BIRDENGINE – Interview

Lawry Joseph Tilbury rief vor vor rund einem halben Jahrzehnt das Projekt BIRDENGINE ins Leben. Die musikalischen Komponenten, die sich im Spannungsfeld akustischer Songs und noisiger Tapeloops bewegen, sind nicht die einzigen Gegensätze, die in Tilburys Welt wie im Handumdrehen miteinander versöhnt und auf ein fruchtbares Zusammenspiel hin ausgelotet werden. Birdengine verknüpft auch ein Faible für dunkle und mysteriöse Texte mit einem erfrischend unelitären Verständnis vom Musikersein. Mit seiner Vorstellung, dass im Grunde jeder der will einen interessanten Song auf die Beine stellen könnte, holt er den Experimentalgedanken aus dem Elfenbeinturm eines philiströsen Kultursnobismus und führt ihn mit einem unangestrengten Do it Yourself-Gedanken zusammen, der seiner Musik gut zu Gesicht steht, seinem schlichten Gitarrenspiel und seinem urtümlichen Gesang, der in den wagemutigsten Momenten beinahe wie ein waldschratiger Missing Link zwischen Thom Yorke und Glenn Danzig anmutet. Mit seiner Vorliebe für zügige Aufnahmesessions und schnelle Veröffentlichungswege könnte der rastlose Künstler Gefahr laufen, als Befürworter des Schnelllebigen missverstanden zu werden, und ist doch in seinem Herzen so etwas wie ein Darkfolker im eigentlichen Wortsinne. Tilbury lehnt es ab, als Folkmusiker verstanden zu werden, trotz seiner teilweise auch traditionell geprägten Musik und seiner balladesken Songs. Eventuell mag ein engeres Begriffsverständnis im englischsprachigen Raum ein Grund dafür sein. Doch warum sollte ein so vielseitiger Geheimtipp wie Birdengine auch auf eine bestimmte Tradition festgelegt werden? Nachdem wir im Umfeld von Woodland Recordings auf den in Frankreich lebenden Engländer aufmerksam wurden, entstand die Idee zu diesem Interview.

Die meisten Leser werden sich wohl zunächst fragen, wer oder was Birdengine ist. Kannst du dich und dein Projekt kurz vorstellen?

Ich bin in einem kleinen Ort im Südwesten Englands aufgewachsen. Es gibt dort nicht viel zu tun, außer dir selbst Lieder vorsingen, Poster über vermisste Katzen studieren, Konversation mit Kühen führen und im Wald Sachen kaputtschlagen. Ich hatte ein Diktiergerät und nahm damit alles auf, was ich um mich herum hörte, ganz egal, ob es Krach war oder Musik. Viel von diesen frühen Aufnahmen endete auf meiner ersten EP, die beim schottischen Electronica-Label Benbecula Records herauskam. Das war eine instrumentale und experimentelle Veröffentlichung aus lauter Tapeloops und diversem Gestotter, das alles auf einem Vierspurrekorder aufgenommen wurde. Ich drückte meine Finger in die Tapemaschine und manipulierte die Spulen während der Aufnahme. Gitarren spukten schon die ganze Zeit über in meiner Welt herum, ich hatte sogar für ein paar Jahre eine Gitarre mit nur zwei Saiten. Die Songs auf meinem Minialbum ‘I Fed Thee Rabbit Water’ (2007 auf Drift Records erschienen) sind sozusagen der erste Versuch, auf einer meiner Aufnahmen vernünftig zu singen. Ich habe gerade meine erste LP ‘The Crooked Mile’ fertig gestellt, die ebenfalls songorientiert ist und mit einer 16spurigen Tapemaschine aufgenommen wurde.

Welche Instrumente spielst du und welches spielt für dich die wichtigste Rolle?

Ich denke, alles kann ein Instrument sein, und ich denke auch, dass jeder ein Instrument spielen kann. Zehn Minuten, und ich denke, die Leute bekommen eine Melodie oder einen Rhythmus zustande. Ich spiele meistens klassische Gitarre oder Nylon-Gitarre, aber auch Akkordeon, Banjo und Klavier. Trotzdem finden sich alle möglichen anderen Sachen auf meinen Alben (Keyboards, Glockenspiel, Streichgitarre). Ich benutze in all meinen Aufnahmen ein Casio SK5-Keyboard, es ist ein einfaches Keyboard aus den 80ern mit einer großartigen Samplefunktion. Ich vermute, ich gebrauche meine Stimme meistens auch meistens als ein Instrument, Stimme und Gitarre stehen im Vordergrund.

