Es gibt im Zusammenhang mit Folkmusik ein journalistisches Klischee, das mich aufgrund seiner Dummheit bisweilen rasend macht. Irgend ein googelnder Schreiberling muss eine (meist irgendwie „indie-hippe“) Akustikplatte abfeiern und betont, dass gerade dieser Interpret im Vergleich zum Gros des Folk so gar nicht konservativ und betulich sei, und hebt lobend hervor, dass man die unterschiedlichen und zum Teil recht untraditionellen Einflüsse des Künstlers mit jeder Note greifen kann. Dass genau dies ebenso auf viele andere Musiker auch jenseits spexiger Modepüppchen zutrifft, und dass das Stereotyp des weltfremden Feld-, Wald- und Wiesen-Romantikers auch im Folk nur selten existiert, kommt den Experten weniger in den Sinn. Die Schwedin Lisa Isaksson zählt zu den Musikern, die ihre Aufgeschlossenheit und Weltläufigkeit nicht durch kritische Antifolk-Gesten betonen müssen. Mit ihrer Stammband Lisa O Piu, was schlicht Lisa und Leute heißt, hat sie mittlerweile zwei Alben veröffentlicht, die durchweg positives Echo bekamen. Zwischen all den Vergleichen mit Größen der 60er und 70er kam immer auch Bewunderung für den eigenen Stil ihrer Musik durch, die unter ihrer lieblichen Oberfläche eine Menge an Experimentierlust und gelegentlich auch apokalyptischer Schwärze durchscheinen lässt – bisweilen ganz plötzlich und überraschend. Sowohl Lisa als auch ihre Weggefährten spielen in einer ganzen Reihe an weiteren akustischen, rockigen oder experimentellen Projekten, unter anderem trugen sie sicher einen nicht unerheblichen Teil zu dem zweiten Frühling bei, den das amerikanische Doppelprojekt Birch Book/In Gowan Ring zuletzt als Liveband feiern durfte. Grund genug, die Künstlerin und ihre Band auch mal einem deutschsprachigen Publikum näher vorzustellen.
Ich bin eurer Musik zum ersten Mal begegnet, als ihr mit In Gowan Ring auf Tour wart, und war ganz überrascht, dass ihr wohl schon länger Musik macht. Was kannst du uns über deinen Urspung als Künstlerin erzählen und über das Millieu, aus dem die Band kommt?
Ich weiß nicht einmal, ob ich in meinem Fall sagen würde, dass wir schon so lange aktiv waren, bevor wir zusammen mit IGR aufgetreten sind… Als wir erstmals zusammen auf Tour waren, hatten wir gerade unser erstes Album draußen, wir spielten so circa drei Jahre zusammen, aber selten Live und es war gerade unsere erste Tour, insofern dann auch eine ziemlich neue Erfahrung. Was den Rest der Band betrifft, ja, da hat jeder schon seit einer Weile Musik gemacht, Joel mit einer Popgruppe und mit seinem Solo-Projekt (Joel Munther), David mit verschiedenen Sachen (hauptsächlich Cirrus Winery) – meistens waren es Prog Rock-Bands, und Anders hatte auch schon in einigen Bands Bass gespielt. Auch Jennie, die vor fünf Jahren dazu gestoßen ist, hat ihr eigenes Soloprojekt, mit dem sie schon längere Zeit aktiv war. Ich schätze, ich war die am wenigsten erfahrene Person. Ich hatte vor etwa sechs oder sieben Jahren angefangen, etwas aktiver zu spielen und Songs zu schreiben, davor konnte ich nur ein paar Akkorde auf der Gitarre schrammeln. Nachdem ich mit dem Songschreiben angefangen hatte, war es als hätte sich alles sehr stark verändert. Ich habe mich immer als eine „Schwindlerin“ betrachtet, als jemand, der nicht „wirklich“ Gitarre spielen kann. Ich habe meine eigenen Songs irgendwie drauf, aber ich weiß nicht „wirklich“, wie man Songs schreibt, ich tu so als ob, wenn ich welche schreibe. Ich hab immer noch nicht den Mut, mich wirklich als Musikerin zu bezeichnen, verglichen mit vielen befreundeten Musikern, die mit zehn Jahren Musik geschrieben und gespielt haben.
Wie schreibt und komponiert ihr eure Songs? Improvisiert ihr zusammen, oder präsentierst du den anderen eher fertige Ideen?
Meistens nehme ich einen Song, den ich geschrieben habe, mit einem vagen Arrangement auf und zeige ihn dann den anderen. Alles weitere machen wir dann zusammen.
Ist Lisa o Piu mehr eine Band mit einem festen Gruppengefüge oder eher ein Soloprojekt mit verschiedenen Helfern?
