To Fuck Up Tradition – Interview mit dem Folkmusiker und Verleger Alan Trench

Alan Trench befasst sich seit etwa zwei Jahrzehnten mit der Vermittlung von Folk in verschiedensten Formen und Ausprägungen – sei es als jemand, der als ein Drittel von World Serpent dazu beigetragen hat, Bands, die ihre ganz eigenen Vorstellungen und Interpretationen von Folk hatten, eine Plattform zu bieten, sei es als jemand, der selbst in einer Reihe von Formationen musikalisch aktiv ist. Am bekanntesten dürfte seine Hauptband – die aus Trench, Amanda Prouten und Tracy Dawn Jeffery bestehenden – Orchis sein. Daneben hat er ein Album unter dem Namen Cunnan eingespielt, das – wie er sagt – „ein Orchis-Album ohne Amada war“. Mit dem ehemaligen Eyeless in Gaza-Sänger Martyn Bates spielt er als 12000 Days und mit Stephen Robinson als Temple Music. Versucht man, so etwas wie einen gemeinsamen Nenner all seiner Projekte zu finden, dann ließe sich sicher das von ihm im folgenden Interview zum Ausdruck gebrauchte Diktum von der Notwendigkeit „to fuck up tradition“ nennen. Seine Musik ist (oft) atonal, psychedelisch und sein Besingen der Alraune lässt nachtschattigere Bilder aufkommen, als das viele oftmals sehr biedere Kollegen vermögen.

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Lass uns mit ein paar allgemeinen Sachen anfangen: Welche Instrumente spielst du, und wie bist du überhaupt zur Musik gekommen? Welche Musik war in der früheren Zeit wichtig für dich?

Gitarre ist mein Hauptinstrument… meine Standardausrüstung… Ich spiele alle Arten von Gitarren – zwölfsaitig, elektrisch, klassisch, Baß; und andere Saiteninstrumente – Dulcimer, Balalaika, Mandoline, Ukelele, Banjolele, Bowed Psaltery… Blasinstrumente wie Flageolette und verschiedene ähnliche Arten wie Mosenos, Qena, Chanters, Blockflöte etc., die ich über die Jahre irgendwo aufgetrieben habe… Ich habe um die 50 Stück bei mir herumliegen. Ich spiele auch Synthies – ziemlich einfache alte Analoggeräte wie die Novation Bass Station, alte Sampler von Yamaha und so weiter. Ich kann Sachen wie Flötenorgel usw. spielen, aber es dauert immer eine Weile, bis ich da reinkomme… es ist nichts Natürliches für mich. Generell auch Perkussion mit Glocken, Gongs usw., aber da bin ich nicht besser als jeder andere, der noch nie zuvor so etwas in der Hand hatte… Mein erste musikalische Leidenschaft waren Slade, Sweet, überhaupt Glamzeugs – allerdings nicht Bowie; dann Deep Purple, Black Sabbath und ähnliches; dann kamen Genesis, ELP, Gentle Giant, King Crimson… Dann kam Punk, ohne dass wir das richtig bemerkten, mit The New York Dolls und The Stooges… dann Ramones, The Cramps… Ich habe mir nie viel aus britischem Punk gemacht, oder aus dem, was man heute so nennt… Die Pistols und Buzzcocks usw. waren einfach Popbands, aber ich mochte viel von dem etwas durchgeknallteren Zeug wie The Table, Desperate Bicycles, Swell Maps, Television Personalities und so weiter. Ich spielte zu der Zeit bereits in ein paar Bands, von denen ein paar ok waren, aber wir nahmen das alles nicht zu ernst… Aber es brachte mich dazu, Songs zu schreiben… einfach nur weil wir nicht gut genug waren, anständige Cover zu spielen. Es dauerte noch eine ganze Zeit, bis ich mir einen Vierspurrekorder zulegte und mehrschichtig arbeiten konnte. Damals wurden die Dinge so langsam interessant. Ich hatte in verschiedenen Studios aufgenommen, aber es war sehr traditionelles Material, punkig, poppig, und die Toningenieure und Produzenten brachten dich früher oder später dazu, zu machen, was sie wollten, anstatt dass sie taten, was du wolltest. Ich denke, mit Steve Stapleton im Studio zu arbeiten war ein wirklicher Wendepunkt… Steve ist, wie er selbst sagt, kein Musiker im engeren Sinne, aber er ist voller Musikalität und weiß genau, was recht ist und was nicht. Ich denke, es war Steve, der mich lehrte, mir selbst zu vertrauen bei der Arbeit mit Klängen… Und das ist so ziemlich das, was ich seit dem mache, auf die eine oder andere Art.

Du bist über die Jahre in einer Reihe von Bands und Projekten gewesen, am bekannstesten sind sicher Orchis, 12000 Days und Temple Music. Haben sie für dich alle den gleiche Stellenwert, und gibt es sie alle noch immer? Es war ja mal von einem neuen Orchis-Album die Rede..

