Sasha Grey war für ein paar Jahre sicher das Gesicht des amerikanischen Adult Films, doch es scheint fast, als hätte ihr der frühzeitige Ausstieg aus der Branche noch mehr Publicity eingebracht. Ihre derzeitige mediale Überpräsenz verschaffte der 23jährigen allerdings nicht nur neue Bewunderer, sondern auch jede Menge Überschätztheitsvorwürfe – teilweise mit Argumenten unterfüttert, teilweise aber auch einfach im Zuge des derzeit modischen Hipsterhasses, den meist noch hippere Leute kultivieren, frei nach der Devise “uncool ist das neue cool”. Stereotypen pendeln sich ein, die kaum ein professioneller (Ab-)Schreiber unerwähnt lässt: Ihre Rolle bei “Oscar-Preisträger Stephen Soderbergh”, ihre Experimentalband aTelecine, die man freilich nie gehört hat, und deren Name man sicherheitshalber noch mal nachschlägt. Seltener ihre Gastspiele bei Current 93 und Lee Perry.
“Neü Sex” ist ihr erstes Buch – eine Sammlung von farbigen und schwarzweißen Polaroids, die sie größtenteils selbst, zum Teil aber auch ihr Mann, zwischen 2006 und 2009 aufgenommen hat, ergänzt durch etwa ein Dutzend kurze essayistische Texte, in denen sie die Themen reflektiert, die ihre Karriere bislang prägten: Pornografie, verdrängte Begierden, das Verhältnis der Geschlechter untereinander und des Einzelnen zu seinem Körper. Ein verschleppter amerikanischer Puritanismus, ihre Vorstellung von individueller Freiheit und natürlich die befreiende Funktion von Kunst. Insgesamt ist das Buch zweierlei: Eine Selbstdokumentation und ein anti-normatives Statement. Grey beteuert, das Buch sei keineswegs als Autobiografie zu verstehen, schreibt an einer anderen Stelle jedoch, dass sie kaum umhin kann, sich zu dokumentieren. Zu sehr seien ihre Filme von der Kunst- und Fantasielosigkeit der Videofilmer geprägt, zu oft sei sie Tag für Tag von anderen fotografiert worden. Mit ihren eigenen Bildern will sie sich einen Teil der Kontrolle über das eigene Image zurückerobern.
Das Anti-Normative, auf Selbstbehauptung bedachte spricht schon aus dieser Programmatik, auch aus dem mehrfachen Hinweis auf ihre konservative Erziehung und die schuldbeladene Moral in ihrem persönlichen Umfeld als Teenager. Die Stoßrichtung ihres rebellischen Anliegens ist nicht neu – ihre Absicht besteht darin, ein so konsum- und businessorientiertes System wie die Pornofilmbranche mit all ihren ausbeuterischen und abstumpfenden Schattenseiten nicht zu boykottieren, sondern von innen heraus aufzubrechen, es auf ein immanentes emanzipatorisches Potential hin abzuklopfen und zu demonstrieren, dass eine Darstellerin sich durchaus in diesem System behaupten kann, ohne am Ende als Opfer dazustehen. Ihre Mittel und Wege: Die kreative Unterbelichtetheit der Regisseure ausnutzen und selbstbestimmt vor der Kamera zu improvisieren, sich niemals den Augen des Betrachters unterwerfen, sondern seinen Kontakt suchen, ihn aus seinem Berieselungsmodus reißen und ihn mit einer Figur konfrontieren, die mehr ist als ein Abziehbild. Dass sie, wie sie stets betont, mit Spaß dabei war, war sicher ebenfalls nicht ganz unerheblich für das Gefühl, nicht die Rolle der Ausgebeuteten zu verkörpern.
Man müsste mehr von ihr gesehen haben als ich, um zu beurteilen, wie gut ihr das im konkreten Fall gelungen ist. Bloß könnte ich mir vorstellen, dass vielen ihrer Konsumenten solche Fragen ziemlich egal sind und dass die selbstsicher auftretende Figur für viele bloß eine etwas widerspenstigere Männerfantasie darstellt. Andererseits müssen sich ein Gegenstand der Fantasie und ein selbstbestimmtes Auftreten ja nicht ausschließen. Gelungen ist ihr jedenfalls ein anderes “Werk”, das man vielleicht am ehesten ihr eigentliches nennen kann: Die Kreation ihrer selbst als Kunstfigur und als gesellschaftliches Statement.