Es gibt nur ein paar wenige Gastbeiträge in Birdengine, weshalb ich es als Soloprojekt verstehe. Ist das Spielen im Alleingang etwas, dass dir deine Unabhängigkeit sichert? Oder hast du auch schon mal daran gedacht, das ganze eher als Band aufzhen?

Ich spiele alle Instrumente auf meinen Aufnahmen, außer bei den ganz neuen. Das ist, weil ich all die Melodien und Klänge in meinem Kopf habe und bevor ich sie jemand anderem zu spielen beibringe, spiele ich sie lieber selbst, das ist einfacher und geht schneller. Ich kann allerdings kein Schlagzeug spielen, deshalb brauchte ich einen Drummer beim neuen Album. Meine Musik hat eine sehr persönliche Seite, zeitweise kann einem das fast schon auf die Nerven gehen. Ich denke nicht, dass ich schon mal jemanden getroffen habe, der die gleichen Klänge im Kopf hatte wie ich.

Wer ist DM Clark, der zuletzt bei dir mitgespielt hatte?

Daniel ist die einzige Person, mit der ich je auf meinem Projekt kollaboriert habe. Er ist erst einundzwanzig und sehr talentiert. Er liebt Tapeloops und das Herumexperimentieren mit Krach und Geräuschen. Er hat gerade ein Album aufgenommen mit dem Titel ‘Neighbourhood Spook’, es ist sehr gut. Wir haben an nur einem Tag zusammen ein Album geschrieben und aufgenommen. Das war im Keller einer Wohlfahrtseinrichtung in Brighton. Es heißt „Trunk“, und wir haben es auf Woodland Recordings unter den Namen ‘Mortis Tobias and Clara Kindle’ herausgebracht.

Wir haben gerade noch ein weiteres Minialbum zusammen aufgenommen, eine viel songorientierte Angelegenheit. Es muss nur noch fertig abgemischt werden (von mir!), und dann kann’s los gehen.

Deine Musik ist zum Teil sehr „akustisch“ und immer wieder al Folk bezeichnet worden. Kommst du mit dieser Beschreibung klar, oder denkst du, dass dadurch viele Aspekte deiner Musik unter den Tisch fallen?

Ich konnte mich nie so richtig damit anfreunden, wenn man mich als Folkmusiker bezeichnete, weil ich einfach keiner bin. ‘I Fed Thee..’ hat ein paar Anspielungen auf Bäume und Tiere, und obwohl diese Themen irgendwie zum Klischee zeitgenössischer Folkmusik gehören, handeln die Texte doch in erster Linie von mir und meiner Kindheit. Diese Klischees waren genau das, was ich tagtäglich um mich herum hatte. Ich begreife meine Musik als experimentell, dunkel, melodramatisch oder nostalgisch, aber nie als Folk. Nichtsdestotrotz mag ich dieses Zitat von Louis Armstrongs: “All music is folk music, I ain’t never heard no horse sing a song”.

Dann gab es in der Richtung wohl auch nicht viele Künstler, die einen nennenswerten Einfluss auf dein eigenes Schaffen ausgeübt hatten?

Folkmusik hat nie einen größeren Reiz auf mich ausgeübt. Ich war wohl so etwas wie ein Indiekid in den Tagen von BLUR v. OASIS (bei mir definitiv Blur). Am nächsten kam ich Folk wahrscheinlich bei meiner Vorliebe für Leonard Cohen, und in der letzten Zeit sind russische Volkslieder und indische oder östliche Lieder ist die einzige traditionelle Musik, die ich höre. Ich höre mich zur Zeit eine Menge türkischer Psychedelia an.

Ich fand auch, dass einige Stelle bei „The Crooked Mile“ ein wenig nach osteuropäischer Musik klangen, andere Stellen wiederum erinnerten an Renaissance-Musik..

Ich kann das ebenfalls heraushören. Ich denke aber auch, dass der Gebrauch eines Akkordeons bei einigen Songs schon eine osteuropäische Atmosphäre schafft, auch spiele ich die Gitarre teilweise anders als zuvor. Mein Songwriting hatte immer auch einen gewissen mittelalterlichen Zug. Ich bin ein großer Fan von John Dowland, einem Lautenspieler aus der englischen Renaissance, und ich denke, meine Musik besitzt mehr als nur einen kleinen Zug des melancholischen Stils, wie er in der damaligen Zeit gerade en vogue war. Ich habe vier Jahre lang mit einem Dichter zusammen gewohnt, der mir eine Menge an Früher und Klassischer Musik vorgespielt hat.

