, man müsste ihnen eigentlich sagen: Hör dir den Soundtrack mal nach dem Film an, denn im Kontext des Films akzeptieren sie ihn. Es ist einfach interessant, dass sich Filme offensichtlich musikalische Dinge erlauben können, die man kaum in einem anderen Zusammenhang annehmen würde. Auch aus diesem Grund ist Filmmusik für mich sehr interessant.

Ossian: Auch die abstrakten elektronischen Klänge, die man schon seit den frühen 70ern eigentlich bis heute im Englischen Fernsehen (BBC) und dem angeschlossenen Radiophonic Workshop für die Vertonung von wissenschaftlichen Programmen verwendete, sind sehr spannend und beeinflussen uns.

Stephen: Es gibt eine Sciene Fiction Serie im britischen Fernsehen namens Dr. Who, eine Art Fantasy-SciFi-Horror-Amalgam, die seit den frühen 60ern läuft. Und in den 60ern und 70ern wurden alle Sounds im Haus der BBC vom Radiophonic Workshop mit sehr frühen Synthesizern hergestellt, eines der ersten elektronischen Studios.

Ossian: …was vom Staat finanziert wurde…

Stephen: Man kann das mit den elektroakustischen Leuten in Frankreich vergleichen, die ihr eigenes Studio hatten (Studio d’essai am RTF, Paris), um Soundideen umzusetzen. Auf jeden Fall wurde das besagte Familien-Horror-Programm mit einem komplett elektronischen Soundtrack versehen, der außergewöhnlich eindrucksvoll war.

Ossian: …akustisch zum Teil sehr schwer zugänglich…

Stephen: Dem war man dann als 6- oder 7-jähriges Kind ausgesetzt und ich erinnere mich, dass ich dann 20 Jahre später experimentelle Alben hörte und überlegt habe, wie das nur alles angefangen hat. Offensichtlich ist das schon zu Zeiten des Radiophonic Workshops in mein Gehirn gesickert.

Ich erinnere mich an “Forbidden Planet”, den ich als Kind gesehen habe. Das war großartig.

Stephen:. ..ja, diese Filmmusik ist auch so ein Fall..

Das Pendant bei uns war in den 60ern und 70ern das elektronische Studio beim WDR in Köln, Stockhausen leitete es und wagte große Experimente mit Musik und Film.

Stephen: Ja, er war etwas sehr Besonderes.

Ossian: Wir haben festgestellt, dass bei unserer Show die beiden Filme von Anna Thew sich gegenseitig stark beeinflussen und zusammen mit den verschiedenen Stimmungen in unseren Stücken immer wieder neue erstaunliche Momente ergeben. Zum Beispiel färbt der Frühlingsfilm mit seinen Farben den Winterfilm, je nachdem wie stark die Überlagerung stattfindet. Man interpretiert die Bilder dann aufs Neue.

Stephen: So kann man innerhalb eines Augenblicks einen neuen Zusammenhang erzeugen. Wir haben gerade erst angefangen damit zu experimentieren – aber es scheint zu funktionieren.

Hatte die relativ große Pause zwischen eurem zweiten und dem angekündigten dritten Album auch etwas mit dem Bankrot des World Serpent Vertriebs (in London) zu tun?

Vielleicht ein bisschen. Für uns ist die Lücke aber gar nicht so groß, weil wir in der Zwischenzeit das NURSE WITH WOUND-Album [CYCLOBE/NWW: “Paraparaparallelogrammatica“] herausgebracht haben. Wir sehen es eigentlich als so etwas wie unser drittes Album an, da wir sehr viel Arbeit hineingesteckt haben.

Das Ausgangsmaterial von NWW ist auf Eurem Album auch im Vergleich zu den Geschwisteralben von Jim O’ Rourke/NWW und IRR. APP. (EXT.)/NWW wesentlich stärker verändert worden.

Ossian: Als Steven [Stapleton] mit der Idee zu uns kam und uns sein Ausgangsmaterial vorspielte, wirkte es auf uns schon wie ein großartiges fertiges Album. Man hätte es lediglich noch leicht editieren können.

Stephen: Wir standen also vor der Wahl entweder nur ein paar Kleinigkeiten zu manipulieren und ein bisschen Dekoration aufzulegen oder es in Stücke zu reißen und etwas völlig Neues entstehen zu lassen. Und letzteres schien uns mehr Spaß zu machen. Das großartige bei NURSE WITH WOUND, übrigens auch bei meiner Lieblingsplatte von NWW, ist eine Art strukturelle Gewalt, die Steven dem Ausgangsmaterial antut, auch unserem eigenen. Warum also nicht mit seinem Material genauso umgehen? – ohne jetzt bewusst referentiell zu arbeiten. Es hat viel Spaß gemacht.

Wie war die Zusammenarbeit mit Steven Stapelton?

