HILDUR GUDNADOTTIR: Leyfdu Ljósinu

Es passiert immer wieder, dass im Grunde kreative Musiker durch den starken Einfluss anderer vom eigenen künstlerischen Weg abgebracht werden. Die isländische Cellistin Hildur Guðnadóttir demonstrierte jedoch bereits mit ihren beiden ersten Alben „Mount A“ und „Without Sinking“, dass die zahlreichen Zusammenarbeiten, an denen sie sich Jahr für Jahr beteiligt, ihre eigene musikalische Sprache keineswegs verwässert haben. Ob múm oder Pan Sonic, ob Hauschka oder Throbbing Gristle, die stets unterschiedlichen, aber auch immer interessanten Kollaborationen scheinen ihren kreativen Drang vielmehr mit neuer Inspiration genährt zu haben. Vor einigen Wochen erschien ihr drittes Werk im Alleingang. Erneut ist es ein Konzeptalbum mit einem vagen, für allerlei Interpretationen offenen Thema. Außerdem eines der bislang besten Ambientalben des Jahres und einiges mehr.

Auf deutsch bedeutete der Titel „Leyfðu Ljósinu“ sinngemäß das Erlauben oder Zulassen des Lichtes. Mit diesem Titel im Hinterkopf begab sich die Künstlerin Anfang des Jahres ins Music Research Centre der University of York, um dort im Rahmen eines Workshops ein rund vierzigminütiges Set einzuspielen und aufzunehmen. Zur Verfügung standen ihr das Cello, ihre Stimme, drei Mikrophone und ein rudimentäres Set an Effektgeräten wie etwa das obligatorische Looppedal. Live im Studio einer musikwissenschaftlichen Veranstaltung, das klingt erst einmal nach improvisiert und theorielastig, erfreulicherweise ist aber beides nicht der Fall.

Das Ergebnis ihres Experiments ist ein langes, in sich abgerundetes Stück mit deutlicher Spannnungskurve, sowie ein kurzes einleitendes Vorspiel, welches die einzigen Momente enthält, denen man den improvisierten Charakter der Darbietung noch anhört. Es klingt wie ein vorbereitendes Warmspielen, überwiegend auf den tiefen Saiten mit ihrem warmen Klang, den man so gerne mit dem Cello assoziiert. Doch das Stück stimmt den Hörer nicht nur ein, es enthält auch bereits einen Großteil des Rohmaterials, das im Hauptstück verwendet wird. Dieses beginnt zunächst ruhig und unaufgeregt, im Vordergrund steht zu Beginn, was ungewohnt ist, ihre Stimme. Auf der Basis tiefer Klänge wiederholt sie den Titel in schlichter und zugleich sakral anmutender Weise, wie ein Mantra, das sich irgendwann in den verwunschenen Klangwelten verliert. Dem Klischee nach ist „Leyfðu Ljósinu“ aller Lichtmetaphorik zum Trotz Musik für den Herbst. Die impressionistische Verschwommenheit, die Hildurs Musik so sehr von den klareren Kompositionen Julia Kents unterscheidet, hat eine verwunschene Natur und eine triste Färbung, auch wenn sie durchaus Freude zulässt von der Art, die nach William Blake „nicht lacht“. Im Großen mag die anfangs noch etwas mäandernde Musik in einem stetigen Fluss begriffen sein, auf den vielen kleinen Binnenebenen jedoch wird das dramatische Ringen und die vielen kleinen Rückschläge angedeutet, welche das Hereinlassen des Hellen mit sich bringt: Momente reiner Statik, kurze Verzerrungen, bedrohliches Dröhnen, kleine schrille Ekstasen und durch perkussive Striche erzeugte Stakkatos.

Was für einen spirituellen Vorgang Hildur auch immer mit der Lichtmetapher umschreiben mag, es handelt sich dabei keineswegs um eine einfache, belanglose Gratiserleuchtung, wie sie vermutlich zahllose Buchcover aus der Esoecke suggerieren, sondern um eine innere Auseinandersetzung, deren Dramatik offenkundig wird, sobald man Zugang zu den Klängen gefunden hat. Nur Antony konnte etwas Themennahes mit „Daylight and the Sun“ ähnlich kraftvoll ausdrücken, und in beiden Fällen kommt die Offenheit, der Andeutungscharakter des Motivs dem Charisma der Musik zugute.

Label: Touch