TIMOTHY RENNER – Interview

Einen kurzen Abriss über das bisherige musikalische Schaf­fen Timothy Renners zu geben, fällt nicht einfach, war er doch an unzähligen Bands und Projekten beteiligt, deren Gemeinsamkeit aber fast immer ein (mehr oder weniger) direkter Bezug auf tra­ditionelle amerikanische Musik war. Ob mit MOURNING CLOAK Folk mit experimentellen Pas­sagen und Samples kombiniert wurde, oder als THE SPECTRAL LIGHT AND MOONSHINE FIREFLY SNAKEOIL JAMBOREE Traditionals auf (relativ) authen­tische Weise wiedergegeben wurden, ob Timothy mit STONE BREATH – seinem bisher wohl bekanntesten Projekt- eine sehr eigenständige Art von psyche­delischem Folk spielte oder mit BREATHE STONE elektrische Instrumentierung zum Zuge ka­men, ob er solo nur mit Banjo (auf “Primitive Recordings”) Traditionals einspielte oder bei BLACK HAPPY DAY mit Tara Vanflower von LYCIA zusam­menarbeitete und sich dem Ambient annäherte oder bei MOTH MASQUE sein Interesse an Mot­ten vertonte – das Banjo spielt fast immer eine tragende Rolle.

All diese Bands sind allerdings seit einiger Zeit Geschichte, Ti­mothy will sich künftig nur noch seinem neuen Projekt CROW TONGUE widmen. Ebenso wie David Tibet handelt es sich bei Timothy, dessen gra­phische Arbeiten neben den ei­genen Veröffentlichungen auch einige Magazine bereichern, um einen zutiefst spirituellen Men­schen, dessen (religiöse) Sicht auf die Welt fast jede seiner Ver­öffentlichungen prägt.

? Es heißt, dass du traditionelle amerikanische Musik erst rela­tiv spät entdeckt hast. Kannst du kurz etwas zu deiner musi­kalischen Sozialisation sagen? Würdest du sagen, dass tradi­tionelle amerikanische Musik eine Art Offenbarung für dich war?

Auf jeden Fall. Sie ist eine ziem­liche Quelle der Inspiration, unter anderem deswegen, weil leben­dige Musiker diese Traditionen von anderen gelernt haben und ich sie wiederum von ihnen ge­lernt habe. Man bekommt dadurch das Gefühl, Teil von etwas Altem zu sein. Ich hatte das Glück in einem Haus aufzuwachsen, in dem meine Eltern Johnny Cash und meine Brüder JOY DIVISION hörten. All dies hat sich in meinem Kopf festgesetzt.

? War der Hauptunterschied zwischen MOURNING CLOAK und STONE BREATH lediglich musikalischer Natur -elektrisch / akustisch – oder gab es auch eine spirituelle Entwicklung?

Es war persönlich, spirituell und praktisch. Die Musik unterschied sich von MOURNING CLOAK, die Ziele waren andere und sobald STONE BREATH zu einer Band wurde und nicht mehr ein Solopro­jekt war, war es an der Zeit, sich weiter zu entwickeln.

? Diese Frage hängt eng mit der vorherigen zusammen. Würdest du sagen, dass dein spirituelles/ religiöses Bewusstsein im Lauf der Jahre zugenommen hat? Lässt sich ein Lied wie “The Face Of God” als Reflexion da­rüber betrachten?

Ja. Obwohl ich mir nicht sicher bin, dass ich spirituell bewusster geworden bin – vielleicht einfach nur spirituell korrekter (manche würden orthodox sagen). Ich habe schon immer versucht über diese Dinge zu sprechen, aber ich habe mich etwas in der Vergangenheit verloren – oder vielleicht noch mehr verloren.

? Auf deiner Webseite heißt es, dass die “Stargazer”-7′ deine Lieblingsveröffentlichung von MOURNING CLOAK ist. Kannst du kurz erklären, warum das so ist?

