Es gibt sicher eine Reihe an Gründen, von der gegenwärtigen Musik ernüchtert zu sein – es reicht schon aus, in der endlosen Variation bekannter Stile weniger die Vielfalt zu sehen, sondern eher das Inflationäre, die schiere Quantität. Es gibt jedoch ebenso viele Gründe, von Father Murphy begeistert zu sein. Mit ihrer Wucht und ihren ausgefallenen Ideen haben auch die drei Turiner die Musik nicht neu erfunden und ihre Stil-Entwicklung ist keineswegs frei von Referenzen. Sie haben sich aber zwischen vielen bekannten Feldern ein zuvor unentdecktes Terrain erspielt. Bei Father Murphy hat man es nie mit einem bloßen No Wave- oder Postpunk-Revival zu tun, auch wenn der knarrende Bass und Freddie Murphies eindringliche Proklamationen eine Energie der Wut entfesseln, die sich mit Bauhaus-Songs wie „Double Dare“ messen kann. Ihre ausladenden Drumparts und der Gebrauch von Tapeloops bekommen oft das Attribut „experimentell“ verliehen – was in Ordnung ist, und doch sind ihre Kompositionen stets halbe Songs, wenn nicht mehr. Das wichtigste aber ist ein Moment des Geheimnisvollen, eine okkult anmutende Aura, die nur schwer greifbar ist, die sich aber konsequent durch alle Aufnahmen zieht. Sie wären außerdem ein idealer Opener für die Swans.
Nach einem Remixalbum, auf dem Gäste einige Stücke ihres letzten Albums bearbeiten durften, nehmen sie das kreative Entstellen ihrer Musik diesmal selbst in die Hand. Ausgangsmaterial ihrer neuen Tape-Veröffentlichung sind vier Soundtracks, die Father Murphy vor einiger Zeit für den Trickfilmer Luca Dipierro aufgenommen hatten. Man wollte die Filmmusik nicht eins zu eins in den neuen Kontext übertragen und entschied sich für einen Weg, der gleich noch eine Hommage an Dipierro darstellt: Den Cut-Up, das Zerreißen und Zusammensetzen von Soundmaterial nach einem weitgehenden Zufallsprinzip. Was Burroughs dem Rohmaterial seines „Naked Lunch“-Textes noch mit Schere und Kleber angetan hat, ist auch integraler Bestandteil der animierten Kollagen Depierros. Filmische Assoziationen hätte man sicher auch ohne dieses Wissen: Ähnlich Coils „Golden Section“ beginnt der Auftakt mit martialischen Pauken – ideale Musik für einen klassischen Sandalenfilm, und es wäre schon interessant zu erfahren, welche Bilder die Passage in den eher kindlich anmutenden Filmen untermalt.
Klänge dieser Art sind stets erhaben und bedrohlich, und doch transportieren sie meist einen glatten Heroismus, den Father Murphy gekonnt mit rauen Drones zersägen. Sobald diese das Feld übernommen haben, beginnt eine abenteuerliche Folge von Sequenzen, bei der Chaos und Struktur stets in Balance bleiben: Atonale Stimmfragmente und ein perkussives Rasseln und Klappern, bei dem man die Klangquellen nur erraten kann, bilden einen Strudel, aus dem sich von Zeit zu Zeit Rhythmen herausschälen, um postwendend im nächsten Dickicht verloren gehen. Vocals, die an persiflierte Schmerzensschreie erinnern und der Klang einer Bassklarinette sind noch die sichersten Orientierungspunkte in der unheilschwangeren und zugleich orgiastischen Szenerie. Nach einem der abrupten Brüche stellen ekstatische Hi-Hats so etwas wie Rock in Aussicht, und in der Tat wird eine Art Song daraus – vorausgesetzt, man lässt den Begriff für den gemurmelten Singsang und das Rascheln verstimmter Gitarren gelten, das wie aus einem knarrenden Kellerfenster herüberschallt.
Man sollte Father Murphy wünschen, dass sie bleiben was sie sind. Damit ist nicht einmal ihr musikalischer Stil gemeint, dessen größte Konstante sowieso die Variation ist. Father Murphy ist keine dieser hippen Nerdkapellen, die von der Popschickeria hofiert werden, und doch weit attraktiver, als es Kritikerlieblinge und Geheimtipps sind. Das steht ihnen gut zu Gesicht – wer für ihren Zauber empfänglich ist, wird sie finden.
Label: Yerevan Tapes