Als ich zum ersten mal das Cover von “Ápolis” sah, musste ich sofort an die nordrheinwestfälische Formation Mater Suspiria Vision denken. Diese typischen um die Mittelachse zentrierten und feminin gestylten Motive im 70er Jahre-Stil, die bei mir immer Erinnerungen an Mario Bavas “Diabolik” und weitere poppige Genrefilme dieser Zeit evozieren, tragen jedenfalls eine vertraute Handschrift. Hinter dieser Fassade verbirgt sich aber zunächst die Römische Künstlerin Arianna Degni, die wiederum unter dem Pseudonym xXeNa aktiv ist. Selbst Grafikerin, arbeitete sie zunächst als Art Director für Zeitschriften und Verlage und begann irgendwann mit eigenen künstlerischen Arbeiten auf der Basis von Acryl on Canvas, Video und Mixed Media. Anfangs inspiriert von Popart und Konzeptkunst entwickelte sie nach und nach ihren eigenen seriellen Stil, und am bekanntesten sind vielleicht ihre eingängigen Fischmotive, die entfernt an Totemdarstellungen kanadischer Ureinwohner der Pazifikküste erinnern.
Über ihr Artwork kam sie dann irgendwann auch zur Musik, gestaltete die Tonträger ihres Partners Flavio Rivabella alias D.B.P.I.T., steuerte irgendwann Videoarbeiten bei und entwickelte zusammen mit Flavio ein ganz eigenes Performancekonzept, bei dem Actionpainting, Videoprojektion, Noise und Trompete kombiniert werden. Es sollte nicht lange dauern, bis sie auch in die musikalischen Arbeiten des längst als DBPIT & XXENA fusionierten Projektes involviert war. Das Zusammenwachsen der bzw. des Fremden, die Alien Symbiosis, war vollzogen. Während dieser ganzen Zeit bastelte Arianna beständig an der Entwicklung eigener Musik, von der anfangs wohl konzeptuell nur feststand, dass sie digital sein sollte. Nun liegt erstmals ein Album vor, und mehr als je zuvor scheint das Thema der Fremdheit, das sich bereits in ihrem Künstlernamen ausdrückt, ein zentrales Motiv zu sein.
Fremdheit kann sich in (innerer wie äußerer) Ortlosigkeit ausdrücken, der Titel „Ápolis“ deutet dies schon an und kann auch als Staatenlosigkeit im politischen Sinne gedeutet werden. Der Heimatlose ohne Papiere kann natürlich auch einfach eine starke Metapher sein und wurde in Julia Kristevas Essay „Fremde sind wir uns selbst“ bereits als Sinnbild spätmoderner Existenz verstanden. In „Sirens“, dem mit platschenden Wassertropfen beginnenden Eröffnungsstück scheint die Ortlosigkeit vor allem ein Gefühl von Verlorenheit und Einsamkeit mit sich zu bringen – vielleicht die Verlorenheit der Seefahrer in der Odyssee, die sich aus Angst vor der Verführung für Momente taub gemacht haben, und denen das vermeintliche Schweigen der Sirenen vielleicht als ein ähnlich dumpfes Summen und Dröhnen erschienen sein mag, wie es in dem Stück zu hören ist. Wie eine Besucherin aus der Fremde erscheint auch die “Snow Woman” im gleichnamigen Track, die direkt einer Twin Peaks-Folge entsprungen scheint und sich – begleitet von Rhodesklängen, Ariannas sanften Vocals und der smoothen Trompete von DBPIT himself – recht unsicher in einer Welt bewegt, in der Schneefrauen nicht lange bestehen können. Deshalb vielleicht auch der schicksalsschwere Doomtouch, der dem langsam vor sich hin surrenden Stück innewohnt.
Doch „Apolis“ ist bei weitem keine Ambientplatte. Technoide Noise-Ausbrüche und verzerrter Takt, mal geradlinig, mal auch gerne etwas komplexer, sind Wegmarken im Inneren des Nichtortes und prägen ganze Stücke – so beispielsweise sehr snarig im vermeintlich masochistischen „Choke Me“ mit seinen zombifizierten Sounds, die wie apathische Stimmen anmuten und mit campigen SciFi-Zitaten und schwindeligen Stereoffekten garniert sind, oder in “Jellyfish Lost In Space”, das Spielkisten-Motive anklingen lässt, vor allem aber in „Ipetra“: Dieses Stück entstand im Zusammenhang ihres dancigen WHY-Projektes (ebenfalls mit Flavio) und lässt lockere Ethnorhythmen unter einem behäbigen Takt derart untergehen, dass man meinen könnte, sie würden unter feisten Gummistiefeln zermalmt.
Auf andere Weise stechen vokallastige Stücke heraus. Bei einer sehr schönen Hommage an Eric Satie trägt Arianna auf Spanisch eine Passage als seiner Biografie vor, in der es anscheinend um Schicksal („suerte“) und Tod („muerte“) geht – natürlich begleitet vom zu erwartenden Klavier, das hier natürlich nicht ohne den einen oder anderen Effekt anklingt. „Menhit“ huldigt der gleichnamigen ägyptischen Kriegsgöttin mit dem Löwenhaupt, es ist dann auch das aggressivste Stück. Nachdem sich der gedämpfte Textvortrag anfangs noch wie hinter einer beschlagenen Glasscheibe unter Klangstaub versteckt, bricht irgendwann wie aus einer Kanone geschossen eine Lavine zahlloser Soundpartikel in den Raum und begräbt die Szenerie unter einer tonnenschweren Schicht Vulkanasche.
Das Artwork von „Ápolis“ ist übrigens von Cosmotropia de Xam, und auch herausgebracht wurde die CDr unter dem Zeichen der invertierten Triangel – also doch MSV. Die Musiker lernten sich vor kurzem bei einem gemeinsamen Auftritt in Rom kennen. Dem dunklen, experimentierfreudigen Electropop xXeNas, der ganz ohne abgedroschene Web 2.0-Hypes auskommen sollte, verleihen die Visuals eine bonbonfarbene Retronote nach Lounge-Art, die ihm gut zu Gesicht steht. Bleibt zu hoffen, dass es nach der ultralimitierten Erstauflage irgendwann auch eine Zweitauflage geben wird.
Label: Phantasma Disques