Nun, sie sind alle unterschiedlich, und so alle auch unterschiedlich wichtig… Temple Music ist mehr “mein” Projekt als die anderen… Steve und ich sind die einzigen dauerhaften Mitglieder, und wir sind so gut auf das, was wir wollen und mögen eingestimmt, als wären wir eine Person… Wenn immer ich etwas mache, weiß ich, dass Steve es gut findet und umgekehrt. Temple Music beinhaltet die unterschiedlichsten Aspekte, aber da wir Ideen gerne bis zu ihren Grenzen nachgehen, ist es dann oft sehr umfassend… Wenn wir also ein Projekt mit Temple Music verfolgen, schließt das oft alles andere aus, und wir machen nichts sonst mehr, bis es fertig ist… Sicherlich gibt es einzelne Tracks für Compilations, für die wir nicht so lange brauchen, was dann auch mal zwischen anderen Dingen erledigt werden kann, wie zum Beispiel Orchis-Tracks.. Es gab ein Album “Foxfire and Aconite” (auf unserer Bandcamp-Seite erhältlich), das wir unter dem Namen Cunnan herausgebracht hatten, was aber faktisch ein Orchis-Album bloß ohne Amanda war. Es gab zwei Songs darauf, die ursprünglich für Orchis gedacht waren, vor allem zwei – “The Wizard of Carpathia” und “Seven Sleepers Seven Sorrows”, das Tracy sehr gerne mag. Wir haben sie auf dem WGT in Leipzig letztes Jahr gespielt, und es hat wirklich gut gepasst. Wir hatten letztes Jahr in Coventry ein Akustikset gespielt, mit dem wir sehr zufrieden waren; Amanda hat entschieden, dass sie nicht mehr gerne live spielen will, so dass Orchis nun zwei Bands sind, eine Studioband und ein Liveact. Wir hatten noch ein weiteres Orchis-Album geplant und auch ein paar Sachen aufgenommen, aber wir haben uns dann doch entschieden, sie nicht zu verwenden – manches davon kam auf “Phoenix Trees” heraus (erhältlich auf nahezu allen Download-Plattformen, oder direkt von DMMG ). Manches wird vielleicht noch einmal überarbeitet werden, und der zentrale Teil “A Dream” wird als EP auf “Infinite Fog” herauskommen (die “A Thousand Winters” wiederveröffentlicht haben und auch eine Neuauflage von “Mandragora” für dieses Jahr planen). J. Greco wird das für uns remixen.. Es sind fünf Tracks, und er hat den ersten “Kishmul’s Galley” bereits fertig… Orchis ist also sehr aktiv und für mich auch sehr wichtig, und das neue Album (ebenfalls auf Infinite Fog) muss eben so gut werden, wie wir es machen können. Aber da wir immer nur zwischendurch daran arbeiten können, dauert es etwas länger als geplant. Twelve Thousand Days liegt mir sehr am Herzen und Martyn ist ein wirklich enger Freund, und wir haben herausgefunden, dass wir es wirklich nur hinbekommen, wenn wir im gleichen Raum zusammen arbeiten.. Wir haben versucht, separat zu arbeiten, aber das hat nicht funktioniert… So hängt es also stark von unseren individuellen Zeitplanungen ab. Wir haben letztes Jahr in Coventry gespielt, was großartig war… Wir hatten vor kurzem zwei exzellente Aufnahmesessions, so dass wir ein neues Album schon als Rohfassung haben, und ich plane, es später im Jahr fertig zu mixen und zu arrangieren.

Du sagtes mal in einem Interview, dass du in der Anfangszeit von Orchis nicht wirklich begeistert warst von vielen Aspekten des Folk, und dass es wichtig sei, “Tradition zu verhunzen” und die Lyrics für die heutige Zeit relevant zu machen. Ich denke, dass dieses Bewusstsein bei vielen Künstlern fehlt, die an eine Folktradition anknüpfen. Wer ist deiner Meinung nach gut darin, Folk relevant, frisch und inspirierend zu machen (neben deinen Projekten, versteht sich ;-) )?

Ich hab zuletzt sehr viel in dem Bereich gearbeitet, und deine Frage beinhaltet sehr viel.. Es scheint so, als ob überall auf der Welt außer in England und Amerika die “Folk-Tradition” ein Kontinuum darstellt… Bands, Musiker – mainstream oder nicht – denken nicht viel darüber nach, wie sie ihre Einflüsse verarbeiten – es ist viel unbewusster… Sieh dir eine Band wie Korplikaani an, die Finnische Polkamusik als Basis für Metal benutzt, und es ist eine vollkommen natürliche Sache. In England gibt es eine starke Trennung zwischen “traditioneller” und “moderner” Kultur; Wenn du nicht aktiv dahinter her bist, wirst du nicht viel über traditionelle englische Musik erfahren, und wenn du es versuchst, ist alles vorgeprägt und vorgeschrieben durch Langweiler wie Martin Carthy, Ewan MacColl, Pete Seeger etc; im Wesentlichen ist es so, dass wenn man es nicht so macht, wie Cecil Sharp, Percy Graininger und andere, man es gar nicht machen sollte. Der “Folk Rock” im Vereinigten Königreich hat es zumindest versucht, und es gibt viele Bands, die ich richtig gut finde: Mr Fox, Trees, Dulcimer, Pentangle, Kaleidoscope, Steeleye Span, Fairport Convention – die Folksongs für einen Rockkontext adaptiert haben – aber das hieß, dass die Lieder nur etwas beschleunigt und dass Schlagzeug und elektrische Instrumente hinzugefügt wurden. Es ist etwas ganz anderes als eine sich kontinuierlich entwickelnde Tradition. Das ist also in etwa das, was uns geblieben ist – entweder die albernen, gestelzten Wiederkäuer “der Tradition”, Leute, die “in der Tradition” schreiben, oder eher die verlegen “aufgerockten” Versionen, die anders “authentisch” sind. The Pogues sind ein fantastisches Beispiel dafür, wie es getan werden kann und sollte. Aber sie sind Teil einer kontinuierlichen irischen Tradition. The Men They Couldn’t Hang haben großartige Sachen gemacht, ich mag auch viel von der Oyster Band; Martyn Bates, Current 93 und Sol Invictus, und in einem wesentlich geringeren Maß Death In June stehen, wie ich finde, in einer genuinen “Folk Tradition”… Auch Andrew King, Sedayne, Sproatley Smith, The Hare And The Moon… all diese Leute und viele andere, verhunzen die Sachen auf sehr nette Art – aber es wäre falsch zu behaupten, dass das irgendwie mehr sei als etwas von einem sehr sehr marginalen Interesse… Ich denke schon, dass viele Leute auf irgend eine Weise etwas beisteuern, aber in England gibt es eine so massive Trennung zwischen der Musik vor 1900 und heute, viel stärker als irgendwo sonst – in Amerika in einem gewissen Maße, obwohl das eine andere Sache ist – , dass die Relevanz von Folk für meisten Engländer für immer verloren ist.