Es ist der reinste Ausdruck des­sen, was wir versucht haben zu machen – aus einer Phase großen Enthusiasmus’ und Erforschung seitens der Band heraus. Paul Chavez und ich arbeiteten zu die­sem Zeitpunkt noch zusammen und wir zwei waren wirklich das Herz der Band. Nachdem Paul die Band verlassen hatte, hätte ich niemals mit MOURNING CLOAK weitermachen sollen. Es war ein­fach nicht mehr das gleiche.

? Wenn man den Namen STONE BREATH hört, muss man an eine belebte Natur denken. War das eine der Intentionen bei der Wahl des Namens?

Ja, in meinem Herzen bin ich animistisch und der Versuch, dies mit meinem Verstand und meiner See­le, die christlich sind, in Einklang zu bringen, ist das große Ziel der meisten meiner jüngsten Arbeiten.

? Mir gefallen die Droneelemente auf einem Song wie “Secrets Bound In Skin”. Wirst du künftig noch einmal etwas Ähn­liches machen?

Ja. Es gibt Pläne für einige Alben mit östlich und vom Drone beeinflusster religiöser Musik, die in die­se Richtung gehen.

? Auf “The Silver Skein Unwound” findet sich eine sehr schöne Verschmelzung von Texten und Zeichnungen und im Booklet sprichst du von “illuminations”. Kann man dies als direkte Referenz an William Blake und seine so genannten “illuminated books” verstehen? Würdest du sagen, dass sich auf diesem Album eine perfekte Verschmelzung von Wörtern und Bildern findet?

Ich glaube, dass William Blake hinsichtlich der Verschmelzung von Text und Bild eine nahezu per­fekte Arbeit gemacht hat. Meine eigenen Sachen sind noch sehr verbesserungswürdig. Aber natür­lich ist Blake ein großer Einfluss – besonders auf seine Arbeitswei­se bezogen. Es ist ein ziemlicher Trost zu wissen, dass einer der größten Künstler, die je gelebt ha­ben, selbst gedruckt hat und seine Bücher in kleinen Auflagen selbst gebunden hat. Ich fühle mich dann etwas besser dabei, wenn ich all diese Veröffentlichungen in kleiner Auflage mache, die wenige Leute je hören werden. Nicht, dass ich mich auf eine Ebene mit Blake stellen wollte.

? Das Christentum hat einen ziemlichen Einfluss auf deine Arbeit. Dennoch scheint es eine permanente Gewissheit der Ver­gänglichkeit des Lebens zu ge­ben (besonders bezogen aufs Artwork: Bilder von Totenschä­deln etc.). Kannst du kurz etwas zum Verhältnis dieser Aspekte sagen?

Ich bin katholisch erzogen worden und wir haben das Memento Mori nie aus unserem Leben verbannt. Ich denke nicht, dass sich diese Dinge (Schädel und Christentum) ausschließen.

? Du scheinst STONE BREATH aus ganz persönlichen Gründen beendet zu haben. [Inzwischen gibt es die Band wieder und vor einigen Monaten wurde ein neues Album veröffentlicht]. Du hast ge­sagt, “ich könnte genauso gut sagen, dass die Konstellation der Sterne uns gezeigt hat, dass es an der Zeit war, etwas an­deres zu machen.” War das eine graduelle Entwicklung oder gab es ein ganz spezielles Erleb­nis?

Sowohl als auch. Wir hatten vor, die Band nach einem weiteren Album aufzulösen – dies ist nur teil­weise aufgenommen, aber es gab andere Faktoren, die auf das Ende der Band hindeuteten. Für mich ist es sehr traurig, aber das Leben geht weiter.

? Du scheinst manchmal bewusst einen Lo-Fi-Ansatz zu wählen und jetzt wird dem­nächst sogar ein Album namens “Primitive Recordings” veröf­fentlicht [Das Album ist inzwi­schen erschienen]. Versuchst du (dadurch) so etwas wie Au­thentizität zu erreichen?

Wenn ich es mir leisten könnte, in professionelle Studios zu gehen, würde ich das tun. Ich versuche immer aus dem Equipment den besten Klang herauszuholen. Manchmal bin ich nicht so erfolg­reich. Bei “Primitive Recordings” war es so, dass mich das Label, Insurrection, darum bat, das Album ledig­lich mit einem Mikrofon direkt auf Band aufzunehmen. Sie wollten eine ganz persönliche und unmit­telbare Aufnahme. Es war ein Ste­reomikrofon, mit dem ich auf ein DAT-Tape aufgenommen habe, insofern ist es vielleicht nicht ganz so lo-fi, wie es hätte sein können.