In Rezensionen zu deiner Musik fallen immer wieder Begriffe wie “witchy”, “pagan”, “weird” oder “creepy”. Jemand schrieb „Birdengine is an unknown supernatural force“. Auf deiner Webseite gibt es eine Sektion “spirit photography” und du selbst sprichst von „dunklen“ Texten. Fühlst du dich in den finsteren Bereichen zuhause und denkst du, dass relevante Musik sich nicht um die dunkle(re)n Seiten der menschlichen Existenz drücken solle?

Die Leute erzählen mir, meine Musik sei dunkel u.s.w. Aber ich selbst finde sie eher erhebend. Ich liebe Molltonarten und ich liebe seltsame, ungewöhnliche Texte. Es kommt so selten vor, dass man Musik mit guten Texten hört, deshalb höre ich mir am liebsten Musik in fremden Sprachen an, so dass ich nicht zusammenzucken muss bei Zeilen wie ‘Baby, I love you’ all dem Schwachsinn. Ich habe keine Hemmungen über was auch immer zu singen, ich bin da meist sehr spontan und singe einfach, was zuerst aus meinem Kopf herauskommt. Wahrscheinlich entspricht das Dunkle und Seltsame einfach meinem Humor, und das zeigt ich dann auch in den Texten.

Nochmal zu den Geisterfotografien auf deiner Seite (und dem genialen Balletvideo von COLLEEN) – was fasziniert dich an der okkulten Folklore der viktorianischen Zeit, die aus heutiger Sicht so surreal erscheint?

Das ist ein Verweis zu alten oder auf alt gemachten Fotos von Seancen, Trancen, Ectoplasmata, Geistern, Gespenstern und Medien/Spiritisten aus der alten Zeit. Ich interessiere mich für die Mythen und den Glauben der Leute an Gespenster und Monster u.s.w. Ich bin kein religiöser Mensch und ich betrachte Gott als einen Mythos, für mich ist die Vorstellung von Gott und einem Leben nach dem Tod interessant und seltsam, und sie hat auch etwas Dunkles. Ich habe bereits einige Nächte auf Friedhöfen verbracht und auf eine Erscheinung gewartet, aber die einzigen Monster, die einem dabei begegnen sind ja doch die Menschen.

Würdest du sagen, dass dein Seitenprojekt MORTIS TOBIAS noch mehr in die Region des Schaurigen vordringt, in welchem Lichter flackern und Aufnahmen knistern? Gibt es Pläne für ein zweites Album, oder war es eine einmalige Sache?

Nachdem wir „Trunk“ gemacht hatte (DM Clark und ich), mussten wir uns Namen geben, ich weiß nicht mehr, warum ich mich dazu entschied, als Mortis Tobias in Erscheinung zu treten. Ich denke, weil es einfach sehr verschieden war zu dem Sound von Birdengine und mehr auf Noise aufbaute. Daniel nannte sich damals Clara Kindle.

Im Vergleich zu früheren Aufnahmen ist “The Crooked Mile” viel mehr am Song orientiert. Ist das eine Richtung, die du weiter verfolgen wirst?

Ich möchte musikalisch in Bewegung bleiben, ich möchte nicht einer dieser Musiker sein, die Jahr für Jahr die gleiche Musik am laufenden Band abliefern. ‘The Crooked Mile’ ist passagenweise sehr soundorientiert. Ich möchte in Zukunft noch mehr Instrumente spielen und ich möchte auch wieder verstärkt Tapeloops verwenden.

Deine Lyrics haben eine sehr hermetische Bildsprache, gerade auf den neuen Sachen ist es sehr schwer, ein Thema auszumachen..

Ja, meine Texte sind voll von Bildern, das ist die einzige Art, wie ich schreiben kann. Ich mag es, wenn ich beim Zuhören nicht wirklich erschließen kann, worum es dem Sänger in seinem Texten eigentlich geht. Oft musst du die Linernotes lesen, um bei einem Album, das du vielleicht schon seit Jahren hörst, ganz überrascht festzustellen, wovon die Texte eigentlich handeln. Die Songs auf ‘The Crooked Mile’ sind alle wie kleine Geschichten, voll mit einsamen Charakteren fern von der Gesellschaft.

Gerade das Minialbum „I Fed Thee Rabbit Water“ ist sehr erzählerisch mit seinen vielen Geschichten über geköpfte Hunde, gestrandete Meerjungfrauen und dem geheimnisvollen „Beastly Folk“. Welche Art von Geschichten magst du als Leser?

