Das Jahr 2012 wird wohl als ereignisreiches Jahr in die Laibach-Annalen eingehen. Seit ihrer Beteiligung an dem Klamaukstreifen „Iron Sky“ wieder in aller Munde, soll auch ihre kurz darauf stattgefundene Tour gut besucht und enthusiastisch beklatscht worden sein, der Konzertmitschnitt aus der Tate Modern erschien bereits auf CDr. Gutes Timing also für die Slowenen, auf schon Erreichtes und längst Klassisches zurück zu blicken und einen Einblick in gut dreißig Jahre orchestraler Elektronik, provokativer Konzeptalben und jeder Menge Theatralik zu gewähren. Der Fan der alten Schule wird auf ihrem gerade erschienenen Beitrag zu Mutes „Introduction“-Reihe das meiste kennen. Spätgeborene, angefixt durch den ganzen Mondnazi-Trash, dürften hier jedoch ihren idealen Crashkurs finden – und nebenbei lernen, dass Laibach immer ironisch, doch ihre Auseinandersetzung mit der totalitären Seite moderner Kultur längst nicht immer lustig ist.
Der Opener ist mehr eine Hommage an eines ihrer Stammlabels, bzw. an dessen Gründer und längst wieder Inhaber Daniel Miller, der, wie wir alle wissen, selbst als Musiker mit wenigen The Normal-Stücken New Wave-Geschichte geschrieben hat: Aus „Warm Leatherette“ wird hier die brachial-orchestrale „Warme Lederhaut“, die Version hat etwas von dem postmodernen Score eines imaginären Breitbandstummfilms. Mit dem Gesang hätte ich sicher einmal mehr anfangen können, bevor harte Deutsche daraus ein unerträgliches Klischee gemacht haben, aber die weiblichen Backing Vocals sind in Ordnung. Natürlich ist das nicht die einzige Neuinterpretation. Dass Laibach, vergleichbar den gesanglich manchmal ähnlichen Leningrad Cowboys nahezu jede Vorstellung von Originalität und Urheberschaft ablehnen, ist bekannt – schon der Titel spielt ironisch darauf an und ist im übrigen selbst eine Hommage, nämlich an René Magrittes Gemälde “La reproduction interdite”, auf dem auch das Coverartwork basiert. Für ihre etwas eingängigeren Konzeptalben war ihnen kein Ausgangsmaterial zu flach, um es nach versteckten Bedeutungen abzuklopfen, und durch ihre ganz selbstverständliche Zusammenführung von Hochkultur und vermeintlichem Schunt nahmen sie etwas vorweg, das die Kulturwissenschaften später unter großspurigen Begriffen wie Crossmapping als neu verkaufen sollten.
Zu den bekanntesten Einverlaibachungen zählen u.a. „Geburt Einer Nation“ (nach Queens “One Vision”) und „Opus Dei“ (nach Opus’ Bierzelt-Evergreen “Life is Life”) vom gleichnamigen Album, gerade ersteres ist eines der gelungensten Beispiele für ästhetische Dekontextualisierung: Durch einen radikal veränderte Sound und eine mitreißende stimmliche Autorität wird aus einem hippiesken Glamrock-Song eine faschistoide Hymne und im Handumdrehen die totalitäre Kehrseite der Popkultur ohne jede didaktische Humorferne entlarvt. Über die rezeptionsästhetische Ambivalenz solcher (Lehr-)Stücke, bei denen man als Hörer Elektrisiertheit und ironische Distanz quasi simultan in Echtzeit erleben darf, ist viel diskutiert worden, und oft stellte sich dabei die Frage, was dominiert: Das Aufklärerische oder die Ästhetisierung von Macht und Konformität. Im Laibach-Kosmos blieb das weitgehend offen, Vorwürfe indeß, das erstgenannte Ziel sei primär Vorwand für letzteres kam interessanterweise von beiden Seiten des politischen Spektrums. Während die einen unterstellen, auf Laibach-Shows triebe sich genug reaktionäres