Das vorliegende Buch ist Teil dieses Werks, und auch primär als solches interessant. Ein Großteil der Aufnahmen sind an Drehorten entstanden – vor, während oder nach dem Dreh – und interpretieren die Filme als ausschnitthaftes Making Of im Sinne des Sasha Grey-Mythos: Sasha mit Flinte im amerikanischen Wüstensetting, ein „Roadporno“ mit einer alles andere als passiven Protagonistin, die Blicke souverän absorbiert und zugleich tödliches Blei verschickt, während ihr phlegmatischer Ausdruck die Szenen in eine leicht autistische Coolness taucht – was seit Jess Franco im Softporno möglich ist, kommt nun auch in der (bislang etwas zurückgebliebenen) Erwachsenenabteilung an. Sasha als Voyeurin, die es ihren Konsumenten gleichtut und im Türrahmen zur Täterin des Blicks wird. Die meisten Fotos sind einfache „raw shots“ in der Tradition eines Richard Kern, Bilder die den Eindruck erwecken (sollen), spontan aus dem Leben gegriffen zu sein: Sasha alles andere als glatt und weichgezeichnet – mit verschmierter Mascara, verkatert vor dem Spiegel, mit Schweinemaske auf der Toilette. Offenkundig Artifizielles gibt es freilich ebenso: Ein Bild zeigt sie in klischeehaftes Rot getaucht – in einem Zimmer zwischen zwei Spiegeln, wie sie ihr Spiegelbild und somit sich selbst von zwei Seiten ablichtet, ihre Funktion als Subjekt wie Objekt des begehrenden Blicks gleichermaßen dokumentierend. Es ist eines der gelungensten und zugleich aussagekräftigsten Bilder der Sammlung.
Andere Aufnahmen mögen „alternativ“ wirken, sind aber als Statement betrachtet nicht neu oder originell: Sasha im Metal-Shirt oder erschöpft vor einer blutbeschmierten Wand oder beim Liebesspiel mit einer Mohawk-Prinzessin – längst ein alter Hut bei allen Suicide Girls dieser Welt und vermutlich ohnehin eher Teil des Bereichs „Selbstdokumentation“. Grey will nun mal eher der gegenkulturelle Typ sein, was nicht extraordinär ist, was man aber auch nicht in Abrede stellen muss. Durchaus ungewöhnlich ist, dass jemand mit allerhand fotografisch dokumentierten Querbezügen zu Brian Lustmord, Chris & Cosey und „Seelenbruder David Tibet“, ein Medienstar mit einem auf die Fußsohlen geschriebenen Nurse With Wound-Titel, es bis in die Niederungen des Boulevards schafft – in die Bild und zum Heyne-Verlag, wo die deutsche Ausgabe des Buches erschienen ist.
Nicht nur die Schauspielerin, sondern auch die Kunstfigur Sasha Grey ist Teil eines Milieus, in dem ramschiger Konsum und billige Stimulation die Welt bedeuten. Ob sie diesen Ort zu unterhöhlen und somit zu bereichern versteht, oder doch eher selbst vereinnahmt werden wird – man mag es nicht vorhersehen und das Ergebnis wird vielleicht immer Interpretationssache bleiben. Dass ihr weltanschauliches Konzept dabei im Grunde altbekannt ist, sollte man als Kritikpunkt nur unter Vorbehalt gelten lassen: Altbekannt sind derart subversive Konzepte in der (vom Feuilleton rezipierten) Literatur, im Performance-Theater, im Arte-Film – man vergisst leicht, dass es sich bei diesen Dingen nach wie vor um Subkulturen handelt, gemessen an Privatfernsehen und eben Hochglanzporno. Und man kann sich sehr wohl stirnrunzelnd fragen, wie wenig der gemeine Kulturwissenschaftler von heute eigentlich von der weiten Welt derer weiß, denen Begriffe wie Diskurs oder Gender – im eigenen feschen Elfenbeinturm längst zu banalen Ingroup-Codes verkommen – nicht einmal dem Sound nach bekannt sind. Dass sich jemand ganz selbstverständlich an beiden Orten positioniert, ist selten, wenn nicht gar “neü”.
Ich wünsche jedenfalls viel Glück bei der Mission, das was Roland Barthes einmal den Stumpfen Sinn nannte, mit subversiver pornografischer Performance zu unterwandern und hoffe, dass das Spiel nicht unentschieden ausgeht. (U.S.)
Verlag: Heyne