Seit den frühen Tagen von Orchis verknüpfst du folkinspirierte Musik mit einem Interesse am Spirituellen und Okkulten. Wie hattest du damals bemerkt, wie sehr diese Dinge mit einander zusammen hängen, und was kannst du uns über deine ersten Begegnungen damit erzählen?

Wir alle drei waren immer unabhängig von einander an verschiedenen Aspekten des Okkulten und Spirituellen interessiert… Tracy und Amanda in einer sehr viel “formaleren” Weise als ich – ich bin kein großer Freund von Organisationen…  Musik, die du machst, sollte und muss deine Interessen und Tätigkeiten reflektieren; und “Folk” war ein Teil des Lebens – Lieder über die Jahreszeiten, für bestimmte Anlässe, für Hoffnung und Trauer, zur Erinnerung, für Hass und für Liebe – ein integraler Teil von deinem Leben und von allem was du bist. Das erste, woran ich mich speziell erinnere, waren die Bücher von T Lobsang Rampa; ein grandioser Hochstabler, wie sich herausstellte, ich las sie in etwa zu der Zeit, als ich auch “The Alexandria Quartet” von Lawrence Durrell las, das mich dazu brachte, eine bestimmte Form des Gnostizismus und alles, was daraus entstanden ist, zu erforschen… Zu der Zeit stieß ich auch auf Idries Shah, und es schien offenkundig, dass all diese verschiedenen Schulen des Denkens über das Gleiche sprachen. Die Sufis lehren, dass überall, wo ein Bedürfnis ist, auch ein Lehrer auftaucht – aber wichtig ist, dass die Lehrer und ihre Lehren nur für die Leute aus ihrer Zeit wichtig sind. Fossile Gedanken helfen niemandem, und bewirken einzig die Expansion von Organisationen, die nur wiederum ihre eigene fortgesetzte Expansion fördern. Sklavisch irgend einer Doktrin zu folgen ist witzlos, kontraproduktiv und unter Umständen sogar schädlich. Persönlich habe ich ein gewisses Verständnis erreicht, und jede Musik, die ich mache wird einen Aspekt dieses Verständnisses reflektieren; und so sollte es auch sein.

Es heißt, dass Songs von Orchis in Ritualen verwendet wurden. Was kannst du uns darüber erzählen?

Wie gesagt weisen alle Songs, die wir je mit Orchis augenommen haben, dahin… Und so wie alle Musik, die ich mache, mein eigenes Verständnis reflektiert, ist bei Musik, die mit anderen aufgenommen wurde, auch deren eigenes Verständnis und ihre Intention enthalten, und wir alle unterstützen diese spezielle Absicht auf unsere eigene Art. Rituale haben die Funktion, zu fokussieren, und jeder hat seine eigene bevorzugte Methode, diejenige, die am besten passt. Unsere rituellen Sessions standen eher unter dem Diktat “traditioneller” Erwägungen – die richtigen Stunden, Tage, Materialien – für den speziellen Vorsatz. Einige sind für unsere eigenen Absichten entstanden und wurden nicht aufgezeichnet, einige wurden auch aufgenommen. Das erste war “Waiting For The Moon” auf “The Dancing Sun”, und eines der ‘besten’ war “Anadiomene” auf “Mandragora”.  Die Sessions, aus denen “Jennet” (das war ein Zauber zur Formwandlung, ebenso wie “The Wizard of Carpathia”) und “He Walks In Winter” hervorgingen, waren besonders bemerkenswert, da wir gerade Sonnenwende bzw. Tagundnachtgleiche hatten. Und “Blood Of Bone” war großartig. Es ist aufgenommen worden, um einen “cone of power” zu beschwören – wir haben das auch Allerheiligen 2010 um Mitternacht in den Fell Foot Woods [im Lakedistrict, M.G.] aufgeführt und das war fantastisch.

Da du dich in deinen Werken mit vielen Aspekten des Heidnischen befasst hast, würden wir gerne wissen, wie du über die wichtigsten Entwicklungen zeitgenössischen Heidentums denkst. Wie beurteilst du die Herausforderung, die ein eher globaler Lifestyle (der das Bewusstsein von jedem irgendwie prägen muss, der nicht völlig wie ein Eremit lebt…) für eine Spiritualität mit eher lokaler Ausrichtung darstellt? Denkst du, dass dies auch Formen neurotischer Abwehrmechanismen in bestimmten Gruppen hervorruft?

