THOMAS LIGOTTI: Teatro Grottesco

“Eines Nachts, in längst vergangenen Zeiten, erwachte der Mensch und sah sich selbst. Er sah, dass er nackt war unter dem Kosmos, unbehaust in seinem eigenen Körper.“

Peter Wessel Zapffe, Der letzte Messias

Schon seit einigen Jahren angekündigt, erscheint bei David Tibets Kleinverlag Durtro die neueste Sammlung mit Kurzprosa des Amerikaners. Neu muss allerdings relativiert werden, denn einige der Geschichten wurden ursprünglich schon 1996 in der Sammlung “The Nightmare Factory“, der Anthologie Ligottis, die im angloamerikanischen Raum sicher die verbreitetste ist, unter dem Titel “Teatro Grottesco“ publiziert. Neben den hier über verschiedene Sektionen verteilten Texten findet man u.a. noch die vier lose zusammenhängenden Erzählungen, die “In A Foreign Land, In A Foreign Town“ ausmachten (als Buch erstmals mit einer CD von CURRENT 93 veröffentlicht), einige Gedichte und auch zwei der so genannten Geschichten des “Corporate Horror“, in denen Ligotti das Grauen des Arbeitsplatzes thematisiert und die ihren Höhepunkt in der Erzählung “My Work Is Not Yet Done fanden – dem bisher längsten Prosatext Ligottis (der allerdings hier nicht abgedruckt ist).

Die “Teatro Grottesco“-Geschichten sind – wie Ligotti selbst sagt –  von Thomas Bernhard beeinflusst, was durch verstärkte Kursivsetzungen recht deutlich wird, man findet aber auch Verweise auf den Expressionisten Trakl (vgl. den Namen Theodore Groddeck in der Titelgeschichte). Prinzipiell geht es bei Ligotti immer eher um Stimmung als um Plot, was manchmal eine Schwäche sein kann (insofern ist das zusammen mit Brandon Trenz verfasste und vor einigen Jahren bei Durtro veröffentlichte Drehbuch “Crampton“ schon aufgrund seiner textsortenimmanenten Eigenschaften sehr zu empfehlen). Es geht um die Erzeugung einer merkwürdigen Art von (Alp-)Traumatmosphäre, in der alles in einen gelblichen Nebel gehüllt zu sein scheint, ganz so, wie die Stadt in der (hier nicht abgedruckten) Erzählung “I Have A Special Plan For This World“.

Mit der Äußerung, er schätze Lovecraft mehr als Shakespeare, nicht weil dieser besser schreibe, sondern weil man in jeder Zeile Lovecraft und seine Weltanschauung spüre, sorgte Ligotti vor einiger Zeit bei manchem für Unmut. Diese Äußerung ließe sich auch als Credo des literarischen Schaffens Ligottis verstehen, denn in jeder der Geschichten formuliert der (Ich-)Erzähler oder aber eine Figur eine (An-)Sicht der Welt, die dem Mund des Autors entsprungen sein könnte. Dieser eigentlich billigste hermeneutische Kurzschluss wird durch Äußerungen des Autors nahe gelegt. Exemplarisch für die Weltanschauung seien hier die (Selbst-)Diagnose, die ein Kollege des Ich-Erzählers in “My Case For Retributive Action“ stellt (“I’ve even come to believe that the world itself, by its very nature, is unendurable“) und eine längere Passage aus “The Shadow, The Darkness genannt:

”There was only this blackness above and this blackness below. There was only this consuming, proliferating blackness whose only true and final success was in the mere perpetuation of itself as successfully as it could in a world where nothing exists that could ever hope to be anything else expect what it needs to thrive upon…until everything is entirely consumed and there is only one thing remaining in all existence and it is an infinite body of blackness activating itself and thriving upon itself with eternal success in the deepest abyss of entity.”

Bei letzterem Zitat, dessen Kernaussage vielleicht auch durch das äußerst schwarz gestaltete Buch illustriert wird, wird natürlich eine Gefahr der Prosa Ligottis deutlich: Das Wandeln am Abgrund des Klischees. Dennoch entgeht dem Ligotti meistens und es gibt beeindruckende Texte: “Our Temporary Supervior“ ist eine überaus gelungene Darstellung des Drucks, dem man am Arbeitsplatz im sich immer dreister gebärenden Kapitalismus ausgesetzt ist. Wie Ligotti dies im Rahmen einer unheimlichen Geschichte verdeutlicht, ist beeindruckend und erinnert ebenso wie “The Town Manager“ – die Bewohner einer der üblichen diffusen (und nie klar zu lokalisierenden) Städte (“Degenerate towns near the northern border“ möchte man sie in Anlehnung an Ligotti nennen) sind dem arbiträren Kommen, Gehen und Agieren verschiedenster “Town Manager“ ausgesetzt – an Kafka. Die Protagonisten sind immer (auch sich selbst) Ausgelieferte (wie in “The Bungalow House“, das CURRENT 93s “I Have A Special Plan For This World“ inspirierte), sie leiden an (physischen wie psychischen) Gebrechen (wie z.B. Magenproblemen), die manchmal zu gesteigerter Erkenntnis führen können (“The Shadow, The Darkness“). Realität(en) verschwimm(t)en (wie in dem beklemmenden “Gas Station Carnivals“), die Menschen leben in “Marionettenkolonien“ und die drei Dinge, die eine reine Wahrnehmung behindern, sind Länder, Gottheiten und Familien (wie es der Vater des Erzählers in “Purity“ formuliert).

Diese willkürlich gewählten Beispiele machen vielleicht deutlich, dass es wenige Autoren gibt, in deren Werk sich die Insignifikanz der menschlichen Existenz so sehr widerspiegelt, wie im Werk Ligottis. Wird bei einem Autoren wie Jeffers noch eine beeindruckende Natur evoziert und finden sich bei  Cioran (Rest-)Spuren Gottes, gibt es solche Hilfskonstruktionen – um letztlich doch noch eine Art von Sinn durch die Hintertür hineinzulassen – bei Ligotti nicht, es sei denn, man spräche von einer Metaphysik der Abwesenheit. Auf den ersten Blick mag man fragen, warum ein gläubiger Christ wie Tibet solch ein – auch wenn dieser Begriff zum Schlagwort verkommen ist – nihilistisches Werk schätzt, aber zum einen ist das Werk des “Privatmythologen“ (R. Dittmann) Tibet zu komplex um in einfache Schubladen gesteckt zu werden, zum anderen gibt Tibet selbst in “The Thomas Ligotti Reader“ eine Erklärung, wenn er darauf hinweist, dass sie beide eine ähnliche Sicht der Welt hätten, aber daraus unterschiedliche Schlüsse zögen: Für beide sei die Welt gefallen, aber er (Tibet) glaube an Erlösung.

Die Zusammenstellung wird von dem Gedicht “Envoi“ beendet, dessen letzte Zeilen “nothing is for all / and all is for nothing“ lauten und die diese Veröffentlichung adäquat abschließen (und kommentieren).

[Nachtrag: Inzwischen ist die Sammlung (allerdings ohne die Gedichte des letzten Teils) in einem günstigen Paperback bei Virgin Books veröffentlicht worden.]

(M.G.)