Es war irgendwie immer beides, aber ich würde es schon in erster Linie eine Band mit etwas gelockerten Strukturen nennen. Die meisten Stücke habe ich tatsächlich allein geschrieben, einige sind auch von David und mir zusammen, manche nahm ich allein auf, andere mit der Band. Die Umsetzung stammt dann meistens von uns zusammen. Beim zweiten Album war David viel mehr als Produzent involviert als ich. Jeder in der Band hat etwas persönliches beigetragen, das den typischen Sound ausmacht. Also betrachte ich das insgesamt eher nicht als Soloprojekt.
Du spielst eine ganze Reihe an Instrumenten, in den Liner Notes in eurem letzten Album werden Gitarre, Harfe, Flöte, Piano und Glockenspiel genannt. Hattest du eine klassische Ausbildung an diesen Instrumenten?
Eine klassische Ausbildung habe ich an keinem Instrument… Ich studierte ein Jahr lang an einer sehr frei ausgerichteten Musikschule und lernte dort ein paar Grundlagen der Musiktheorie. Vor allem hatte ich Gelegenheit, verschiedene Dinge einfach auszuprobieren, und v.a. mit anderen aufzunehmen und zu spielen. Ich hatte mir das Flötespielen dort von einem Freund beibringen lassen. Abgesehen davon bin ich Autodidaktin.
Gibt es ein Instrument, dem du dich näher fühlst als den anderen?
Ich spiele am längsten Gitarre, aber die Flöte ist mir näher. Vom ersten Ton an, den ich darauf zustande brachte, wusste ich, dass die Flöte ein Instrument ist, dass sehr gut zu dem passt, was ich ausdrücken will. Aber mein allerpersönlichstes Instrument ist natürlich die Stimme…
Der Song “And so on“ auf eurem Debüt illustriert die menschliche Hybris, ihr präsentiert eine Natur, die sich zurück holt, was die Menschen sich genommen haben. Am Ende geht es um die Entstehung „neuer Geschöpfe“. Was kannst du uns über das Konzept dieses Songs erzählen?
Nun, ich denke, als ich den Song schrieb, dachte ich viel über den Klimawandel und den Verbrauch der Ressourcen auf der Erde nach und darüber, wie schrecklich falsch alles mit uns gelaufen ist.. Und das meiste davon kommt von der Gier, davon, dass man immer mehr haben will. Manchmal, wenn ich denke wie traurig sich das alles anfühlt, dann ist der Gedanke beruhigend, dass wir nur eine kurze Zeit da waren und dass die Erde, wenn wir erst verschwunden sind, sich bald erholen und sich weiter wandeln wird. Die Erde hat sich immer gewandelt, große Zeiten und Geschöpfe kamen und gingen, und so wird es weitergehen, nachdem wir weg sind. Wenn du das so siehst, dann fühlt es sich irgendwie gar nicht deprimierend an. Am Ende des Songs sehe ich, wie sich eine wundervolle, üppige Meereswelt formt.
Hast du noch etwas Hoffnung in einer Zeit, in der die Leute sich trotz aller klima(k)tischer Veränderungen um mehr und vor allem billigeres Öl Sorgen machen?
An manchen Tagen nicht, aber meistens schon. Ich möchte daran glauben, dass sich die Dinge zum Guten wenden können. Ich glaube, dass wir irgendwann gezwungen sein werden, unser Leben zu ändern und uns von einigen Dingen verabschieden müssen, die wir heute als selbstverständlich betrachten, aber auch dass neue Technologien und neues Wissen über nachhaltige Energien vieles besser machen werden, und dass die Ressourcen besser über die Erde verteilt werden. Aber traurig ist, dass viele arme Menschen wohl noch lange arm bleiben werden und viele Menschen unter den neuen Wetter- und Klimabedingungen leiden werden.
Soweit ich weiß kommt ihr alle aus Schweden und die meisten auch aus der Gegend um Stockholm. Wie stark prägt eure Umgebung eure Musik?
Für mich ist das nicht die wichtigste Sache, es ist mehr die Gefühlslage, die es ausmacht, aber natürlich ist es oft auch leichter inspiriert zu sein, wenn du an einem schönen Ort bist…
Hast du eigentlich den Eindruck, dass deine Musik in verschiedenen Ländern unterschiedlich wahr genommen wird?
Ich habe den Eindruck, dass viele Leute es auf eine ziemlich ähnliche Art wahrnehmen, egal wo wir spielen.. Zumindest sagen sie ähnliche Dinge über das, was sie beim Hören empfinden. Aber manchmal ist es schon so, dass die Leute unterschiedlich starkes Interesse zeigen…
Eure Songs werden oft als außerweltlich beschrieben. Stimmst du dem zu, und wenn ja, was für eine Welt könnte der Schauplatz eurer Musik sein, und wie unterscheidet sie sich von der alltäglichen Realität?