Es ist traurig, aber das meiste davon ist kompletter Blödsinn. Wie du schon sagst, wenn du nicht komplett aus der Welt sein willst, prägen bestimmte Aspekte davon dein Leben; aber das meiste im Heidentum definiert sich anscheinend nur durch das, was es nicht ist, statt zu sagen, was es ist, und den meisten scheint es recht zu sein, irgendeinen heidnischen Aspekt – womit sie anscheinend alles meinen, was nicht christlich, islamisch oder jüdisch geprägt ist – oh, außer der Kabbala natürlich – herauszupicken. Für gewöhnlich die leichtesten Eigenschaften des ganzen, oder die angenehmsten und selbstbezogensten. American Express, Visa, Access etc haben sich sicher einen vielversprechenden Trick durch die Lappen gehen lassen, als sie die Druidenkarte übersehen haben, mit der man Obsidiandolche, Weihrauchessenzen, Opferlämmer und Mistelzweige bestellen kann. Eine der essenziellen Sufi-Lehren sagt, dass man in der Welt, aber nicht VON ihr sein soll, was für meine Begriffe bedeutet, dass du die moderne Welt schon annehmen sollst, aber ohne zuzulassen, dass sie die Essenz deiner Person in Mitleidenschaft zieht; dass du konstant arbeiten sollst, damit sich die Essenz deiner Person entwickelt und du ein Verständnis der Welt und von unserem Platz in ihr bekommst. Wir sind hier für eine kurze Zeit und dann sehr lange tot; es gibt kein Zurück zu irgendeinem vermeintlichen Goldenen Zeitalter – das meistens weit weg von allem Goldenen war für die große Mehrheit aller, die darin lebten; und es scheint mir erwiesen, dass der Kern aller “religiösen” Lehren der gleiche ist, lediglich verpackt in Begriffe, die für eine bestimmte Zeit relevant sind. Es ist also verschwendete Zeit, irgendeiner alten Vorschrift für spirituelles Wachstum oder Glück oder wie du es auch nennen willst zu folgen – auch wenn du deinen eigenen Weg erst einmal finden musst, bevor du ihn gehst, wird es dein Weg sein. So gesehen ist es auch absolut berechtigt, die eklektische Methode für diesen Zweck zu nutzen – also die vielleicht am wenigsten genießbaren Aspekte aus verschiedenen Lehren, die nichtsdestotrotz wahr sind, und aus ihnen eine funktionierende Philosophie zu synthetisieren. Ich würde vermuten, dass 90%+ aller heidnischen Adaptionen genau das nicht sind. Persönlich denke ich, dass jeder Ort im Raum seinen eigenen Charakter hat, eine Manifestation des genus loci, der irgendwie mit allen Punkten von Raum und Zeit verknüpft ist… Wir haben also diverse Gott-Aspekte an verschiedenen Orten, und in einigen Fällen wird aus einer persönlichen Offenbarung eine Bewegung. Alle junge Bewegungen verteidigen sehr eifersüchtig ihr Revier und sind daher anfällig für “neurotische Abwehrmechanismen”…

In einem früheren Interview hast du gesagt, dass Martyn Bates Orchis zuerst gehasst hat, aber dann dem seltsamen Charme der Musik erlegen ist. Denkst du, dass Orchis eine Musik spielt, die Zeit erfordert? Was sind die extremsten Reaktionen, die ihr jemals bekommen habt?

Musik ist eine persönliche Sache, und was für den einen viel bedeutet, mag für den anderen gar nichts sein; als Hörer begegnest du einem Stück Musik mit all deinem eigenen Wissen und deinen Assoziationen. Es gibt zwei Arten von Musik: “Kunst” und “Unterhaltung”’ – und je mehr allgemeines Wissen und je mehr gewöhnliche Assoziationen sie transportiert, umso mehr wird sie Unterhaltung und umso weniger ist sie Kunst. Kommunikation ist die Basis der Musik… Als arrivierte klassische Musik befolgt sie spezielle Regeln, die auf einer breiten und über lange Zeit bestehenden Übereinstimmung basieren, um Gefühle, Eindrücke etc. zu kommunizieren. Als Pop/Rock-Musik ist sie komplett Unterhaltung, Showbiz, Musikbiz usw. und hat keinen tatsächlichen Wert neben den Assoziationen, die du ihr als Hörer entgegen bringst. Sie drückt Knöpfe, und du antwortest. Je typischer sie ist, d.h. je weniger sie zu sagen hat, desto erforlgreicher ist sie. Ich finde das übrigens nicht schlimm, ich mag wirklich eine Menge Musik!  – es ist bloß, was es ist. Die Art Musik, die wir machen, oder zu der wir gezählt werden, versucht etwas sehr Persönliches zu vermitteln, mit keinen Assoziationen für die Hörer; oder zumindest mit sehr wenigen. Sie ist erfolgreich, wenn sie uns gelungen erscheint, nicht wenn anderen das “gefällt”, und das macht sie zwangsläufig etwas schwieriger…Wir sind nicht absichtlich schwierig und beschränkt, wenn wir etwas aus “falschen” Noten machen oder mit kaum verständlichen Texten oder misstönenden Instrumenten arbeiten – das ist etwas, das wir schließlich leicht ändern könnten, und das würde es für andere gelungener machen…aber weniger gelungen für uns. Aber das hat seine eigene Logik und wenn man es sich genau anhört, dann wird es das tun, was es machen soll. Westliche Ohren wurden beispielsweise unempfänglich für Vierteltonmusik – indische, japanische, chinesische, griechische, türkische, arabische – aus der ganzen restlichen Welt, letzten Endes – aufgrund der Vorherrschaft klasischer und später populärer Traditionen – aber es klingt heutzutage nicht mehr derart fremd… Ich schätze, dass wir die extremsten Rückmeldungen bei Temple Music bekamen – hauptsächlich, weil wir damit die meisten Konzerte gespielt hatten, und Plattenkritiken sind ja meistens nicht so extrem. Wir hatten ein Konzert, bei der eine Frau schreiend weglief; der Rest der Zuschauer war wie gebannt und die Veranstalter versuchten – vergeblich – uns den Strom abzudrehen (dummerweise überließen sie uns den Sound)… Ein anderes Mal dachte ich, wir werden alle sterben, denn das Publikum war voller Gerüstbauer; die Leute an der Bar insistierten, dass der Strom abgeschaltet wird, wenn sie nicht gehen, aber zum Schluss kamen einige der Gerüstbauer zu uns und sagten, das sei das beste, das sie gesehen hatten seit Tangerine Dream… Es gibt tatsächlich viele solcher TM-Geschichten, auch wenn es in der letzten Zeit etwas ruhiger greworden ist…

Wie hattest du Martyn eigentlich kennen gelernt, und welche Ideen resultierten in der neuen Gruppe 12000 Days?

