Es hat immer den Hauch von etwas besonderem, wenn ein Musiker oder eine Band nach einigen Jahren erstmals ein selbstbetiteltes Album herausbringt. Es kann, wie beim berühmten schwarzen Album Metallicas ein endgültiges Ankommen im Mainstream markieren, oder auch für die Selbsteinschätzung stehen, nun endgültig den eigenen, unverwechselbaren Stil gefunden zu haben. Etwas wie auch immer Endgültiges scheint da stets anzuklingen. In Marissa Nadlers Fall dürfte ersteres zum Glück nicht gelingen, doch in der Tat scheint sie musikalisch ein bisschen zu sich selbst gekommen zu sein.
Als die akustische Gitarre gerade wieder en vogue war und jeder über Folk und Americana schwadronierte, brachte die Neuengländerin mit dem sanften Mezzosopran gerade ihr erstes Album heraus. Es kam ihr zugute, dass dieser ganze Zirkus entgegen mancher Behauptung nicht immer hip oder avantgardistisch sein musste, dass es auch Raum für eine etwas bodenständigere, nostalgischere Version gab, die keinesfalls platt und konservativ sein musste. Neuer Folk war, um es in Zeitschriften auszudrücken, nicht nur Spex und Wire, sondern auch Rolling Stone. Nadlers Songs sind grundsätzlich nicht so flippig und nett-cool, wie man sich Folk heute vorstellt. Sie sind dagegen von einem somnambulen Pathos durchdrungen, das an einigen Stellen des Frühwerks die Grenze zum Betulichen überschritt. Dies geschah sicher mit Absicht, aber ein bisschen Kitsch darf einem nicht peinlich sein, wenn man ihren heimelig-unheimlichen Songs über gefallene Mädchen, mausgraue Wiedergängerinnen und allerlei etherische Geschöpfe etwas abgewinnen will. Eine Morbidität, wie sie so nur aus dem Lande Hawthornes und Lovecrafts kommen kann, kompensierte das meist im Handumdrehen.
Dass so etwas irgendwann vorhersehbar wirken muss, war der Sängerin sicher klar, denn spätestens ab ihrem dritten Album spürte man deutlich, dass die Erforschung weniger nebelverhangener Gefilde eines ihrer unausgesprochenen Themen war. Von der Produktion her weniger zerbrechlich, wurde die Musik opulenter und extravertierter, wobei das immer noch ein Begriff ist, der einem nicht gerade als erstes bei Marissa Nadler in den Sinn kommt. Die Mollakkorde gaben einen Teil ihrer leidvollen Schwere preis, beschwingte Rhythmen kamen hinzu, und zuguterletzt mündete die Entwicklung mit “Little Hells” in ein eingängiges Popalbum, das ich mit seinen Anleihen bei leichtfüßigem Shoegazer- und Dream Pop für ihr bislang schwächstes und ohnehin für ein Experiment halte.
Beim kürzlich erschienenen Neuling wird gekonnt auf Synthese gesetzt, das Resultat ist kein Meilenstein, aber eine solide Sache. Schon vordergründig wird auf Vertrautes gesetzt: Folksongs mit John Fahey-Gitarren und Sirenengesang, bei denen ein rauschiger Shoegazersound und eine zurückgenommene Melodik jedoch einer allzu starken Entrücktheit entgegen wirken. So besteht beim verspielten „In Your Lair, Bear“, das wieder stark an die Atmosphäre der „Bird on the Wire“ anknüpft, kaum mehr die Gefahr, dass jemand ein Unwort wie Gänsehautfaktor gebrauchen könnte, sollte der Song jemals auf einem Balladensampler enthalten sein. Ein helles, gelöstes Element lässt den Song ebenso wenig ins Tränennasse abdriften wie das beschwörende „Alabaster Queen“ oder „The Sun Always Reminds Me Of You“ – eine ihrer typischen Sehnsuchtsnummern, doch geerdet durch eine lässige Slideguitar. Country- und Blueselemente, bei Nadler natürlich von Beginn an latent vorhanden, bringen oft Beweglichkeit in schwermütige Folksongs, was sich je nach Stimmung aufhellend oder abklärend auswirken kann. Überspitzt gesagt verhalten die Songs sich zu ihren früheren Pendents wie Birch Book zu In Gowan Ring.
Andre Songs wie „In A Magazine“ oder „Little King“ huldigen dem Sound, der in „Little Hells“ vielleicht etwas plötzlich kam. Deutlicher als zuvor hört man Einflüsse von Sixties-Psychedelia heraus, „In The Morning I Will Leave You“ geht musikgeschichtlich noch weiter zurück, erinnert gar an eine von den Platters oder Paul Anka untermalte spätfünfziger Vorstadttristesse. „Puppet Master“ weiß mehrfach zu überraschen: Die trunkene, fast coole Stimme, verschiedene Tempuswechsel und eine bestechende Melodie machen den Song zu einer von Umwegen und überraschenden Wendungen geprägten kleinen Welt für sich, und sowieso zu einem der Glanzpunkte des Albums.
A propos Umwege: Eine interessante Musikerlaufbahn ist selten geradlinig, weswegen es auch Unsinn wäre, ihr „Little Hells“ als Untreue anzukreiden. Und doch schafft es „Marissa Nadler“ hervorragend, die Schwächen des Vorgängers zu vermeiden, ohne dabei in eine resignative „Back to the Roots“-Haltung zu verfallen. Für den Neustart und für den Auftakt ihres eigenen Labels kann man sie beglückwünschen. (U.S.)
Label: Box of Cedar