JAMES BLACKSHAW: Love Is The Plan, The Plan Is Death

Alice B. Sheldon war eine amerikanische Science Fiction-Autorin, die vor allem unter ihrem männlichen Pseudonym James Tiptree jr. für ihre fantastischen und sprachlich wohl sehr evokativen Kurzgeschichten bekannt wurde. Ich hätte die erste Zeile von ihr noch zu lesen, und es wäre äußerst interessant zu erfahren, wie ich mit ihren Geschichten im Hintergrund auf James Blackshaws neues Album „Love is the Plan, the Plan is Death“ reagieren würde. Dessen Songtitel sind nämlich durchweg ihrer Prosa entnommen, und auch atmosphärisch sollen die Kompositionen vom Werk der Schriftstellerin inspiriert sein. Vage literarische Referenzen sind in der Musik des v.a. als Gitarrist bekannten Blackshaw öfter zu finden, bleiben aber meist unbestimmt und eröffnen primär als Anspielungen neue Assoziationsräume. Dass „Love is the Plan“ auch so einen reichen Geschichtenschatz birgt, ist nur eine seiner Qualitäten.

Es enthält sechs Songs in zyklischer Anordnung, bei der jeweils zwei verspielte Gitarrenstücke ihre Antwort in einer geerdeten Klavierkomposition finden, was erneut der schon vor Jahren gefallenen Entscheidung, das Instrumentarium in diverse Richtungen auszuweiten, Rechnung trägt. Im Unterschied zu den meisten früheren Aufnahmen verzichtet Blackshaw diesmal auf den markanten metallischen Klang der zwölfsaitigen Steel Guitar und greift bei den entsprechenden zwei Dritteln auf eine gängige sechssaitige Nylongitarre zurück, die einmal (vielleicht ganz passend zum Albumtitel) von Blackshaws Idol Robbie Basho als perfektes Instrument für Lovesongs bezeichnet wurde. Seinem im Bluegrass ebenso wie in der klassischen Minimal Music wurzelnden Fingerstyle ist er dabei aber weitgehend treu geblieben. Der mantraartige Minimalismus, der sämtliche Arbeiten des Künstlers zumindest vordergründig prägt, entfaltet sich auch hier bereits auf dem eröffnenden Titelstück und könnte schon in den ersten Minuten eine einlullende Hypnotik hervorrufen, wüsste Blackshaw dem nicht mit vielen Ungereimtheiten entgegen zu wirken, die sich permanent im Kleinen ereignen, und die das Stück letztlich so ambivalent und unklassifizierbar machen wie der von Aufbruch, Erfüllung und Endlichkeit zugleich kündenden Titel: kleine Tempuswechsel, bei denen sich die Bewegung des Songs kurz aufstaut, kurze Pausen bisweilen und sogar Atemgeräusche, die das vordergründig so sehr an der Struktur orientierte Klangbild konterkarieren.

Der folgende Titel „Her Smoke Rose Up Forever“ impliziert Großes, Episches, und der Song entpuppt sich als noch fließender und erfüllt sogar für Momente die in Erwartung gestellte Hypnotik, wie eine unendlich scheinende musikalische Reise durch krautiges Fingerpicking, für immer und doch im Perfekt, von einem Kollegen bereits als Übertritt in ein Jenseits gedeutet, als endlos dröhnendes Stirb und Werde. Besonders hier registriert man auch den Schatten des „UrShadow“, vielleicht der Song von Current 93, dem Blackshaw als einer der Gitarristen der Band am meisten seinen eigenen Stempel aufgedrückt hat. Sanfte Tupfer leiten über in das erste Pianostück, das sehr stimmig auf die beiden Opener reagiert, im Titel ebenfalls von einer Reise kündend, die, trotz oder wegen ihrer eher zufälligen Richtung, sogar ein Ziel anstrebt und erreicht. Vielleicht wirkt „And I Have Come Upon This Place By Lost Ways“ schon deshalb eher maßvoll und kontemplativ statt verspielt und hypnotisch. Das ist insofern interessant, da die Motive den Gitarrenkompositionen durchaus ähneln, bloß etwas verhaltender und konzentrierter gespielt werden. Nach einigen wortlosen Stimmbeiträgen auf früheren Aufnahmen ist der Einbezug von Lyrics hier ein richtiges Novum. Geneviève Beaulieu, selbst Sängerin in der Metalband Menace Ruin und im Akustik-Drone-Projekt Peterite, verwandelt das Stück durch ihre getragene Vortragsweise in einen wehmütigen Torch Song, der von der Melodie her an Musik der Renaissance erinnert. Wenn man will, kann man hier die Brücke zu Blackshaws unter dem Namen Brethren Of The Free Spirit erfolgte Zusammenarbeit mit dem Lautenspieler Jozef van Wissem sehen.

Mit „We Who Stole The Dream“ beginnt der Zyklus von neuem, der Fluss der verspielten Saiten durchquert Bereiche, die auf ihre traumwandlerische Art an rauschhafte spanische Gitarrenmusik erinnern, beim kürzeren, liedartigen „A Momentary Taste of Being“ schleichen sich hoffnungsfrohe Momente ein, gegen Ende begleitet von einer Orgel. Doch auch hier hört man den Musiker selbst, wenn seine Finger über die Saiten gleiten und das typische Geräusch von sich geben, das immer wie ein Versehen wirkt und einen denken lässt, man hören ihn live. “The Snows Are Melted, the Snows Are Gone” ist mit seinen sukzessive gesteigerten Figuren auf dem Flügel der perfekte Abspann – ernst und streng wirken die Akkorde, und doch lässt Blackshaw die kleinen aber markanten Melodiebögen immer wieder los, bis zum Schlusspunkt, der versöhnlich klingt, und doch ohne falsche Harmonieversprechen auskommt.

So wie literarische Referenzen immer die Rezeption einer Musik mitprägen, werden die Kompositionen Blackshaws nun sicher auch neue Assoziationsräume wecken, wenn ich mich demnächst einmal mit Alice B. Sheldon und ihren dystopischen Fantasien beschäftigen werde. Eine souveräne Abgeklärtheit und auch viel Raum für Schönes könnte ihnen durch einen solchen Score beigegeben werden. Aber das ist im wahrsten Wortsinne Zukunftsmusik.

Label: Important Records