Das Schlimmste, was man COCOROSIE vorwerfen könnte, ist im Grunde nicht einmal ihre Schuld, sondern die der medialen Aufbereitung – ihre angebliche Rolle als Gallionsfiguren innerhalb einer vermeintlichen Blütezeit von Schrägheit, neuem Folk und Gender Transgression, sowie der ständig wiederholte und schon immer etwas oberflächlich wirkende Vergleich mit Joanna Newsom. Natürlich sind die beiden Casady Schwestern mit den ungleichen Lebensgeschichten kataloghaft exzentrisch, was immer das nun aussagt. Zudem schauen sie auch noch aus wie aus dem Bilderbuch. Dass das ganze von „Weird Folk“ oder ähnlich strapazierten Kategorien, trotz Feedback in diversen Feuilletons, stellenweise eher die Euro Disney-Variante ist, darf aber auch gesagt werden.
Wer sich also für verschrobene „Mädchen“-Musik in der englischsprachigen Folktradition interessiert, den verweise ich freimütig an Gruppen wie THE FAUN FABLES und SPIRES THAT IN THE SUNSET RISE. Der Rest ist wie so oft Geschmackssache, und dass auch Hörer bedient werden werden wollen, die v.a. auf das Offensichtliche, Greifbare anspringen und sich mit subtileren, dezenteren Ausprägungen, die weniger fashionable sind, schwer tun, ist wohl eine Gegebenheit, die man hinnehmen muss. CocoRosie sind weder subtil noch dezent, hatten dafür jedoch vor allem in ihrer Anfangsphase alles was eine Band braucht, um von einem flippigen Publikum aus Jungvolk und Junggebliebenen goutiert zu werden, das trendy und indie gleichermaßen ist und gerne mal wieder einen auf Hippie macht – und dabei ungefähr so glaubwürdig ist, wie gut ein Jahrzehnt zuvor die Post-Grunger mit ihren Schlaghosen und Batikhemden. CocoRosie setzen volles Programm auf Wiedererkennungswert: ein süßlich-flapsiger Bandname, ein bisschen Indianerspiel im wehmütigen Giggelton, ein bisschen subversiven Gender-Bezug, der durchaus mehr zu bieten hat, als die immer wieder angeführten Frauenbärte. Man denke nur an das gespielt devote „By Your Side“ vom „Noah’s Ark“-Album, das mit transparenter Ironie eine ebenso kurzweilige Einführung in das Thema Beziehungsabhängigkeit bietet, wie etwa Elfriede Jelineks Kurzroman „Die Liebhaberinnen“ mit seiner schwarzmalerischen Erzählstimme im „Sendung mit der Maus“-Ton: Man sage etwas ganz rosig und betulich, und übertreibe damit gerade so stark, dass jeder erkennen kann, dass es so rosig gerade eben nicht gemeint ist, und selbst das Spielerische daran muss als solches weitgehend offenkundig sein. Dazu Püppchengesichtfaktor und Stimmchen, die die Assoziationen nur so sprießen lassen. Funktioniert gut, denn viele Leute ticken so, auch das Geknutsche vor der Kamera prägt sich ein. Kurz und knapp: CocoRosie machen experimentellen Hiphop Weird Folk für die bionadetrinkende Flipflops-Avantgarde, die abends unter der Bettdecke ganz ungeniert die Neon ließt, und sich ein dreiviertel Jahrzehnt zuvor noch über einen Auftritt von Judith Holofernes in der Sarah Kuttner-Show gefreut hätte. Normale Härte seit den Tagen, als man mit „alternative“ eben auch OASIS assoziierte. Eine Frage könnte nun sein, wie tragisch das ist, oder ob die Musik dahinter zwangsläufig schlecht sein muss.
