SALLY DOHERTY & PAUL KILVINGTON: Silent Spaces

Es gibt wohl kaum einen Musiker, der nicht irgendwann einmal als Fan angefangen hat und später auf die Idee kam, etwas ganz Ähnliches zu machen wie diejenigen, die das eigene empfängliche Gemüt mit so viel Bedeutung nährten. Bei eigenständigeren Künstlern spürt man die Einflüsse eher indirekt, und meist passiert es erst nach Jahren, dass jemand ein Tribute- oder Coveralbum aufnimmt, um alten Vorbildern die verdiente Ehre zu erweisen. Indirekt heißt das dann auch, dass man sich souverän in den eigenen kreativen Bahnen bewegt und es sich leisten kann, die Songs anderer zu spielen.

Die in Sheffield lebende Sängerin und Querflötistin Sally Doherty hat nie einen Hehl daraus gemacht, in verschiedenen musikalischen Traditionen zu stehen, und je nach Muse und Bandkontext verneigte sie sich in so unterschiedliche Richtungen wie Folk, Jazz, Latino und Electronica, und viele ihrer Songs sind untrennbar verbunden mit früheren Interpreten: Antônio Carlos Jobim, Billy Holiday, Nina Simone oder auch Scott Walker, um nur die zu nennen, die ein eigenes Kapitel der Musikgeschichte beanspruchen dürfen. Würde man Doherty nach Kategorien für ihren Stil fragen, so würde sie vielleicht etwas desinteressiert von Popmusik sprechen. Ihr neuestes Album ist fast ein reines Coveralbum und entstand in gleichberechtigter Zusammenarbeit mit dem Pianisten und Produzenten Paul Kilvington. Nicht unerheblich für die Entstehung war die Beobachtung, dass sich Sallys Stimme während ihrer Schwangerschaft leicht verändert hatte, und das Bedürfnis, diese Veränderung zu dokumentieren. Also entschied man sich, ein paar Evergreens einzuspielen, die schon länger zum Repertoire der beiden zählten. Mit der Zeit wurden es immer mehr Songs, und erst nach der Geburt von Sallys Sohn Leo wurde ein vollständiges Album daraus.

In ihrer Auswahl sind ein paar recht bekannte Lieder. „Besame Mucho“ ist ein Klassiker, der schon so manche Transformation überstanden hat. Sallys helle Stimme ist von klarer und doch spröder Eleganz und ihre dezente Unnahbarkeit macht den leidenschaftlichen Song umso eindringlicher – Kilvingtons Begleitung interpretiert die bekannte Melodie langsamer als viele frühere Versionen, was jedes einzelne Wort umso deutlicher hervorhebt. Die meisten Songs erscheinen im Gewand eines smoothen, im Tempo reduzierten Latin Jazz. Stücken wie Jobims „Falando de amor“ gibt das eine nachdenkliche Note, die die Bedeutsamkeit ihrer vitalen Lebensfreude erst recht betont. Mit zwei der Songs beweisen die beiden erneut ihre eigenen Songwriter-Künste, und gerade Sally als Sängerin braucht mittlerweile keinen Vergleich mehr mit populären Sängerinnen wie (der herberen) Diana Krall oder (der süßlicheren) Silje Nergaard zu scheuen. Bekannte Songs wie „Time after Time“ (nicht der Cindy Lauper-Song) oder das berührende Traditional „Los Biblicos“ werden mittels Reduktion in ein ganz eigenes Setting versetzt – das schöne an diesem Ort ist, dass er nicht im geringsten überladen ist und auch Platz für die titelgebenden „Stillen Räume“ lässt. Es bleibt der Fantasie des Hörers überlassen, ob er sich unter diesem Ort eine dunkel beleuchtete Bar oder das Szenario eines auf alt getrimmten Films vorstellt.

Natürlich dürfte die Bar nicht zu schäbig und der Film nicht zu grobkörnig sein, um zur schöngeistigen Stimmung von „Silent Spaces“ zu passen, aber es ist ohnehin nicht das solcher Musik gerne nachgesagte Derbe, „Verrauchte“, das die beiden hier wieder beleben wollen. Sängerin und Pianist erschaffen eine feinsinnige Stimmung voll herber Eleganz, die sich von mainstreamigem Barjazz vor allem durch ihre dezente Hintergründigkeit abhebt – weit mehr als ein nostalgischer Tagtraum, aber durchaus auch das.

Label: Snow Recordings