Es ist so ein schönes Wort, außerweltlich. Es macht mich froh, wenn jemand es mit diesem Wort beschreibt. Ich denke, der Ort würde sich von Song zu Song unterscheiden, aber eine Sache, von der ich denke, dass die Orte sie gemeinsam haben, ist das leicht gelbliche Licht, wenn eine starke Sonne tief steht.
Wie findest du es, wenn Kritiker dich eine „bezaubernde Folksirene“ nennen? Findest du, dass das eine angemessene Beschreibung ist, oder doch eher ein recht fauler Versuch, deine Musik zu kategorisieren?
Ich hab nichts dagegen, wenn mich jemand eine Folksirene nennt, aber es ist vielleicht schon eine etwas flache Beschreibung, ja.
Abgesehen von der Abgegriffenheit solche Ausdrücke, betrachtest du eure Musik als alternativ oder subkulturell?
Ich weiß nicht, ich selbst würde Begriffe wie subkulturell oder alternativ nicht verwenden, aber ich denke auch nicht, dass es wirklich ins „Folk-Regal“ passt, dafür ist es vielleicht etwas zu untraditionell. Ich weiß nie, was ich Leuten erklären soll, wenn sie mich fragen, zu was für einem Genre meine Musik eigentlich gehört.
Wenn Künstler Natursymbole verwenden oder auf traditionelle Formen zurückgreifen, müssen sie sich oft anhören, sie seien eskapistisch und an realen Problemen uninteressiert. Wie würdest du auf so etwas reagieren?
Oh ich denke, das wäre eine sehr seltsame und dumme Art der Kritik. Ich verstehe auch nicht, wieso Leute darauf kommen, dass du dich nicht für reale Probleme und für das, was in der Welt abgeht, interessierst, nur weil du Songs über die Natur schreibst oder Folkmusik spielst. Ich meine, Songwriter, die Popsongs über Liebe schreiben wären für mich dann ebenso eskapistisch. Außerdem finde ich es an sich positiv, wenn Musik welcher Form auch immer den Leuten die Möglichkeit gibt, der „realen Welt“ für eine Weile zu entkommen. Im Grunde ist das der größte Genuss, den mir die Musik bieten kann.
Ihr habt vor kurzem eine weitere Band namens Lost in Rick’s Wardrobe in mehr oder weniger gleicher Besetzung ins Leben gerufen. Ist das mehr ein Nebenprojekt für Liveshows? Was kannst du uns über die Idee hinter euren Interpretationen alter Folk- und Progressive Rock-Songs berichten?
Es fing so an, dass David und ich während einer Zugfahrt über all unsere Lieblingssongs sprachen, die wir gerne spielen würden. Am Ende der Fahrt hatten wir eine Liste an Liedern und eine Liste von Freunden, von denen wir dachten, dass sie gerne mitmachen würden. So gründeten wir diese Coverband, einfach um unsere Lieblingsstücke zu spielen. Es war absolut fantastisch. Leider hat sich die Band jetzt erst einmal aus diversen Gründen aufgelöst, aber ich hoffe, dass wir bald als Gruppe zurück sind, denn es ist wirklich ein Traum, all deine Lieblingslieder zu spielen, und es hat super funktioniert. Es ist toll, wenn man die Gelegenheit hat, bisschen härteres Zeug zu singen und zu spielen. Es macht mir großen Spaß, Songs zu singen, die etwas mehr Rock’n'Roll sind als meine eigenen. Für viele, die diese Band hören, hätte sich das mit dem Schimpfwort „Folksirene“ wohl schnell erledigt David und ich sind vor kurzem noch zu einer anderen neuen Band beigetreten, sie heißt “Vårt Solsystem” (Unser Sonnensystem) und es sind Mitglieder von Dungen, Life on Earth, Promise and the Monster und andere dabei, wir sind zehn Leute, jeder symbolisiert einen Planeten im System. Wir spielen improvisierte Musik mit den Charakteristiken und Symbolbedeutungen jedes Planeten als Score. Wir fangen mit der Sonne an und arbeiten uns bis zum Pluto durch. Es ist eine fantastische Art, Musik zu machen.
Während euer Bezug zu Gruppen wie The Pentangle oder Mellow Candle offensichtlich ist, scheinen die Aufnahmen von Gentle Giant oder Pink Floyd schon etwas weiter weg von euren eigenen Sachen zu sein…
Ich höre ziemlich verschiedene Arten von Musik, obwohl schon das meiste, was ich in meiner Plattensammlung oder auf meinem MP3-Player habe, Folk-, Prog- oder Psych-Sachen aus den 70ern sind. Ich kann mich aber ebenso sehr in den Song einer Surf-Garage-Band verlieben oder in ein Croner-Stück. Es gibt auch Musik, die ich sehr gerne Live höre, Afro Beat oder Balkanmusik z.B., aber ich höre sie nicht oft zuhause. Bei Sachen, die ich zuhause in meinen Player lege, bin ich schon ziemlich wählerisch, aber nicht wenn ich Sachen draußen irgenwo im Radio oder auf Konzerten höre, ich singe gerne nette Popsongs mit oder irgendwelche dummen 80er-Balladen.