Eyeless in Gaza kontaktierten World Serpent wegen des Vertriebes der “Streets I Ran”-EP, und Marty und ich verstanden uns gleich sehr gut. Wie du sagst, hasste Martyn Orchis zuerst (ich hatte ihm ein Exemplar der “Dancing Sun” gegeben), aber als er dank des merkwürdigen Charmes dann doch Zugang dazu gefunden hatte, machte er den Vorschlag, bei ein paar Sachen zu singen… Ich glaube, es war der Song “Burning Incense” – aber das war sicher einer der ersten, die wir aufgenommen hatten – wie auch immer, er hatte Lust, aber als Tracy und proben hörte, sagte sie, dass das einen komplett eigenen Charakter hätte, und dass wir was von Orchis unabhängiges machen sollten… So ging es alles auf sie zurück. Martyn und ich waren uns einig, warum ein großer Teil des modernen “Folk” beschissen ist, aber er kennt sich da auch viel mehr aus als ich, deshalb ist er auch viel mehr noch daran interessiert, den Kanon neu zu interpretieren… Aber ansonsten ergänzen wir uns sehr. Mit Twelve Thousand Days versuchen wir, die äußerste Altertümlichkeit des Landes auszudrücken… Das Herz des Landes… auf eine sehr englische Art… Zu unserem eigenen Wohl, wirklich..

Wenn du 12000 Days hörst und deine Herangehesweise mit der von Martyn und Mick Harris in der “Murder Ballads”-Trilogie vergleichst, würdest du sagen, dass es mehr Unterschiede als Ähnlichkeiten gibt, und dass beide Projekte versuch(t)en, ein originelles Idiom für eine alte Form zu finden?

Nun ja, “Murder Ballads” hatte eine ganz markante Intention, und mit Mick auch einen ebenso markanten Sound, wohingegen Martyn und ich nie ganz sicher waren, was genau passieren wollte; Was mich aber immer wieder überrascht, ist dass wir bei allem was wir machen doch immer sehr markant klingen… Doch ja, ich würde schon sagen, dass dem generell so ist… Wir nehmen uns nicht vor, Folksongs als solche neu zu interpretieren, mehr Folkideen, wohingegen Mick und Martyn die Absicht von Songs bloßlegen… Ich denke also schon, dass es mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten gibt, aber wir suchen auf jeden Fall nach neuen Wegen, um alte Formen auszudrücken.

Du sagtes einmal, dass es bei 12000 Days feststeht, dass Martyn normalerweise singt. Könntest du dir auch vorstellen, selbst einen Großteil des Gesangs beizusteuern, oder denkst du, es würde sich dann in etwas komplett anderes verwandeln?

Ich singe einfach noch nicht gut genug für die 12000 Days-Sachen. “Meine” Songs werden anfangs als Demo mit meinem Gesang aufgenommen, aber sie klingen immer ein bisschen schrottig… Und sobald Martyn erst mal mit Singen angefangen hat, klingen meine Vocals noch schlimmer… Ich war auf einer kleinen Solotour in Europa unterwegs, letztes Jahr, und da habe ich auch etwas gesungen… Etwas, das ich extra geschrieben hatte namens “Drift” und eine extrem abstrakte und verräumlichte Version von Syd Barretts “Dominoes”, beide Stücke waren rund fünfzehn Minuten lang, und ich überlege, ob ich nicht doch ein bisschen mehr singen sollte… Für Temple Music war ein Song namens “Children of the Sun” vorgemerkt, den wir ein paarmal aufgeführt hatten, und der der Titelsong des neuen TM-Albums ist, auf dem nur songorientierte Stücke sein werden. Ich mag es sehr, aber Steve denkt, dass wir so viele talentiertere Sänger kennen und ich doch einfach die Klappe halten soll. “Children of the Sun” wird als Vinyl via Anticlock in den USA erscheinen… Wir haben eine andere Version (eine Kunst-Edition-CDR) auf den Konzerten zusammen mit Language Of Light im Oktober 2011 verkauft, und Anticlock haben vielleicht noch ein paar Kopien; ich denke, sie benutzen die als Promos. Es sind fünf Stücke – “Mirrors”, “Children Of The Sun”,  “Ism”, “Death Went Fishing” (welches die freie Übersetzung eines griechischen Rembetika-Stückes ist), “Momentum” und “Warlord of The Royal Crocodiles”  (ein alter Tyrannosaurus Rex-Song). So sieht es also aus, wenn ich ein paar Songs mehr singe… die Verwandlung in etwas anderes… Wir haben auch versucht, ‘No Return’ als ein Twelve Thousand Days-Stück mit Martyn und mir als Sänger einzuspielen, aber ich fand nie, dass es passte, und schließlich haben Orchis es als ersten Track des neuen Albums aufgenommen.

Temple Music erscheint im Aufbau wesentlich abstrakter als die anderen Bands. Wie sehr unterscheidet sich deine Herangehensweise beim Komponieren, Improvisieren und Schreiben der jeweiligen Musik?