Stephen: Sehr angenehm, er gab uns das Material und sagte, wir hätten totale Freiheit, wir könnten damit machen was wir wollten. Hinzu kommt, dass ich seine Arbeit sehr schätze.

Ossian: Wenn wir ihm zwischendurch Auszüge vorspielten, wurde er umso begeisterter, je extremer das Werk wurde.

Stephen: Bevor die drei Alben raus kamen, hat er eine Compilation produziert, wofür er einen Track von uns bearbeitet hat. Von allen Stücken auf dem Sampler hat dieses die geringste Ähnlichkeit mit dem Original. Übrig geblieben ist ein hoher Pfeifton und alles andere wurde von Steven neu hinzugefügt. Also, er ist extrem und je extremer desto besser, desto mehr mag ich es.

Ossian: Wenn ich jetzt an unser nächstes Album denke, und daran, welcher Zeitaufwand damit verbunden ist – wir haben unsere eigenen Deadlines und unser eigenes Studio zu Hause – wir können im Prinzip daran so lange sitzen, wie wir wollen und das sind eigentlich schreckliche Vorraussetzungen.

Stephen: Ja, das ist einer der Gründe, warum es bei uns etwas langsamer zugeht.

Auf welchem Label soll es denn erscheinen?

Stephen: Wir jonglieren da im Moment mit verschiedenen Möglichkeiten, aber es wird nicht auf demselben erscheinen, wie das letzte Album.

Wie muss man sich Eure Arbeitsweise zu Hause im Studio vorstellen? Werden die Tracks monatelang bearbeitet und wieder ruhen gelassen?

Stephen: Manchmal sogar Jahre… Was mich angeht, läuft es meist so ab, dass ich einfach nach oben gehe, anfange zu arbeiten ohne auch nur den Hauch eines Gedankens daran, was ich eigentlich gerade tue. Also einfach arbeiten, arbeiten, arbeiten und nach fünf bis sechs Stunden kann was herauskommen, was zu zwei Dritteln fertig ist, wenn es ein guter Tag war. Aber dann verbringt man Monate mit dem letzten Drittel, dem Editieren. Die letzten Schritte sind wesentlich härter als die ersten.

Ossian. Manchmal möchte man es für 6 Monate ruhen lassen…

Stephen: Ja, man hat dann vergessen, dass man es aufgenommen hat und zwei Jahre später findet man es wieder und denkt “Oh, das ist großartig, hast du das gemacht oder ich?”

Ossian: Und Stephen nimmt wirklich eine Menge auf, da sind so viele Ideen.

Stephen: Und Simon ist ein sehr präziser und fokussierter Editor und Arrangeur. Das ist so der Weg, wie wir uns gegenseitig die Bälle zuspielen.

Ossian: Ich mag es, neue Details ins Material einzuschneiden, die Dynamik zu verändern und dem Sound ein anderes Gewicht zu verleihen. Stephen mag es, den Sound schwer zu gewichten und ich mag es, ihn wieder zu beschneiden.

Wann entscheidet Ihr dann weitere Musiker wie Thighpaulsandra oder Cliff Stapelton mit seiner Drehleier einzubinden?

Ossian: Wir haben eigentlich auf jedem unserer Alben irgendwann auch Gäste dazu genommen. Sei es als Livemusiker oder in Form von Samples, wie auf “Luminous Darkness“, wo wir Drehleiersamples verwendet haben. Mit Cliff und seiner Drehleier haben wir vor allem für das NURSE WITH WOUND-Album viel zusammen gearbeitet und Thighpaulsandra half uns schon bei diversen früheren Projekten beim Mixing und der Endproduktion.

Spannend wurde es dann jetzt, als David [Tibet] uns für dieses Festival eingeladen hat und wir überlegen mussten, wie wir das alles mehr öffnen und auf die Bühne bringen können.

Stephen: Es braucht einfach mehr als zwei Leute. Für uns alleine wäre es niemals möglich gewesen. Und jetzt sind wir absolut begeistert, die Stücke, die auf unseren Alben sind, wovon man sich nicht vorstellen konnte, sie live zu spielen, wirklich live gespielt zu haben.

Ossian: Außerdem ist es jetzt eine ganz neue Erfahrung direkte Resonanz von den Zuhörern auf die Musik zu bekommen. Normalerweise sitzen wir ja abgeschottet zu Hause und produzieren dort. Wir kamen bisher (als CYCLOBE) nicht in Kontakt mit Menschen, es war also anders, wie bei meinen COIL-Shows oder bei Stephens Shows mit dem AMAL GAMAL ENSEMBLE.

Und glücklicherweise hat uns das Publikum hier nicht bespuckt und beworfen – es war also eine sehr schöne Erfahrung. (lacht)

(M.G. & M.P.)

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