MARISSA NADLER – Interview

Auf ihren bisher zwei veröffentlichten Alben spielt die 1981 geborene Amerikanerin Marissa Nadler eine originelle Form des Folks, die durch ihren melodischen Sopran charakterisiert ist und in Teilen fast schon so etwas wie einen außerweltlichen Charakter hat. In ihren selbst so betitelten Balladen treten interessante Figuren auf und es dürfte ihr mit ihren Veröffentlichungen schon jetzt gelungen sein einen Platz zwischen anderen Vertreterinnen des momentan so boomenden Folkgenres zu finden.

Du hast anfangs CD-Rs veröffentlicht. Kannst du uns kurz etwas über deinen künstlerischen Werdegang sagen?

Ich hatte eine sehr künstlerische Kindheit. Anfangs war mein Wunsch Malerin zu werden am größten. Und ich dachte wirklich, dass ich das werden würde. Aber so etwa mit 16 begann ich mich ebenfalls ernsthaft mit Musik zu beschäftigen. Ich bin auf die Kunsthochschule gegangen, aber es stellte sich heraus, dass die Musik am besten und unvermitteltsten meine Gefühle ausdrückte. Musik hat wenig mit Klasse zu tun. (Fast) jeder hört Musik, nicht jedem gefallen Museen.

In den letzten Jahren scheint Folk relativ populär geworden zu sein (wenn man zum Beispiel an Devendra Banhart oder COCOROSIE denkt – um jetzt zwei beliebige Beispiele zu geben). Es gibt ebenfalls verschiedene Gattungsbezeichnungen (Antifolk, Weirdfolk etc.). Fühlst du dich solchen Bezeichnungen verbunden und denkst du, dass man als Künstler von diesem wachsenden Interesse profitieren kann?

Ehrlich gesagt, hasse ich es kategorisiert zu werden. Ich denke, dass das bei den meisten Menschen so ist. Ich kenne nicht sehr viele andere Musiker wirklich gut. Ich versuche in einer Art Blase zu arbeiten. Bezogen auf Labels mag ich (natürlich) Eclipse, weil Ed Hardy so großartige Sachen veröffentlicht. Mein neueres Label ist auch toll. Künstler sind Künstler. Und natürlich gedeihen Künstler, wenn ihre Arbeit bemerkt wird.

Was waren die Beweggründe, die Worte von Edgar Allan Poe und Pablo Neruda zu vertonen?

Das lag daran, weil ich mich zu jener Zeit (mein Debüt “Ballads Of Living And Dying“ wurde vor zwei Jahren veröffentlicht) sehr für Literatur interessierte. Ehrlich gesagt, wollte ich als Künstlerin ernst genommen und nicht nur als Folksängerin oder Songwriter wahrgenommen werden. (Unbewusst) dachte ich, dass mich das von anderen unterscheiden würde. Weißt du, als Kind las ich viel und Poe ist für mich wie Frühstücken. Pablo Neruda ist wie Blut in meinen Adern. Es war ganz natürlich und ich wollte nicht, dass mich irgendwelche Tabus aufhalten. Mir ist klar, dass es fast prätentiös ist, solche Autoren zu vertonen, aber die Herausforderung hat mir wirklich Spaß gemacht.

Wenn man den Text von Poes erster gedruckter Fassung mit deiner Version vergleicht, fällt auf, dass die letzten Strophen, in denen der Sprecher eine Art von Hoffnung ausdrückt (“But our love it was stronger by far than the love/Of  those who were older than we”) und über den Mond spricht, der ihm Träume von Annabelle Lee bringt, weggelassen worden sind. Was waren deine Beweggrüne?

Ich denke, mir gefiel diese Tristesse. Wobei das damals hauptsächlich mit der Länge zusammenhing und damit, dass die Hörer sich langweilen könnten (ich ebenfalls). Da die Melodie und der Aufbau sehr droneartig sind, konnte ich den Song keine zehn Minuten lang machen, weil mir das einfach als zu langweilig erschienen wäre. Ich denke, bei diesem Gedicht habe ich mir etwas künstlerische Freiheit genommen.

Was hat dich dazu veranlasst, Zeichnungen von Adolf Wölfli auf deinem ersten Album zu verwenden?

Adolf Wölfli ist einer meiner Lieblingskünstler. Ich bin schon lange von “Outsider Artists” besessen und ich ziehe Wölfli Dargr vor. Seine Arbeit ist nur wahnsinnig. Sie ist wie Wahnsinn, der in Bilder übersetzt worden ist. Ich halte sie für wunderschön und surreal.

Verweist der Titel deines ersten Albums auf die zentralen gegensätzlichen Kräfte im Leben?

Ich denke, es ist sehr offensichtlich, was der Titel bedeutet. Ich meine, die Lieder handeln entweder vom Leben, vom Tod oder von beidem.

Wenn du deine Lieder Balladen nennst, verweist du damit auf eine (lange) Tradition?

