BLOOMING LATIGO: Esfínteres y Faquires

Der Reiz, Gruppen mit komplett auf Bandcamp hörbaren Alben mit einer ausführlichen Review zu würdigen, hält sich in Grenzen. Nicht einmal aufgrund des eventuell als ramschig empfundenen Charakteres dieser Plattform (jeder der will hat in fünf Minuten ein Release), denn wie bei etlichen anderen Medien besteht auch hier immer noch die Möglichkeit zur Perlenfischerei. Es ist mehr so, dass sich die journalistische Instanz auf eine reine Hinweisfunktion beschränken kann, da jedwede beschreibende Vermittlung unnötig ist. Böse gesagt verkommt die Vermittlungsfunktion dann zur bloßen Zurschaustellung des eigenen exquisiten Kanons und zum banalen Dienst an Künstlern und Labels, die sich somit auf ein vorhandenes Medienecho beziehen dürfen. Der neugierige Hörer, eigentlich Adressat journalistischer Arbeit, darf den sprachlichen Zwischenschritt getrost überspringen. Ausnahmen gibt es natürlich auch hier immer wieder, und “Esfínteres y Faquires”, der Vollzeit-Erstling der aus Sevillia stammenden Blooming Låtigo, liefert gleich mehrere Gründe dazu.

Da wäre zunächst die schön gestaltete LP, welche die Kastilier gerade via Trips und Träume herausbrachten, und die man als das eigentliche Release betrachten sollte – nicht nur, aber durchaus auch wegen des grandiosen Artworks von Drummer Gonzalo Santana Hidalgo, das einen grimmigen Mandrill im Diego Rivera-Stil zeigt, der gar nicht so ohne weiteres verraten will, was für einer Geschichte er entsprungen ist – einer mexikanischen Verfilmung von O’Neills „Hairy Ape“, einem folkloristischen Mysterienspiel oder einem Popart-Streifen nach Lowbrow-Art. Richtig wirken mag er vor allem in der entsprechende Größe. Da wäre jedoch vor allem die Gefahr, dass dieses in vielerlei Hinsicht quer liegende Album zu unrecht untergehen und im deutschsprachigen Raum vollends unerwähnt bleiben könnte. Das Werk mit dem etwas eigenwilligen Titel (bei Interesse gängige Übersetzungsdienste konsultieren) ist nicht nur aufgrund von Aufmachung und Sprachbarriere von einem Exotismus durchdrungen, der für die einen seinen Reiz hat, für viele jedoch auch ein Garant ist, durch die Gedächtnisraster zu fallen. Das Album stilistisch irgendwo einzuordnen ist witzlos, denn “Esfínteres y Faquires” bietet eine stimmige Brikolage aus Stilen, die für sich durchgehend verweigert werden – und dies in einer Konsequenz, die ich beim spontanen Überlegen nur von Gruppen wie Kinit Her kenne. Sollte man von Noiserock sprechen, subtil dekonstruiert durch den Geist eines sleazigen Experimentalismus? Oder von den ungleich kaputten Geschwistern Crust Punk und Black Metal, der zersetzenden Wirkung krautiger Folklore ausgesetzt und von ambienten Strukturen immer mal wieder für Momente besänftigt? Auch noch das universell verwendbare Wort „psychedelisch“ in den Raum stellen? Kollegen taten das bereits, und es stimmt durchaus – irgendwie und dann doch wieder nicht, und das ist im Fall der Blühenden Peitsche durchaus gut so.

Als unaufmerksamer Hörer könnte man auf die Idee kommen, einer Band beim Stimmen ihrer Instrumente zuzuhören. Den maschinenartigen Funk Metal-Sound, der das Album unterschwellig zusammenhält, registriert man eventuell erst nach einer Weile, und zusammen mit dem anfallartigen Keifgesang, der Song für Song seine unverständlichen Verwünschungen in den Raum schleudert, verlangt er dem Hörer einiges ab. Dank einem rauen Bassspiel, aber vor allem aufgrund der Entscheidung, gleich zwei Schlagzeuge zu verwenden, ist die derangierte Musik aber vor allem eines: kraftvoll. Sollte ich mir ein Vergleichsmoment zu der entgrenzten Energiegeladenheit einfallen lassen, dann würde mir wohl am ehesten die Römischen Zu einfallen, deren “Carboniferus”-Werk ebenfalls auf TuT erschienen ist, und mit denen die Spanier bereits zusammen aufgetreten sind. Zwischen den ekstatischen Schreien und den ultraverzerrten Basslinien gibt es immer wieder Momente, in denen der Sänger einen elegischen Ton anstimmt. In all dem Chaos ist also auch Raum für eine gewisse Robert Smith-Melancholie, und ganz nebenbei registriert man dann auch, dass die Lyrics zum Großteil auf Englisch verfasst sind.

Unter den Neuzugängen der ersten Jahreshälfte gebührt Blooming Låtigo auf jeden Fall ein Platz, und ich hoffe sehr, dass dieses Album nur der Auftakt ist. Die LP ist auf dreihundert Einheiten limitiert, die ersten hundert Stück erscheinen auf knallblauem Vinyl. Freunde der CD können mit etwas Glück noch eine der zum Jahresbeginn erschienenen Kopien beim spanischen Label Féretro Records bekommen.

Label: Trips und Träume