Ich schreibe meist alle “Songs” oder “Kompositionen”, und der Vorgang ist tatsächlich sehr untershiedlich. Die “Songs” sind fast immer für 12000 Days, Orchis oder Cunnan (das Cunnan-Album “Foxfire and Aconite” und letztlich vierte Orchis-Album, von dem ich sprach), während die “Kompositionen” fast immer für Temple Music sind. Bei den Songs habe ich meistens ein bestimmtes Ziel im Hinterkopf und ich beginne mit den Lyrics. .. Sie müssen als erstes vollständig sein. Sprache ist sehr wichtig; und die tatsächliche Bedeutung muss nicht notwendigerweise an der Oberfläche der Worte transportiert werden; und ich habe die Bedeutung gerne erkennbar auf einer Vielzahl an Ebenen. Wenn ich erst mal mit der Musik begonnen habe, wird schnell klar, um was für eine Art Song es sich im großen und ganzen handelt. Da ich die Musik nicht mit einer bestimmten Stimme im Hinterkopf schreibe, funktionieren einige Songs mir bestimmten Stimmen und mit anderen wiederum nicht. Die Songstrukturen bei Orchis stehen unmittelbar fest, und verändern sich meistens nicht mehr sehr, wohingegen Twelve Thousand Days-Songs fließender sind, wo die Struktur bloß eine grob skizzierte Idee ist; Martyn und ich arbeiten stets zusammen daran. Die Grundstruktur gebe ich mit Gitarre oder Dulcimer vor, und oft hängt es von dem benutzten Instrument ab, wie der endgültige Song klingen wird. Temple Music verwendet im großen und ganzen keine Sprache, und versucht, Bedeutung durch Klänge ohne Gesang zu vermittel. Temple Music-Stücke sind sehr auf Zeit und Ort bezogen, und versuchen, die Seele eines Ortes herauf zu beschwören.. So kann ich es am besten ausdrücken. Manchmal ist es ein realer Ort, so wie bei der “The Green Man”-Reihe, die wir an dem bestimmten Ort aufgenommen hatten, manchmal, wie in “Soon You Will All Die…” ist es eher ein theoretischer Ort. Wir finden den richtigen musikalischen Modus dieses Ortes, und erarbeiten individuelle Parts, die wir verwenden wollen; und dann zeichnen wir einen narrativen Bogen, dem wir alle folgen. So sind die Stücke aufgebaut, allerdings eher lose, auch wenn die individuellen Parts der losen Struktur stark formalisiert sind.

Kannst du uns etwas über die griechische Musik erzählen, von der Temple Music beeinflusst ist, und welche Aspekte sind in eure eigenen Kompositionen eingeflossen?

Amanda betrieb in London eine okkulte Lesegruppe namens “Talking Stick”, woraus Bücher und Magazine dieses Namens hervorgegangen sind, und Tracy schrieb einen Artikel für einen der Bände über altgriechische Tonaten, nachdenen die modernen Tonarten benannt sind – äolisch, lydisch, dorisch u.s.w. Jede dieser alten Tonarten war auf einen bestimmten Gott oder Gottesaspekt bezogen, und hatte eine Funktion in bestimmten zeremoniellen Praktiken… Obwohl wir nicht genau wissen, was diese antiken Tonarten waren. Es sind nur ein paar wenige Stücke niedergeschrieben worden, und sie können nur eine relative Vorstellung von den Melodien vermitteln, da wir die tatsächlichen Noten nicht kennen. Die alten Intrumente allerdings können reproduziert werden und sind es auch, so haben wir eine einigermaßen gute Vorstellung von der Musik, die damals gemacht werden konnte. Ich war vor allem an ihrem spezifischen Charakter interessiert – dass bestimmte Modi und Instrumente für bestimmte Dinge benutzt worden sind; aber ich hatte nicht vor zu versuchen, etwas zu reproduzieren, das zwei bis dreitausend Jahre alt ist… Es ist vor allem dies, mit Temple Music – ganz sicher für Konzerte, und vor allem auch für die Green Man-Reihe – wir versuchen, wenn ihr so wollt, Aspekte eines bestimmten Gottes dieser Zeit und dieses Ortes mit unseren spezifischen Instrumenten und Spielweisen zu evozieren.

Anscheinend mögt ihr es, mit Temple Music die Aspekte des Verfalls und der Unvollkommenheit des Lebens zu erforschen. Das Video zu „Rotting from the inside“ und sein sarkastischer Diskurs über (u.a. Geschlechts-)Krankheiten ist vielleicht eines der driektesten beispiele. Fasziniert dich die Desillusionierung idealistischer Vorstellungen vom Menschen?

Wir schrieben “Rotting From The Inside”, nachdem Priapus 23 von Akoustik Timbre Frequency uns gefragte hatte, ob wir einen Track zu “Dark Ambient, Vol II” beisteuern wollten. Bei meiner Mutter wurde gerade Krebs im Endstadium diagnostiziert, und ich hatte geplant, etwas über gesellschaftlichen Zerfall zu schreiben… Nur ein winziges Thema, ich weiß… Darüber, dass Dinge an der Oberfläche fein wirken, aber in Wirklichkeit sind sie innerlich schon am verfallen. Es scheint mir so, als wollten wir der Realität, so wie sie ist, generell nicht gern ins Auge sehen, oder die Konsequenzen von Handlungen u.s.w. Wir sind lieber Optimisten als Pessimisten. Wir mögen die Realismus und die Wirklichkeit nicht und laufen davor weg. Hehre moralische Ideale, und welcher Sprachrahmen auch zu deren Beschreibung gebraucht wird, halten nur so lange, wie eine bestimmte Person da ist, die sie vertritt und entsprechend handelt. Sobald die Person nicht mehr länger präsent ist, wird die Idee, das Ideal oder was auch immer von Nachfolgern oder Schülern korrumpiert; es ist schlicht die menschliche Natur. Es ist ein politisches und soziales ebenso wie ein religiöses Ding, und rührt essentiell von diesem Unvermögen, der Wirklichkeit ins Auge zu sehen, wie immer sie auch verkleidet sein mag. Es passt nicht zum status quo, den tatsächlichen Mächten, den Leuten in der Schlatzentrale – welches paranoide Konstrukt man auch nimmt, um auszudrücken, dass sich Leute/Organisationen anders verhalten.

In eurem Album „Soon you will all die and your lives will have been as nothing“ formen Musik, Worte und Artwork eine rätselhafte Erzählung, und das titelgebende Staement ist äußerst drastisch. Wer sind die abgebildeten Personen auf dem Cover? Sind das deen Statements, und falls ja, was ist ihr Grund, die Lebenden so sehr zu entzaubern?