Ein Kritiker vom BBC meinte, euer Album hätte Jahrzehnte früher entstanden sein können. Würdest du deine Musik als zeitlos bezeichnen, oder findest du, dass sie in einer bestimmten musikalischen Tradition verwurzelt ist?
Da ich eine Menge Musik aus den 60ern und 70ern höre ist es nicht verwunderlich, wenn Leute so etwas sagen. Es ist nicht so, dass ich unbedingt will, dass es klingt, als wäre es aus den frühen 70ern, aber ich mag den Klang aus dieser Zeit und so schätze ich, dass meine Einflüsse durchscheinen. Zeitlose Musik… Ich weiß nicht wirklich, was man damit meint. Vielleicht dass wir nicht unbedingt versuchen, modern zu klingen, da keiner von uns den „modernen Sound“ wirklich mag.
Wie war es für euch, mit Roger Wooton zu spielen? War es so etwas wie ein in Erfüllung gehender Traum, eure eigenen Sachen neben Comus-Material aufzuführen?
Es war ziemlich seltsam… nicht wie ein Traum, der in Erfüllung geht, denn es war so surreal, dass du dir nie träumen könntest, dass so etwas passiert. Es war eine große Ehre, die Comus-Songs zu spielen, es war toll und wir hatten viel Spaß, aber es war auch etwas beängstigend. Wir waren sehr nervös und hatten dieses Bild von Roger als jemand, der sehr launisch und furchterregend ist, wir witzelten schon, dass er uns einen Kopf kürzer macht, wenn wir Fehler machen. Er stellte sich als ausgesprochen freundlich und charmant herhaus und wir hatten viel Spaß zusammen. Wir hatten nur einmal spät abends geprobt und spielten dann zwei Shows. Es war ziemlich schwer für mich, die Flötenparts zu lernen, weil ich erst ein halbes Jahr zuvor angefangen hatte, zu spielen, es hatte bisschen was von einem Kamikaze-Projekt, aber ich denke, es lief dann doch ganz gut. Manchmal wenn ich daran danke, muss ich immer noch lachen, denn es war eine wirklich schräge Sache, dass wir wirklich mit Roger Wootton gespielt haben.
Du hast außerdem bei einer Band namens Promise and the Monster mitgewirkt. Wie kam es dazu und was kannst du uns darüber berichten?
Billie (die Person hinter PatM) und ich trafen uns auf einem Festival an Bord eines großen Bootes (das Melloboat-Festival) und kamen ins Gespräch. Ich hatte sie noch mal angeschrieben, nachdem ich sie bereits wegen eines möglichen Konzerts angeschrieben hatte in einem Club, den zwei Freunde und ich betreiben. Sie hatte zweimal abgesagt, aber beim dritten mal sagte sie zu, danach fragte sie mich, ob ich ein paar Gesangspassagen beisteuern würde. Wir spielen nun seit etwa zweieinhalb Jahren zusammen, ich spiele nicht so viel auf ihrem Album, ich bin mehr eine Livemusikerin. Mittlerweile treten wir meistens als Trio auf, Jennie (die wie gesagt auch bei Lisa o Piu mitmacht) und ich singen und spielen Flöte, Glockenspiel, Zither, Schlagzeug und Perkussion. Es macht großen Spaß, ein bisschen hiervon und davon zu spielen, Billie hat oft schon fertige Ideen, wie die Arrangements sein sollen, aber meistens bekommen wir das gute Zeug gemeinsam auf die Reihe. Ich mag die Sachen wirklich und ich hab vom Zusammenspielen mit Billie eine Menge gelernt.
An welchen Vorhaben arbeitest du zur Zeit? Können wir bald wieder mit einem neuen Lisa O Piu-Album rechnen?
Ich helfe gerade bei zwei Sachen, die David aufnimmt (er ist Toningerieur), einmal ist das ein Freund von uns namens Laike, und das andere ist ein Album mit Davids eigenen Songs. Die Sachen sollen irgendwann im Herbst rauskommen.
Ich hab einige Auftritte mit PatM und Vårt Solsytem, aber auch einige mit Lisa o Piu. Ich hab ein paar neue Songs, die wir demnächst aufnehmen wollen, es wird sich also zeigen, ob und wann es demnächst mal ein neues Lisa o Piu-Album geben wird…
(M.G. & U.S.)
Fotos: Gunilla Härefelt, Hanna Wikberg, Wim Meeus