HG Wells war damals ein sehr großer einfluss für mich gewesen, „The Invisible Man“ vor allem und „The Island Of Dr Moreau“. Mein wichtigstes Buch aller Zeiten ist allerdings „Hunger“ von Knut Hamsun, es erzählt die Geschichte eines Schriftstellers am Rande des Wahnsinns als Folge von Hunger und Armut, er versucht sogar seine eigene Hand zu essen.

Bei deinen ersten beiden EPs fand ich viele Noisepassagen sehr komisch. Würdest du sagen, dass sich der Humor in deiner Musik später dann mehr auf die Texte verlagert hat?

Ich bekam schon das unterschiedlichsten Rückmeldungen von Hören, gerade auch in Bezug auf meine Texte. Manche müssen lachen, das macht mir nichts aus, ich lache dann auch. Ich finde meine Texte eigentlich nicht lustig, aber Menschen reagieren nun mal unterschiedlich auf Dinge. Du darfst dich selbst nicht zu ernst nehmen, manchmal fühlt es sich ja schon komisch an, überhaupt Lieder vor anderen Menschen zu spielen.

Ich verstehe wohl, was du meinst.. Auf der anderen Seite trittst du aber auch ganz gerne auf, unter anderem auch auf größeren Veranstaltungen wie dem The Green Man-Festival. Was waren deine bislang besten Erfahrungen auf der Bühne?

Mein bisher großartigstes Festival, auf dem ich spielen durfte, war das End Of The Road Festival im letzten Jahr. Es fand in Dorset statt, nur circa zehn Meilen von dem Ort entfernt, in dem ich aufgewachsen bin. Ich denke, es muss stark geregnet haben, denn ich spielte am Ende in einem schnell noch aufgebauten Zelt. Es war für mich ein sehr emotional aufgeladenes Ereignis, und als ich dem Publikum erzählte, dass ich ganz in der Nähe aufgewachsen bin, gab es einen großen Applaus. Es fühlte sich großartig an, in Dorset zu spielen.

Brighton und der Süden Englands gelten ja als Hochburg alternativer Musik, erst kürzlich wurden wir auf eine Band namens SONS OF NOELLE AND ADRIAN aufmerksam, die du anscheinend auch kennst..

Ich bin im Südwesten geboren und zog nach Brighton als ich 22 Jahre alt war. Es gibt eine Menge Musik in Brighton, fast jeder scheint dort in einer Band zu sein. Es gibt dort auch eine große Folkszene, aber ich sagte ja bereits, dass ich mich da nicht so richtig zugehörig fühle. Sons of Noel and Adrian sind super, Jacob ist ein beeindruckender Songschreiber. Es gibt in Brighton noch eine Menge anderer Musiker außerhalb dieser Szene, die ich sehr empfehlen kann. LAMP gehören zu meinen Favoriten, ebenso ANIMAL MAGIC TRICKS und EUCHRID EUCROW und YOUR LAUGHTER.

Wie sind deine bisherigen Erfahrungen mit Downloads aus dem Internet? Nutzen viele Leute die Option auf Bandcamp?

Ich mag Bandcamp, du kannst einen Song aufnehmen und ihn in wenigen Sekunden verfügbar machen. Über illegales Downloaden rege ich mich nicht mehr auf. Die Leute sagen, es ist wie Stehlen. Allerdings wenn du einen Apfel vom Markt stiehlst, ist er weg, aber wenn du einen Song aus dem Internet stiehlst, dann ist der Song immer noch da. Ich hatte „The Crooked Mile“ als Download verfügbar gemacht, weil sich die Veröffentlichung durch Labels oft in die Länge zieht. Ich wollte, dass die Leute es hören konnten und wollte weitermachen. Im Laufe des Jahres soll es aber als Vinyl herauskommen, so dass jeder der will es als physischen Tonträger mit Artwork und allem drum und dran kaufen kann.

Nimmst du schon wieder neue Stücke auf?

Ich spiele jeden Tag auf der Gitarre, für mich ist es kathartisch. Wenn ich nicht ständig irgendwas schaffe, dann laufe ich Gefahr, irgendwann den Verstand zu verlieren. Ich versuche, Zugang zu der Kirche in der Nähe meines Apartments in Toulouse zu bekommen, um dort auf der Orgel zu spielen. Ich hörte, wie letztens jemand mitten in der Nacht darauf spielte, und ich will da hinein.

Dabei wünschen wir dir gutes Gelingen! Vielen Dank für das Interview.

(M.G & U.S)

birdengine.com