? Würdest du sagen, dass das Banjo dein Lieblingsinstrument ist?

Wenn ich ein Instrument wählen müsste, ja.

? Könntest du das Konzept des “Hoofbeat, Caw, & Thunder”-Albums erklären?

David Tibet hatte mir einige Bü­cher über die Apokalypse und das Ende der Zeiten geschickt. Diese waren aus einer bekenntnisfreien christlichen Sicht geschrieben. In der Zwischenzeit führte ich mit Richard Moult Gespräche darüber, was das alles bedeuten könnte: Die Endzeit und die Offenbarung und die katholische Sicht der Apo­kalypse, die sich von der protestan­tischen Sicht manchmal erheblich unterscheidet. Zur gleichen Zeit bemerkte ich auf der Farm, auf der ich arbeite, Zusammenrottungen von Krähen. Morgens gingen alle anderen Geräusche im Krähen der Vögel unter. Ich begann über Zei­chen nachzudenken – und dass uns heutzutage wie in biblischer Zeit Zeichen gegeben werden, wir sie aber nicht wahrnehmen. Ich begann über die Endzeit nach­zudenken – und über das Ende von STONE BREATH und meine eigene Sterblichkeit. Größtenteils ist “Hoofbeat..” ein Brief über di­ese Dinge, der an meine Kinder gerichtet ist.

? Auf “Lanterna Lucis Viridita-tis” finden sich auch Interpre­tationen von Traditionals (z.B. “John Barleycorn”). Wie unter­scheidet sich diese Art der In­terpretation von derjenigen von THE SPECTRAL LIGHT AND MOONSHINE FIREFLY SNAKEOIL JAMBOREE?

Prydwyn wollte keine Traditionals auf STONE BREATH-Alben. Er dachte, dass sie auf SPECTRAL LIGHT-Alben gehören. Aber während der Aufnahmen dieses STONE BREATH-Albums hatte ich einen Traum über “John Bar­leycorn”, in dem ich das Stück auf dem Banjo im Clawhammer-Stil spielte. Ich hatte noch nicht ein­mal versucht, das Stück vorher zu spielen und hatte das Arran­gement aus meinem Traum. Es passte zum Thema des Albums, deshalb habe ich darauf bestan­den, es mit auf das Album zu nehmen. Ich nehme an, dass wir bei SPECTRAL LIGHT versucht haben, bezüglich der Instrumen­tierung etwas historisch genauer zu sein – aber nicht immer.

? Deine Interessen sind von dir einmal als “anachronistisch” bezeichnet worden. Hast du die Nase vom modernen Leben voll und wie kann es einem gelingen zu vermeiden, dass man sich nach einem verloren gegan­genen Paradies sehnt, das so vielleicht nie existiert hat?

Ich bin in vielerlei Hinsicht mit dem modernen Leben ganz zufrieden. Gäbe es die moderne Medizin nicht, würden meine Kinder nicht leben. Aber ich romantisiere die Vergangenheit wahrscheinlich so sehr – oder noch mehr als – wie die meisten Menschen. Viele mo­derne Tendenzen gefallen mir nicht, aber die Wahrheit ist, dass die Menschen diese Tendenzen schon vorher hatten, sie hatten lediglich nicht die Technik und die Bevölkerungsgröße um die Erde und sich selbst so sehr zu schä­digen.

? MOTH MASQUE werden eine Platte für einen Film aufnehmen. Wovon wird der handeln?

Es ist ein Film, der auf den Lie­dern von MOTH MASQUE basiert. Eine Art symbolischer Geschichte, die auf dem Album basiert. Das ist fertig, ich hatte nur noch nicht genügend Zeit oder Geld für eine Veröffentlichung.

? Du hast schon mehrfach geäu­ßert, dass du von der geschäft­lichen Seite des Musikmachens sehr enttäuscht bist und hast kleinere Label als “traurige Spiegel” von Majorlabeln be­zeichnet. Kennst du eine Strate­gie dagegen?

