Die Wiener Aktionisten und insbesondere Rudolf Schwarzkogler haben einen nicht unerheblichen Einfluss auf verschiedenste Industrialgenerationen gehabt. So (re)produzierte Steven Stapleton (ob intendiert oder nicht) den Mythos von Schwarzkoglers vermeintlicher Autokastration. Die Performances von COUM Transmissions wären ohne die Vorarbeit der Wiener Gruppe undenkbar gewesen. Dass oftmals der Bezug bei weniger inspirierten Künstlern ein nur oberflächlicher zu sein scheint, der eher schmückendes Beiwerk denn ernsthafte Auseinandersetzung ist, daran kranken weite Teile der Subkultur.
Es gibt aber auch immer wieder Gegenbeispiele. Einer der jüngeren Vertreter des Industrials, der sich im letzten Jahrzehnt am konsequentesten an den Österreichern abgearbeitet hat, ist Martin Bladh, Sänger und Texter von IRM und Skin Area, Maler, Performancekünstler, Übersetzer und Theoretiker. Seine Bezugspunkte sind immer wieder die Deformationen des Körpers gewesen, so etwa die „physische[...] Präsenz des Fleisches“ (A. Zweite) in der Malerei Francis Bacons, der „Schmerz der Märtyrer“ in Hermann Ungars (und von Bladh illustrierten) Roman „Die Verstümmelten“, der von Pfleilen penetrierte Heilige Sebastian oder die verrenkten Puppen Hans Bellmers, ebenso (natürlich) die Überschreitung und Verausgabung bei Bataille, die Transzendenz der Opferung – „the beauty of the passion“, wie Bladh in einem Interview sagt – in Nitschs Orgienmysterientheater oder aber Artauds „Theater der Grausamkeit“, das das von Bladh zusammen mit dem Enfant terrrible Bo Cavefors konzipierte „Neue Theater der Grausamkeit und Dekadenz“ inspirierte. Bladh lotet mit einer unglaublichen Konsequenz in den jeweils gewählten Medien das Spannungsfeld zwischen Masochismus und Sadismus, Opfer und Täter aus.
Die Fokussierung auf das Abjekt und das Verfemte wurde bei IRM musikalisch oft brachial umgesetzt – was auch an den verzerrten, konfrontativen Vocals lag -, wobei die letzten Verröffentlichungen ein differenzierteres Klangbild boten. Auch das aus Bladh und Magnus Lindh bestehende Projekt Skin Area hat auf den bisherigen Veröffentlichungen wenig plakativ geklungen. Auf dem dritten Skin Area-Album „Rothko Field“ lässt der Schmetterling in seiner Symmetrie an die „Blut Rohrschach“-Bilder auf IRMs „Virgin Mind“ denken und dies spiegelt sich auch in der Anordnung der Tracks wider: Das in der Mitte situierte „Void“ dient als Spiegelachse, hinter der die ersten vier Stücke als Wiedergänger in leicht anderer, reflektierter (?) Form auftauchen. „Threshold“ setzt gesanglich auf volle Konfrontation: Bladhs Stimme brüllt in den Lautsprechern, oszilliert zwischen links und rechts, wohingegen die Instrumentierung (Klavier (?)) nur dezente, kaum wahrnehmbare Kontrapunkte setzt. Im Text wird wieder einmal eine Art Versuchsanordnung, eine Inszenierung entfaltet, der Verweis auf den Protagonisten und den Antagonisten lässt hier an Bladhs Beschreibung seiner Auftritte denken. „In the Skin“ erinnert an die Wucht und ultralangsame Brachialität der frühen Swans, das schleppende Schlagzeug und die Gitarre erzeugen einen zähflüssigen Sud, in dem die Stimme und der Text weniger dominant sind, fast scheint Bladh hier nur einige Wörter assoziativ aneinanderzureihen.
Der Titeltrack verweist auf Mark Rothko und natürlich kommt einem in den Sinn, dass vielleicht die frühen und von Nietzsche und griechischen Tragödien beeinflussten Gemälde für Bladh eine größere Relevanz haben als die Farbfeldmalerei der späteren Jahre, für die Rothko heute primär bekannt ist, aber der langsam mäandernde Strom des Titelstücks, in den Bladhs Stimme einbricht und sowohl spricht als auch brüllt, sowie der Titel scheinen das zu widerlegen. Das ist ein erdrückend-zäher „wall of sound“, in dem man „Fleischbilder“ auftauchen sieht. „Hypnagoga“ nimmt die Aggression zurück, erzeugt mit geloopten Melodiefragmenten, stammelnden Frauenstimmen und schreienden Babies tatsächlich somnambule Musik „jenseits der Mauer des Schlafes“. „Void“ ist ein von Orgeldrones bestimmtes Stück, das hier einen Moment der Transzendenz abseits der fleischlichen Ekstase erschafft und letztlich näher an dem ist, was ein kleines Bremer Label seit Jahren in verschiedensten Formen konsequent veröffentlicht als an Power Electronic. Die zweite Version von „Hypnagoga“ erzeugt mit ähnlichen Mitteln wie der erste Teil eine Traumatmosphäre, in der irgendwo orientalisch anmutende Klänge verborgen sind. „Rothko Field“ entwickelt sich über 17 Minuten hinweg langsam und strahlt eine unglaubliche Schwere aus (unweigerlich musste ich daran denken, dass Paul Lemos’ kurzzeitiges Slow-Doom-Projekt Skin Chamber hieß), der Gesang klingt wesentlich gequälter und irritierender, hier hat man den Eindruck, man höre das, was im Text als „the ecstasy terror“ beschrieben wird. „In the Skin “ knüpft an den ersten Teil an, wobei das Schlagzeug weniger zäh, im Rahmen dieses Albums fast schon treibend ist. Die letzten 55 Sekunden sind „Threshold“ gewidmet: Stimmen sprechen ineinander: „1: incident 2: going to hurt 3: just a flesh wound“.
Das Feld, das Areal, das hier abgesteckt wird, ist gesäumt von Sehnen und bedeckt von (verletzter, blutender) Haut.
(M.G.)
Label: Malignant