Das schließt tatsächlich prima an die letzte Frage an… Wir sind wirklich stolz auf “Soon You Will All Die…” und ich denke, es ist ein wirklich erfolgreiches Album, ein exaktes und pointiertes Werk. Es gibt kein großartiges Nachleben im Himmel oder sonstwo; wenn du tot bist bist du tot, und alles, was du getan und erreicht hast in deinem Leben wird mit der Zeit verloren und vergessen sein… Ob es sich länger oder kürzer hinzeieht, irgendwann ist es so. ich weiß nicht, wer die Person auf dem Cover ist, aber ich weiß, dass sie am Leben war und jetzt tot ist; und dass ich nichts über sie weiß… Ich fand das Bild in einem Trödelladen, zusammen mit den anderen auf der Rückseite der Hülle… Ich schaute sie an, und der Titel kam zu mir. Steve und ich entschieden zuerst, dass es ein Stück für eine Single sein sollte, und es sollte die letzte Stunde im Leben von jemandem vergegenwärtigen, und die Person ist die Frau auf dem Cover. Die Stücke oder Songs sind ihre innere Erzählung während ihrer letzten Stunde… Die Erinnerungen, die weitere Erinnerungen auslösen, bis der letzte Augenblick kommt… Was sich düster anhört, unangenehm… Aber ich wollte dem Ganzen auch etwas von einem friedvollen Einvernehmen geben. Ich finde, das letzte Stück ist schon sehr erhebend…

Du verbrachtest oder verbringst viel Zeit an einem Ort in Griechenland, und wenn ich es recht erinnere, wurde dort auch schon was aufgenommen. Wie hattest du diesen Ort entdeckt, und was kannst du uns über seine Stimmungen erzählen?

Ich habe ein Haus im Süden der Insel Euböa, in den Bergen. Es ist ein altes Steinhaus in einem kleinen Dorf, sehr ländlich und etwa eine Stunde Fußweg vom Meer entfernt. Wir werden morgens wach von Klang der Eselhufe von der Straße, und wir haben unsere eigenen Orangen-, Zitronen- und Maulbeerbäume. Ich saß tagelang unter den Bäumen, und schaute den Insekten zu; nachts erstrecken sich die Sterne endlos und Iltisse kämpfen in den Straßen. Es ist der schönste Ort, den ich kenne, aber es ist auch nicht das bekannte Girechenland aus den Reiseführern. Es ist extrem arm, und das Leben der Leute dort ist sehr hart; junge Leute wollen nicht in dem Dorf bleiben und in zermürbender Armut leben – und wer kann es ihnen verübeln? – und so stirbt diese ganze Lebensweise aus. Ich war fast zwanzig Jahre lang auf der Suche nach einem “richtigen” Ort in Griechenland, und ich wollte gerade aufgeben – ich wollte nicht auf einer dieser Touristeninseln sein, oder zu nah bei Athen… obwohl Euböa die drittgrößte griechische Mittelmeerinsel ist, kennen nur wenige Leute sie, und so gibt es dort keinen Tourismus… Aber es gibt alles dort, was man zum Leben braucht…

In England bist du nach einer langen Zeit in London zurück nach Lincolnshire gezogen. Geschah das aus praktischen Gründen, oder war auch die Atmosphäre beider Orte ein ausschlaggebender Punkt?

Der Hauptgrund war, dass meine Tochter ins schulpflichtige Alter kam und wir nicht wollten, dass sie irgendwo dort, wo wir in London lebten, zur Schule ging…und London hat sich in der Zeit, in der ich da war, sehr stark verändert. Es hat keinen Spaß mehr gemacht; und ich hatte nie vor so lange zu bleiben, wie ich dann geblieben bin…Wir haben zuerst etwas in der Nähe von London gesucht und sind dann zu dem Schluss gekommen, dass man verdammt weit weg von London sein muss, um weg von London zu sein. Meine Eltern lebten immer noch in Lincolnshire und wir fuhren häufig hin und insofern haben wir uns gedacht: “Warum nicht?” Ich denke, dass die Orte, an denen man aufwächst, immer für einen etwas Besonderes sind. In Lincolnshire gibt es den größten Himmel und es ist voller seltsamer und geheimer Ecken; Sumpfland, Hügellandschaften, uralte Ruinen, prähistorische Gräber, römische Straßen, Seehundkolonien, Gehölze, mehr alte Kirchen als irgendwo sonst in England. Hier geschehen seltsame Dinge. Der heidnische Teil liegt lediglich unter der Oberfläche..

Du hast drei Stücke zu dem “John Barleycorn reborn: rebirth“-Sampler beigetragen. Wie denkst du über deine Rolle dabei, und fidnest du, dass es eine gemeinsame Basis für alle Teilnehmenden gibt?

Das Ganze wurde von Mark von Woven Wheat Whispers zusammengetragen, der eine Art Vision eines New Wyrd Folk hatte… aber es war seine Vision, nicht die von sonst irgend jemandem auf der Compilation. Ich fand es interessant, dass die ganze Leute daran interessiert waren – und sind – mehr oder weniger die selben Bereiche auf so unterschiedliche Art zu bearbeiten… Aber gerade weil sie alle sehr individuell sind, sind sie froh darüber, einfach selbst an den Sachen weiterzumachen. Ich finde das einfach großartig… Es gibt keine “Szene”, und ich denke auch nicht, dass so etwas möglich wäre, denn obwohl es Leute mit den gleichen Interessen zusammenbringt, ist deren Musik ja extrem unterschiedlich. Die gemeinsame Basis wäre sozusagen, dass wir alle ein Haufen halb-besessener Einzelgänger sind, die ihr eigenes Ding machen…

“The Wicker Man” ist für viele Künstler sehr wichtig. Ich will jetzt nicht fragen, was du über das Remake mit Nicolas Cage denkst, aber was hälst du davon, dass jetzt eine Art Sequel (“The Wicker Tree”) nach vielen Verzögerungen herauskommt?

Haha! Ja, es ist unfassbar schlecht! R Loftiss erzählte mir erst gestern von “The Wicker Tree” und sagte, das man sich das schon ansehen kann, aber mehr als das weiß ich auch nicht. Ich denke nicht, dass “The Wicker Man” über jede Kritik erhaben ist oder so, und objektiv betrachtet ist es kein derart großartiger Film. Ich werde den neuen Film für sich selbst beurteilen!

