JOOLIE WOOD: 45 Birds

In Zeiten, in denen nahezu jeder musikalische Gehversuch in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit gerät, sind Künstler wie JOOLIE WOOD eine wertvolle Seltenheit – Künstler, welche die Resultate ihres Schaffen lange heranreifen lassen und keine Eile haben, erst nach und nach aus dem Schatten bekannterer Bands herauszutreten und mit einer eigenen Karriere ernst zu machen. Rund zwanzig Jahre stellte Joolie ihre Künste an diversen Instrumenten in den Dienst anderer, erst 2006 erschien ihr Debüt “Tales Of Colour And White”. Soeben ist ihre zweite, diesmal audiovisuelle, EP erschienen.

Auf “45 Birds” sind nur zwei Songs enthalten, auf der CD ganz konventionell als Audiotracks, auf der beiliegenden DVD dann noch mal zusammen mit Videoclips aus der Werkstatt von Ian Hothersall, ein Regisseur, der bereits zwei Spielfilme zu verbuchen hat und unter anderem eine Rolle mit Karl Blake besetzte. Wer Joolies Debüt kennt und mit ihren Beiträgen zum Werk von CURRENT 93 oder SIMON FINN vertraut ist, den wird es nicht überraschen, dass auch die beiden (bisher unveröffentlichten) Songs auf “45 Birds” in eine Folkrichtung weisen, die bewusst auf schönen, mitunter im besten Sinne lieblichen Melodien und Harmonien als Ausdrucksmittel baut. “Postcards” ist ein Song, der auch bestens im Durtro-Rahmen Ende der 90er funktioniert hätte. Das Stück beginnt mit einer kindlichen Spieluhrmelodie, alsbald kommen Klavier, Gitarre und Akkordeon hinzu, an denen die vertrauten Gesichter des 10 To 1-Labels, Joolie, Simon und MAJA ELLIOTT, ihr Können demonstrieren. Joolies unprätentiöser Gesang ist so klar, schlicht und berührend wie der Text, der mit dem zufälligen Auffinden einer fast vergessenen kleinen Schatulle seinen Anfang nimmt. Die Jugendfreundschaft, die in den vorgetragenen Zeilen ohne Wehmut, aber auch ohne Abgeklärtheit erinnert wird, ist auch im Hauptfocus der verwackelten Handkamera, die mehr an einzelnen Dingen interessiert scheint, als an größeren Zusammenhängen: Bruchstückhafte Szenen der Privatheit und kleine scheinbar belanglose Alltagsgegenstände, die Erinnerung kostbar machen können. Rund vier Minuten Ton und Bild, die man einfach gern haben muss.

“Crow Flies”, das zweite Stück der EP, ist im Original von Simon Finn und vollzieht einen merklichen Bruch zu “Postcards”: Hier wird die kleine private Welt verlassen zugunsten universeller Zusammenhänge. Geeint durch den heiligen Schleier des Todes besinnen wir uns auf das, worauf es am Ende ankommt, und Joolie verleiht Simons Reflexion über seine großen Themen Freundschaft, Identität, Vergänglichkeit ein musikalisches Gewand, das sich vom schlichten Minimalismus des Originals unterscheidet, den mitreißenden Charakter des Songs aber dadurch noch steigert: ein droniger Auftakt, dramatische Streicherpassagen und eine E-Gitarre, die Infernalisches andeutet, ohne ins Plakative vorzustoßen – alles durchaus mit angemessenem Pathos, alles Reißerische jedoch vermeidend. Hothersalls Videokamera unterstreicht den universellen Charakter des Songs mit einer einzigen langen Fahrt, die panoramahaft durch einen englischen Stadtteil mit Bars und Shops und Innenhöfen führt. Die audiovisuelle Stimmigkeit ist beeindruckend, denn sowohl dem Song als auch der Filmaufnahme gelingt die Gratwanderung zwischen empathischer Nähe und einer überblickshaften Distanz. Man scheint die in Zeitlupe vorbeiziehenden Menschen, Repräsentanten einer merkwürdig isolierten, und doch geliebten Spezies, wie durch eine unsichtbare Wand zu sehen. Durch das bürgeliche englische Vorstadtpanorama knüpft das Video auch wieder an die kleine Welt von “Postcards” an, und schließt mit einer beiläufigen Aufnahme von Joolie und ihrem wichtigsten Instrument, der Violine.

Trotz der Kürze des Materials hat man am Ende das Gefühl, so etwas wie ein Kleinod in den Händen zu halten. Dass Joolie für die unbestimmte Zukunft ein Album plant, kam hier und da zur Sprache. Vielleicht ist “45 Birds” ja so etwas wie ein Auftakt, ich zumindest würde mich freuen, wenn sie ihren bisherigen Stil beibehalten würde, der sich auf einem Longplayer sicher noch wirkungsvoller zu entfalten weiß. Interessierte sollten sich beeilen, denn das Stück erscheint in 100er Auflage. (U.S.)