M.B.: S.F.A.G.

Das ultimative Referenzwerk aus der Frühphase Maurizio Bianchis ist das 1981 erstmals auf Nigel Ayers’ Label Sterile Records veröffentlichte Album „Symphony for a Genocide“, ein Album voll entmenschlichten Maschinenlärms, das im 11. Kata-Magazin der Come Organisation adäquat als „low key depression piece[…]“ tituliert wurde.  Zwei Jahre später wurde das nur in einer geringen Auflage herausgebrachte Album als Tape auf Broken Flag wiederveröffentlicht – auf Bianchis Wunsch zusammen mit einem Remix des Albums namens „S.F.A.G.“.

Der Ansatz Bianchis war (zumindest klanglich) weniger aggressiv und konfrontativ (aber nicht weniger verstörend) als bei (den frühen) SPK (deren erste Singles  partiell durchaus vom Punk beeinflusst waren) oder WHITEHOUSE mit ihren Hochfrequenztönen (die auf „S.F.A.G.“ nur kurz gegen Ende zum Einsatz kommen) und dem sich zur Hysterie steigernden Geschrei, aber gleichzeitig auch durch den weitgehenden Verzicht auf Vocals weniger greifbar als THROBBING GRISTLE. Bianchis Arbeiten der Frühzeit sind oftmals auf eine beunruhigende Art unheilschwanger und auf „S.F.A.G.“  meint man kaum, dass ein Mensch diese Klänge erzeugt hat („This is the sound of industrial music“ schrieb ein Rezensent 1982); wenn nach etwa zehn Minuten Geräuschkonstellationen auftauchen, die entfernt an Melodien erinnern und das ganze nach einem Trauermarsch klingen lassen, ist man fast überrascht. „S.F.A.G.“ ist  (im durchaus positiven Sinne) völlig entseelte Musik, die fortwährend verdeutlicht, wie mit recht primitiven Mitteln maximale Wirkung erzeugt werden kann.

Konsequenterweise ist die beiliegende zweite CD eine Art Remix von „S.F.A.G.“ – diesmal allerdings von (drei) Außenstehenden: Peter Andersson – der beide CDs auch neu gemastered hat – legt bei seiner Interpretation über lange Strecken den Schwerpunkt auf reduzierte, dunkle Klangflächen, in die nur kurzzeitig Störgeräusche einbrechen. Henrik Björkk lässt im Hintergrund die melodischen Passagen rauschen, während im Vordergrund verzerrte Sounds dominieren. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeiten des Schweden ist seine Interpretation aber relativ zurückhaltend und der Atmosphäre des Originals durchaus angemessen. Erik Jarl, der musikalische Kopf von IRM, scheint sich von allen drei noch stimmungsmäßig am nächsten am Ausgangsmaterial zu befinden: auch hier Maschinengeräusche aus der/einer Todesfabrik. Alle drei Mixe sind auf ihre Weise gelungen, wobei kein einziger an die verstörende Intensität des Originals heranreicht– das mag auch an der Qualität des Klangs liegen, die in der ersten Testcard einmal kritisiert wurde, m. E. aber zur Effektivität beiträgt: Dem Original hört man an, dass es vor einigen Jahrzehnten aufgenommen wurde.  Bei den Mixen merkt man fortwährend, dass sie in jüngerer Zeit in einem Studio entstanden sind, das Originalalbum vermittelt dagegen den Eindruck, in einer entvölkerten, urbanen Wüste gingen noch in einer Fabrik ein paar Maschinen ihrer Arbeit nach.

Vielleicht lässt sich die Beziehung zwischen beiden Alben mit Bezugnahme auf ein anderes Medium erklären: den Film. Verglichen mit den Originalen sind viele Remakes von Endsiebzigersplatterfilmen zwar oftmals härter, was die expliziten Gewaltdartsellungen angelangt, gleichzeitig aber auch weniger rau, weniger “authentisch”.

Ich glaube, dass ich im Rahmen einer Rezension der DEMONS, die ganz sicher von dem Italiener beeinflusst worden sind, von „dystopischer Musik“ sprach, eine Bezeichnung,die auch auf assoziative Weise „S.F.A.G.“ angemessen beschreibt, wobei das Album  sicher kein Soundtrack für die Somagetränkte „schöne neue Welt“ wäre.

(M.G.)