Die wahre DIY-Kultur, die verloren gegangen ist. Unsinn zu ignorie­ren und – so weit das möglich ist – sich direkt mit Menschen als In­dividuen auseinanderzusetzen.

? Du willst nicht Teil der You New Weird Amercia-Bewegung sein; du sagtest, du schätzest die Ironie, die viele dieser Künst­ler einsetzten, nicht. Hast du schon jemals Ironie eingesetzt und siehst du irgendeine kleine Gemeinsamkeit zwischen dem, was du machst und einigen dieser Künstler (die sich selber wahrscheinlich gar nicht als Teil einer Gruppe betrachten)?

Da ich nur sehr wenig gehört habe, überlasse ich es anderen, zu entscheiden, ob es Ähnlich­keiten gibt. Ich weiß nur, dass ich ein Jahrzehnt, bevor ich diesen Begriff gehört habe, schon Musik gemacht habe. Das ist der Haupt­grund, warum ich mich da nie als Teil gesehen habe. Was Ironie anbelangt, bin ich mir nicht sicher, ob das anderswo auch geschehen ist, aber es gab in Amerika so et­was wie eine Seuche – zumindest aus meiner Sicht kam das haupt­sächlich aus der Indierockszene. Diese Ironie war weit jenseits von Satire. Ich denke, sie wurde zu einer Form von Unaufrichtigkeit. Eine Art und Weise seine wahren Gefühle zu verbergen oder be­züglich dessen, was man wirklich mag oder ablehnt, uneindeutig zu sein. Es war auch eine Weise sich über die wirklichen Interessen von Menschen lustig zu machen oder sie herunterzumachen. Mir ist es lieber, wenn Menschen einfach sagen, was sie meinen.

? Auf deiner Webseite  findet sich eine Art Stammbaum, ein verschlungenes Netz der (ver­schiedenen) Bands, an denen du beteiligt warst. Jetzt willst du dich einzig und allein auf dein neues Projekt CROW TONGUE konzentrieren. Wie wird das klingen und wann willst du das erste Album veröffentlichen?

Bei CROW TONGUE werden sich wahrscheinlich viele verschiedene Klänge finden. Das erste Album wird wahrscheinlich sehr nach STONE BREATH klingen, aber wir werden uns weiterbewegen. Es ist die Absicht, viele CD-Rs in kleinen Auflagen zwischen den “richtigen” Alben zu veröffentlichen [drei Teile sind bislang erschienen]. Das ist eine Inspiration, die ich aus den Reggae- und Hip Hop-Szenen gezogen habe, in denen Mixtapes zwischen Majorveröffentlichungen auf der Straße vertrieben werden.

? Du hast einen Vertrag über für ein Sachbuch, das du schreiben und illustrieren wirst. Was wird das Thema sein?

Wahre Geistergeschichten.

? Auf deiner “Hand/Eye”-Com-pilation gab es ein Stück von Greg Weeks. Was hältst du von ESPERS?

Ich habe sie noch nie gehört. Ich verfolge nicht wirklich aktiv, was es an Psychfolkbands gibt. Meine In­teressen liegen heutzutage haupt sächlich in anderen Bereichen.

? Du hast vier Jahre damit zu­gebracht, die Wiederveröffent­lichung von THE TREES COM­MUNITY vorzubereiten. Was gefällt dir am besten an dieser Band/Gemeinschaft?

“The Christ Tree” ist mein absolu­tes Lieblingsalbum. Ich habe ziem­lich lange dafür gebraucht, die noch lebenden Mitglieder der Ge­meinschaft zu finden und mir von ihnen die Erlaubnis geben lassen, das Album wiederzuveröffentlichen – zusammen mit weiterer toller Musik, die sie aufgenommen, aber nie veröffentlicht haben. Es stellte sich heraus, dass sie die nettesten und geduldigsten Künstler waren, mit denen ich je gearbeitet habe. Das Set wurde schließlich in der letzten Woche des Jahres 2006 veröffentlicht und ich bin darüber glücklich, diese Musik in die Welt zu bringen.

(M.G.)