7JK: Anthems Flesh

Schon in unserer Besprechung zur letzten Sieben wurde auf Matt Howdens Interesse am künstlerischen Dialog hingewiesen, was gerade deshalb so sehr ins Auge fallen muss, da er unter diesem Namen fast ausschließlich Soloarbeiten aufnimmt. Aufgeschlossenheit gegenüber Inspiration, Interesse an Neuinterpretationen und weitere Querbezüge stehen einem melancholischen Pop gegenüber, den der Sheffielder mit Stimme, Geige und Looptechnik nach wie vor allein verkörpert. Wie um dies zu untermauern hat Howden nun erstmals sein Projekt mit einer anderen Band fusionieren lassen und in Kooperation ein elektronisches Werk voll unerwarteter Momente entstehen lassen. Bei den Kollegen handelt es sich um Job Karma aus dem polnischen Wrocław, die seit Jahren eine Musik zwischen Ambient und harscher Elektronik mit an Giger erinnernden Animationen zusammenführen. Längst zählen sie zu den profiliertesten Newcomern einer Szene, die sich jeden Herbst auf dem Wrocław Industrial Festival trifft, das von Maciek Frett, einer Hälfte des Duos, organisiert wird.

Wrocław, zu deutsch Breslau, und Sheffield, die Orte, an denen Ideen entstanden und das Basteln und der Feinschliff stattfanden, sind auch direkt Thema der Musik, am ausdrücklichsten hinter den beschwingten Handclaps von „1247 Words for Sheffield“ und in einem recht intensiven Stück, das die Natur der Kollaboration, vielleicht wegen der besonders gelungenen Verschmelzung, am treffendsten auf den Punkt bringt: „Wrocław in the Rain“. Mit viel Handwerksgeschick schaffen es die drei, verdrehte und vielschichtige Elektrosounds, ausgeklügelte Rhythmen und angenehm smoothen Sieben-Gesang so zu verschmelzen, dass dabei dennoch ein homogenes und v.a. eingängiges Songgebilde entsteht.

Insgesamt halten sich Songs von aufgeräumter Struktur mit wild zusammengewürfelten Soundkonstrukten die Waage, harmonisch jedoch sind sie am Ende alle. Inbegriff des heterogenen Teils ist „Dirt City“, bei dem metallische Electronic Body-Stakkato das Fundament bilden für eine typische Howden-Melodie, vorgetragen mit leicht verfremdeter Stimme. Auch die charakteristische Geige ist zu hören, als gelooptes Zitat und beinahe wie ein ungebetener Eindringling. Passend zum Chorus „run run run“ ertönt sie wie eine Alarmsirene, und da zu einer dystopischen Schmutzmetropole natürlich auch Sex gehört, endet der Song stilecht mit dem ekstatischen Stöhnen einer gesampleten Statistin. „Dear Claire“ hat fast was von Metal Crossover und knüpft an die schon nicht mehr ganz so freundlichen Siebenklänge auf „No Less Than All“ an. Beeindruckend, wie Howden auch hier wieder mit ganz eigenen und formal eher eingeschränkten Mitteln fremde Stilelemente aufgreift, denn passend zum Rockintro des Songs ertönt die Violine fast wie ein langgezogenes E-Gitarrensolo.

Eher aufgeräumt wirkt die Musik, wenn z.B. in „Boxed in Green“ die gitarrenähnlichen Geigenklänge einen wehmütigeren Ton anschlagen und hektische Metallperkussion mit dezenter Melancholie zu besänftigen wissen. Ähnliches gilt für „The World’s Pain“, bei dem ebenfalls gedämpfte Perkussion ein postapokalyptisches Setting heraufbeschwört. Auch eine Reihe von Spoken Word-Stücken gegen Ende des Albums gehören in diese Kategorie. Aus dem Rahmen fällt eine Neuinterpretation von OMDs „Maid of Orleans“ – vielleicht eine nicht ganz so lupenreine Hommage wie die Neufassung von Joy Divisions „Transmission“, die Matt auf das letzte Sieben-Album gepackt hat, denn trotz der zentralen Snaredrum hat der Song vor allem durch den Beitrag Job Carmas einen recht eigenen neuartigen Charakter. Da Struktur, Melodie und Stimmung wiederum subtil aus dem Rest herausstechen, wirkt der Song wie eine kurze Showeinlage in einem ansonsten recht linearen, narrativen Film.

Wollte ich einen Werbetext schreiben, dann könnte ich „Anthems Flesh“ guten Gewissens als experimentierfreudiges, elektronisches Songalbum mit großem Hitpotential feiern und zurecht die gelungene Fusion des Disparaten anpreisen. Die teilweise kalte, oft monumentale, dann auch wieder gewollt trashige Elektronik auf der einen Seite, der warme, ohrwurmartige Gesang auf der anderen und als Kitt eine Violine, die dem ganzen eine verwischte Grundierung verschafft und gelegentlich ein paar melodramatische Ornamente beigibt – das ist schon eine recht originelle Narration, die eigentlich auf ein Sequel hoffen lässt.

Label: Redroom