Ich denke schon. Es sind allerdings nicht wirklich alles Balladen. Das Wort hat eine sehr musikalische Färbung.

Deine Version von  “Glory Glory Hallelujah” ist sehr traurig. Was hältst du von Julia Ward Howes Text und würdest du sagen, dass deine Version eine Art (politisches) Statement ist?

Meine Version ist sicher nicht absichtlich ein politisches Statement. Sie basiert auf der Version, die ich Odessa singen hörte, und in dieser Version ist die Melodie auch ziemlich traurig. Mit dem Text, den du erwähnst, bin ich nicht vertraut.

Wenn man sich deine Musik anhört und die Texte liest, würde man deine Songs kaum als Protestlieder bezeichnen, sie scheinen wesentlich persönlicherer Natur zu sein. Hast du jemals etwas geschrieben, das man als Protestsong bezeichnen könnte und was hältst du von so etwas?

Nein. Das ist nicht so mein Ding. Vielleicht hängt das mit der Langeweile meiner Generation zu tun. Es gibt dieses Gefühl. Eigentlich ist das recht traurig. Es ist die Krankheit der Vorstädte.

Ich erinnere mich daran, eine Rezension deines ersten Albums im Wire gelesen zu haben und der Rezensent hielt den toten Vogel, der im Booklet abgebildet ist, für eine Anspielung an CURRENT 93s “Swastikas For Noddy“. War das tatsächlich der Fall und wenn ja, gibt es Ähnlichkeiten zwischen deiner Arbeit und der von David Tibet?

Der tote Vogel war keinesfalls eine Anspielung an David Tibet. Wir sind jetzt Freunde und mir gefällt seine Musik. Ich kann verstehen, weshalb jemand Ähnlichkeiten zwischen seiner und meiner Arbeit finden kann. Vielleicht verbindet uns ja die Dunkelheit. Aber zur Zeit der “Ballads“ lebte ich in solch einer selbst geschaffenen Welt, dass ich gar nicht wusste, wer David Tibet war. Er schrieb mir einige E-Mails, die jahrelang unbeantwortet blieben, weil mir sein Name nichts sagte. Später wurde ich mir meines Fehlers bewusst und ich erinnere mich, dass mir das sehr peinlich war.

Du hast bei der “Not Alone“-Compilation mitgemacht. Wie bist du mit Mark Logan und David Tibet in Kontakt gekommen und welche der vielen Beiträge hältst du für herausragend?

Wie gesagt, begann David damit, mir zu schreiben und es wurde deutlich, dass wir uns als Künstler gegenseitig respektierten. Ich hoffe, mit ihm in der Zukunft zusammenzuarbeiten.

Du tourst demnächst durch Europa, wirst du auch in Deutschland auftreten?

Ich hätte sehr gerne die Möglichkeit überall aufzutreten, zumindest einmal. Durch das Reisen bin ich weiser und weltlicher geworden. Jeder Ort scheint so fremd, und dennoch fühlt sich nach einer Weile alles ähnlich an. Die wichtigsten Dinge im Leben sind universell und so konzentriert sich an jedem Ort, den man besucht, alles auf die grundlegenden überlebensnotwendigen Dinge.

Du hast eine beeindruckende Homepage und du bist auch bei myspace vertreten. Welche Rolle spielt das Internet für dich und wie ist das Feedback, das du bekommst?

Ich muss zugeben, dass das Internet sehr hilfreich dabei war, meinen Namen bekannt zu machen. Die Leute suchen dort wirklich nach neuer Musik und daher kommen auch die meisten meiner Fans. Ich glaube, es gibt den Menschen gute Möglichkeiten. Ich bin nicht gerade die beste Webdesignerin, aber ich bestehe noch immer darauf, meine Seite selbst zu machen. Ich glaube, dass ich ganz gerne die kreative Kontrolle habe. Ich bekomme viel positives Feedback. Allerdings auch einigen schlechten, negativen Kram. Es ist schwierig, nicht die eigene Presse zu lesen, aber das Internet ist wirklich so, als ob man die Büchse der Pandora öffnen würde.

Sind deine Gemälde und deine Holzarbeiten eine Ergänzung zu deiner Musik oder nur eine Art Hobby?

Kein Hobby. Eigentlich waren das meine ersten ernsthaften künstlerischen Versuche. In letzter Zeit habe ich aber nicht mehr so viel Zeit dafür gehabt.

Was können wir außer dem dritten Album dieses Jahr noch von dir erwarten?

Es wird noch einige Zusammenarbeiten geben und ich werde einige andere Tonträger veröffentlichen, kleinere Formate, wie Singles, EPs und Coverversionen. Außerdem werde ich versuchen, meine Kunst auszustellen. Ich werde auch noch ein bisschen touren. Ich versuche, so beschäftigt wie möglich zu sein. Vielleicht ist es das Gefühl, dass ich die Notwendigkeit verspüre, etwas zu hinterlassen, bevor ich sterben muss.

(M.G., D.L., S.L.)

marissanadler.com