Pack herum, dem die ironische Brechung egal ist und das den aktionskünstlerischen Rahmen schlicht nicht versteht, behaupten die anderen, Laibach sei für den guten Kulturbürger von heute ein willkommener Freibrief, ein bisschen Reichsparteitag zu spielen – selbstredend guten Gewissens, denn schließlich weiß man ja, dass alles Dekonstruktion ist. Sicher steckt in beidem ein Funke Wahrheit, und vereinzelte Wirrköpfe bilden da vielleicht sogar eine merkwürdig paradoxe Schnittmenge. Aber selbst das Herauskitzeln und Entlarven solcher Verhaltensweisen könnte man der Gruppe wieder als aufklärerische Leistung gutschreiben. Als regelmäßiges Feuilleton-Thema ist Laibach ihr Status als Enfants Terribles natürlich längst etwas abhanden gekommen – im Unterschied etwa zu zahllosen Martial Industrial- und Powernoise-Projekten, die allerdings für eine Sekte von längst Eingeweihten spielen, die das ganze folglich nicht als provokant empfinden und stattdessen lieber irgendwelche künstlich knapp gehaltenen Raritäten sammeln, während der Rest der Welt ohnehin nichts davon mitbekommt. In der Tat ein verzwicktes Dilemma. Auch das 1994 erschienene Erfolgsalbum „Nato“ war ähnlich gestrickt und streng konzeptuell auf den gerade aktuellen Balkankrieg und die Rolle der westlichen Mächte bezogen. Man entschied sich hier für „Alle Gegen Alle“ (D.A.F.) und für die bombastische Interpretation von Europes „The Final Countdown“, das seinerzeit in jeder Dark Disco lief, und dessen Dancefloor-Sound heute seltsam angestaubt wirkt. Ergreifend ist es allerdings nach wie vor.
Sixties und Hippie-Kultur im weitesten Sinne hatten immer ihren Reiz für die Slowenen, vielleicht weil man deren libertäres und egalitäres Selbstverständnis auf ganz unterschiedliche Weise in Bezug zum Totalitären setzen kann – ganz vordergründig natürlich als Gegenentwurf, dann aber auch auf die unterschiedlichsten versteckten Gemeinsamkeiten und sonstigen Querverbindungen hin (man erinnere nur an Rüdiger Safranskis Monografie zur Romantik, in der moderne Diktaturen und die Gegenkulturen der 60er jeweils als Spätausläufer romantischer Ideen verstanden wurden). Während die barocke Beatles-Interpretation „Across The Universe“ (vom Album „Let it Be“) im Laibach-Rahmen für Besinnlichkeit sorgt und Bob Dylan mit „Ballad of a Thin Man“ Referenz erwiesen wird, fand „Sympathy for the Devil“ (Stones) keinen Platz auf der Sammlung. Eher rockig ist „God is God“ (Juno Reactor, seinerzeit Laibach-Fans) vom „Jesus Christ Superstar“-Album. Zu den nicht ganz so bekannten Stücken zählt der 70er Italohit „Mama Leone“ (Bino), „B Machina“ (Siddharta) und vergleichsweise poppige Interpretationen zweier Nationalhymnen vom 2006er Album „Volk“. Von Nicos niederschmetterndem Lied der Deutschen könnte Laibachs „Germania“ im trunkenen Revuesound nicht weiter entfernt sein. „Bruderschaft“ referiert auf Kraftwerk, wobei nur deren Stil imitiert wird, der Song ist diesmal von Laibach selbst und basiert auf dem Titel “Brat moj”.
Dass diese Werkeinführung ausdrücklich nicht als „Best of“ angekündigt wurde, trägt sicher der eher am Repräsentativen orientierten Auswahl Rechnung. Nachdem Laibach neben innovativen Werken wie „Volk“ seit Jahren ihr eigenes kleines Museum betreiben („Tanz mit Laibach“ und eben der ganze „Iron Sky“-Kram), würde ich mir als nächstes wieder ein stimmiges und provokatives Konzeptalbum wünschen. (U.S.)
Label: Mute