Konzertaufnahmen sind seit langem ein fester Bestandteil von David Tibets Diskografie. Ausgehend von den beiden als “All Dolled Up Like Christ” auf Doppel-CD herausgebrachten Konzerten in der New Yorker Ohrensanz-Foundation erschien eine ganze Reihe an Mitschnitten kompletter Auftritte, und zeitweise dachte man fast, die damals nicht gerade eifrig tourende Band wolle mit der Zeit buchstäblich jede Show durch einen schön gestalteten Tonträger würdigen. Alben wie “Cats Drunk On Copper”, “Halo” und “Birdsong In The Empire” entsprechen dabei quasi einem (später durch Rockelemente ergänzten) Gewohnheitsbild von Current 93 als dunkler, exzentrischer Folkband und weisen einige Überschneidungen auf, die neben Begeisterung auch Kritik ernteten. Mitschnitte, die dieses Klangbild in die eine oder andere Richtung transzendieren, haben nach wie vor Ausnahmecharakter, dazu zählen neben der rockigen Liveversion der “Birth Canal Blues”-EP auch einige kammermusikalische Darbietungen in minimaler Instrumentierung, die der introvertierteren Ausrichtung der Band in den Jahren um 2000 entsprachen. Neben “Some Soft Black Stars Seen Over London” müssen dabei die Split mit Antony Hegarty in der (ebenfalls Londoner) St. Olave’s Church und die 2003 aufgenommene 7’ ”Time of the Last Persecution/Black Flowers, Please“ (auf der Tibet nur von Maja Elliott am Klavier unterstützt wurde) hervorgehoben werden.
Die an zwei Tagen im November 2005 in Rom gespielten Sets schlagen die Brücke zwischen diesen Aufnahmen und der (zumindest etwas gitarrenlastigeren) Doppel-CD “How I Devoured Apocalypse Balloon”, denn Frontmann Tibet wird hier nur von der Pianistin Maja Elliott (deren Rolle in den vergangenen Jahren von Baby Dee übernommen worden ist) und dem Cellisten John Contreras begleitet.
Schaut man sich die Tracklist an, stellt man fest, dass hier eine Reihe von Songs zu hören ist, die sich in den letzten Jahren zu festen Konstanten im Liveset der Band entwickelten: so zum Beispiel die das Konzert eröffnende Bill Fay-Coverversion “Time of the Last Persecution“, deren apokalyptischer Text sich thematisch perfekt ins Oeuvre von Current 93 einfügt. Insbesondere das auf “Sleep Has His House“ etwas untergegangene “Niemandswasser“ entwickelte sich (gehüllt in den Mantel eines Rocksongs) zu den Höhepunkten der Auftritte der letzten Jahre. Auch die hier zu findende Version ist trotz spärlicherer Instrumentierung beeindruckend in ihrer emotionalen Intensität, und wenn Tibet “none of us will run eternal“ herausbrüllt, dann kann man nicht anders als erschauern. “Calling For Vanished Faces II“ bekommt einen noch melancholischeren Ton als auf der auf “All The Pretty Little Horses“ enthaltenen Studioverson: Tibet flüstert anfangs fast um sich am Ende zu steigern: “He’s near at the door/The inmost light“. Die Version von “Good Morning, Great Moloch“ ähnelt der, die auf “Halo“ zu finden war und ist eines der Stücke, auf denen John Contreras’ Cello mit die größte Rolle spielt (was man sich auch bei einigen der anderen Stücke gewünscht hätte, bei denen das Klavier den Ton angibt und das Cello entweder die Funktion hat, besonders markante Stellen zu akzentuieren oder aber auf recht unprätentiöse Art ein erdendes Klangfundament bereitzustellen). Songs wie “Mary Waits in Silence“, ”A Sadness Song“, “The Bloodbells Chime“ oder das die CD abschließende “A Gothic Love Song“ waren schon in ihren Studioversionen zurückhaltend und melancholisch und bieten sich natürlich für eine Interpretation dieser Art an.
Interessant sind aber besonders die Stücke, die ursprünglich einen (etwas) anderen Charakter hatten: “Black Flowers, Please“ enthält durch die Instrumentierung und Reduzierung des Tempos etwas Kontemplatives, dem das Hysterische und Zirkushafte des Originals abgeht, so dass fast so etwas wie ein neuer Song daraus entsteht. Das ist hier durchaus positiv zu verstehen, denn gerade bei den Auftritten der vergangenen Jahre, bei denen zeitweise drei oder mehr Gitarristen auf der Bühne waren, mäanderten die Stücke oft etwas vor sich hin – dem wird hier jedoch durch die Fokussierung auf ein oder zwei Instrumente vorgebeugt. So wird das von “Imperium“ stammende “Alone“ hier als Klavierballade neu erfunden. Das im Original von (einem) harschen E-Gitarren (Riff) geprägte “Black Ships Ate the Sky“ (das hier zusammen mit “Sunset“ vorgetragen wird) verwandelt sich in eine von repetetiven Klaviermustern getragene Nummer, auf der die im Original herausgebrüllte Zeile “Who will deliver me from myself?“ in der zweiten Hälfte zu einer Art verzweifeltem (Auf)Schrei(en) wird, bei dem die Stimme auch durchaus mal brechen darf. Hier wird deutlich, welche Rolle Tibets manchmal bis zur Selbstentblößung gehende Bühnenpräsenz zukommt. Mit “Tortoise Mouth“ und “Monkey Paw“ (eigentlich “Black Ships Were Sinking“) folgen zwei weitere Stücke aus dem damals noch nicht veröffentlichten Album “Black Ships Ate the Sky“. Gerade bei letzterem Song untermalen die erneut repetetiven, leicht dissonanten Klavierfiguren die sich in Ekstase steigernde Stimme, die die Selbstanklage “I am black ship“ herausschreit. Mit am interessantesten ist die Neuinterpretation von “Oh, Coal Black Smith“ – von Tibet mal scherzhaft als sein “Stairway To Heaven” bezeichnet –, bei dem das Klavier die Akkorde spielt, die auf “Swastikas For Noddy“ von der Gitarre gespielt wurden und die das Übersteigerte des Originals beibehält.
Trotz also der oben schon angesprochenen Vielzahl von Livemitschnitten gehört “And When Rome Falls“ sicher zu den Veröffentlichungen, die all denen, die nur die Studioalben kennen, eine weitere interessante Seite der Band offenbaren.
(M.G./U.S.)
Label: Coptic Cat