Soweit ich weiß, bist du nicht direkt in die Band Hausfrauen Experiment involviert, aber da ich ihre Musik und ihren ironischen Witz sehr schätze, würde ich gerne wissen, wie es mit ihren Plänen weitergeht?

Aha! Tatsächlich sind Steve und ich die Masterminds hinter den Hausfrauen; er ist Mr. Muscle und ich bin Mr. Sheen. Es war Lisas Idee – sie sagte so etwas wie “we’re all Hausfraus now”, und wir dachten, dass es ganz amüsant wäre, ein Projekt nur mit Pophits und Retro-Synthies zu machen… Alle fünf von uns suchten sich Songs aus, und es stellte sich heraus, dass die Stimmen von Vyolette, Tracy und Lisa wunderbar zusammen passten, und los ging’s. Wir haben ein Album fertig, es heißt “The End Of The World”, und wir müssen uns noch überlegen, wie wir das auf die Bühne bringen, bevor wir weiter machen… Wir haben Pläne für eine experimentelle Show weiter hinten im Jahr, um zu schauen, wie es läuft… Vyolette hat gerade Zwillinge bekommen, was das ganze ein bisschen in die Länge zieht; aber ich denke… warten wir es ab! “The End Of The World” steht ins Haus! Die Hausfrauen mahen unglaublich viel Spaß und hatten bislang schon fantastische Reaktionen…Die nächste Sache, die das Licht der Welt erblicken wird, ist etwas für Fruits De Mer, von dem ich mir sicher bin, dass es keiner erwartet. Wir sind auch gefragt worden, ob wir eine XTC-Session machen wollen, nachdem unsere Herbstsession so gut lief, aber ich fürchte, dass die Zeit in dem Fall gegen uns spielt.

Vor einiger Zeit sagtes du mal, World Serpent sei ursprünglich ein eher idealistisches Projekt gewesen, aber die letzten vier Jahre waren wohl nicht so gut. Magst du etwas dazu sagen?

Nun, Leute verändern sich, und das was sie wollen verändert sich. Ich persönlich wollte schon Ewigkeiten früher aussteigen; was mich anbelangte, hatte ich alles bewiesen, was ich nur beweisen wollte. Alle waren älter und verfolgten so oder so unser eigenen Ziele. Als ich mit der Firma anfing, fühlte ich mich auf gewisse Weise für das Wohlergehen der Künstler und aller daran Beteilgten zuständig – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Es muss auch auf Gegenseitigkei beruhen und in den letzten Jahren gab es davon sehr wenig. Und ja, WSD war idealistisch – sehr sogar – und ich möchte es auch gerne so in Erinnerung behalten. Wir haben die Leute auf eine Menge Musik aufmerksam gemacht und ein Klima geschaffen, in dem es für Bands dieser Art möglich war, finanziell durchzukommen, und das kann nicht schlecht sein. Einer der Gründe, weshalb ich so lange blieb, was der alberne Prozess, den Doug Pearce führen wollte, und wenn es seine Absicht war, die Firma zu ruinieren, dann ist es eher amüsant, dass er genau das Gegenteil bewirkt hat! Erst recht, da ich immer noch glaube, dass er behauptet, er hätte den Prozess, der nie stattfand, gewonnen. Stattdessen hat er dadurch, dass er in einem außergerichtlichen Vergleich sein Eigentum wiederbekam, das bekommen, was ihm sowieso zustand – aber zwei Jahre später. WSD hatte schon alles, was wir ihm schuldeten in einen Gerichtsfond eingezahlt, und da hätte er jederzeit Zugriff drauf gehabt! Dennoch, wie ich schon gesagt habe, wiegen die guten Zeiten die schlechten bei weitem auf.

Denkst du, dass es im heutigen ökonomischen und technologischen Klima noch möglich wäre, so etwas wie World Serpent auzubauen?

Ich glaube nicht wirklich, also nein. Wirtschaftlich gesehen ist der Ertrag für jedes Projekt zu gering. Bei WSD waren wir nur zu dritt und das ist wahrscheinlich das Minimum, was man mit so einer Art Modell hinbekommt. Es ist ziemlich viel Arbeit einen Veröffentlichungsplan aufrechtzuerhalten, Bestände am Laufen zu halten, für Vertrieb zu sorgen etc. Ich denke, dass heutzutage die meisten Genrelabels Hobbylabels sind. Sie können finanziell für sich nicht bestehen. Das hängt perverserweise zum Teil mit der billigen Verfügbarkeit und Filesharing zusammen – je leichter es ist, etwas zu finden und je mehr davon da ist, desto weniger kaufen die Leute. Ich glaube auch, dass die Leute vergessen, wie schier unmöglich es zur guten alten Zeit von vor etwa zehn Jahren (ha ha) war, etwas zu finden und wie wenig Informationen verfügbar waren. Am wichtigtsten ist, dass alle Bands, die mit WSD in den Anfangsjahren zu tun hatten, einen Ethos teilten; und es handelte sich nicht um Musik oder Satanismus oder gar so etwas wie Nazismus – es war, dass die Musik, die sie gemacht haben, ihr wahres Selbst widerspiegelte. Letztens hat mir jemand genau die gleiche Frage gestellt, und ich hatte das gleiche geantwortet – nichtsdestotrotz spreche ich gerade über den Plan, etwas mit einem ähnlichen Ethos aufzubauen, das allerdings auf einer komplett anderen Grundlage aufbauen würde…

Danke für das Interview und alles Gute für deine Pläne im neuen Jahr.

Mein Dank geht an euch!

(M.G. & U.S.)

Cryptanthus @ Soundcloud

Twelve Thousand Days

Orchis

Temple Music

Cunnan