Muss sie nicht, ist sie auch nicht unbedingt, und eine Runde Deskription ist nur fair: Einige frühe Stimmen verkündeten, „Grey Oceans“ sei – der Farbmetaphorik entsprechend – dunkler und trister ausgefallen in seinen Stimmungen und Klangfarben als die Alben zuvor. Dunkle Momente gibt es durchaus, wie zum Beispiel im Titelsong, bei dem der nun fest ins Bandgefüge integrierte französische Pianist Gaël Rakotondrabe eine bedeutungsschwangere, introartige Melodie am Flügel anstimmt und auf Wesentliches gespannt macht, während irgendwann manipulierte Orchestralsounds die Dramatik erhöhen. Zwei unterschiedliche Stimmen melden sich alsbald zu Wort, die eine erklingt wie der Auftakt zu einer Opernarie im Sopran, die andere wie eine doch irgendwie ernst gemeinte Persiflage auf lolitahafte Kindlichkeit, ironisch gebrochen selbstredend. Soweit so bekannt, ebenso das Zittern in beiden Stimmen, das je nach Geschmack vielleicht wieder ein Stück zu demonstrativ geraten ist. Insgesamt würde ich das Album nicht unbedingt als „dunkler“ einstufen als das letzte, elektronischste Werk „The Adventures Of Ghosthorse and Stillborn“, von dem schon ähnliches gesagt wurde. Primär sind auf „Grey Oceans“ die zuletzt so betonten Black Music-Anleihen wieder reduzierter, was das Album auf eine gewisse Weise wieder in die Nähe des allerersten Longplayers rückt. Die gespielte und ach so gewagt kontextualisierte Lieblichkeit fehlt auch hier nicht, „Fairy Paradise“ zum Beispiel experimentiert mit rauen und hell-verspielten Sounds, mit Glockenspiel und Noise Distortions, und ab dem Moment, wenn der von verschiedenen Stimmeinsprengseln unterfütterte Technobeat einsetzt, entsteht daraus ein weiterer gelungen-trashiger Dancehits nach Art des von Marschrhythmus geprägten „Japan“. An anderen Stellen wiederum demonstriert der Kollege mit dem unaussprechlichen Namen, dass er auch einen guten Barpianisten abgegeben hätte und unterstreicht somit einmal mehr den Mosaikcharakter des Stilmixes. An die liebliche Seite solcher Songs knüpft das akustische „Gallows“ an, das die inhaltlich harsche Thematik mit Glöckchen kontrastiert, während im Off die Piepmätze trällern. Einer der Songs, die auf der einen Seite ganz harmlos daherkommen, „fast niedlich, mit zuckersüßen Melodien, gemütlichen Rhythmen und verhuschten Geräuschen“, sich auf der anderen Seite jedoch „wie ein Albtraum, den man morgens im Halbschlaf nicht wieder loswerden will“ ins Hirn fressen, wie die tageszeitung einmal zu Liedern des Duos schrieb, freilich ohne zu ergänzen, dass die Band auf Derartiges nun wirklich kein Patent anmelden könnte. Bei „The Moon Asked The Crow“ zeichnen sich die neuerdings wohl hoch im Kurs stehenden orientalischen Elemente besonders ab, und „R.I.P. Burn Face“ ist dann die vom letzten Album schon bekannte Mischung aus Retorten-Hiphop und Katzenmusik.
Klar sind Begriffe wie „ernsthaft“, „reif“ oder gar das abgenudelte „erwachsen“ für den Charakter einer Band immer äußerst schwammige Kategorien. Trotzdem hatte ich beim Hören den Eindruck, dass sie nicht ganz unverdient in einigen Kommentaren zu „Grey Oceans“ vorkamen. So schwierig es ist, dies an bestimmten Komponenten festzumachen – meiner Einschätzung nach schuldet sich das in erster Linie der klanglich gesetzteren Komponente und der erdenden Wirkung von Rakotondrabes Pianospiel. Durchaus beeindruckend ist die diesmal ausgewogene Relation zwischen der vielzitierten kalaidoskopischen Qualität und einer dennoch irgendwie kohärenten Struktur – eines der geheimen Themen der Gruppe seit jeher. Aus dem Blickwinkel kultureller Seitenpfade kann man nach wie vor geteilter Meinung sein. Die einen könnten wie gewohnt die Trivialisierung interessanter Sampling- und Folkexperimente monieren, die anderen dagegen einräumen, dass CocoRosie als populäre Zugpferde auf Samplern und dergleichen auch kleineren Bands Wege geebnet haben. Natürlich hätten beide Recht. Weil es gerade so schön draußen ist, kann man sich ja zur Feier des Tages mal für die freundlichere Variante entscheiden. (U.S.)