STEVEN SEVERIN: Vampyr

Es ist immer schwierig, einen Soundtrack zu beurteilen, den man nicht direkt im audiovisuellen Werkzusammenhang rezipiert hat, aber im Falle von Karl Theodor Dreyers „Vampyr“, dessen jüngste Vorführungen mit einem neu komponierten Score von Steven Severin versehen waren, habe ich die Geschichte und die Bilder noch recht gut in Erinnerung. Die Story, die unterschiedlichen Angaben zufolge entweder auf vagen Motiven von Joseph Sheridan LeFanu basiert oder (was ich aber etwas übers Knie gebrochen finde) auf dessen Erzählung „Carmilla“, ist vor allem eine Geschichte über das Hereinbrechen des Bösen in die Welt, was u.a. durch eine kontrastreiche Lichtdramaturgie umgesetzt wurde. Die finale Szene in einer Mühle, in der hereinflutendes Sonnenlicht auf tausenden von aufgewirbelten Mehlstaubteilchen reflektierend den Sieg des Guten symbolisch verklärt, zählt in all ihrer (aufgezwungenen) Spießbürgerlichkeit zu den großen Momenten einer Kinoära. Die expressionistischen Schattenspiele einiger dunkler Einstellungen nicht minder.

Severins Filmmusik, die erstmals 2012 in Edinburgh zu hören war und im Rahmen seiner “Music for Silents” an eine Neu-Untermalung von Jean Cocteaus “Blood of a Poet” anschließt, trägt diesem Kontext nur an wenigen Stellen Rechnung und ist eher hintergründig und von impressionistischer Wirkkraft. Vordergründig zumindest wird die Musik den Film nicht besonders stark dominieren, sondern sich über weite Strecken auf eine Rolle als Sekundärmedium bescheiden. Zum Großteil hemelig-unheimlicher Dark-Ambient neigen die Abschnitte, die durchaus als runde “Songs” durchgehen, mal zum dumpfen Dröhnen, mal zu etwas leichterem Auf- und Abebben, was v.a. in Form von Harmoniumpassagen gut funktioniert. Gesamplete Geräusche wie Schritte und vereinzelte Dialogpasagen fügen sich ein.

Der Score emanzipiert sich jedoch nicht nur dadurch, sondern auch in der Wahl der Sounds, denn dort wird jedem Versuch, auf pseudo-authentisches Zeitkolorit zu setzen, eine Absage erteilt. Was hier eine große kreative Stärke sein könnte, entpuppt sich allerdings als eine der Hauptschwächen, denn über weite Strecken bekommt man recht glattgebügelte elektroakustische Entspannungsmusik geboten, die an einigen Stellen auch noch in die dunkle Bonbonbfarbe eines betulichen Dreampop kippt. Ohne die bewegten Bilder stellen sich zudem Längen ein – ob die im Filmzusammenhang aufgehoben sind, und ob die krachigeren Passagen gegen Ende einen interessanten Epochenhybrid darstellen oder doch eher unpassend wirken, könnte ich nur spekulativ beantworten.

Label: Cold Spring