MUSHROOM’S PATIENCE: Road To Nowhere

Zu den interessantesten Büchern, die vermutlich nie geschrieben werden, zählt die Biografie der Band Mushroom’s Patience, bzw. dessen, was in den 80ern einmal als experimentelle Progband ins Leben gerufen wurde und sich mit den Jahren als ein offenes Kollektiv um Raffaele Cerroni, pardon: Dither Craf, entpuppen sollte. Es wäre ein Buch, dessen Kapitel hier und da abrupt enden. Einmontierte Nebenstränge würden je nach Gusto für Abwechslung oder Verwirrung sorgen, ebenso die wechselhafte Stimmung – mal heiter, oft dunkel, meist aber entspannt und nahezu immer kauzig verdreht. In einem surreal überzeichneten Italien, das den urbanen Schauplatz bildet, tauchen illustre Gestalten auf und verschwinden, reale wie Mercydesign, halb mythische wie Nový Svět. Literarische Figuren wie Sisyphos, der Dulder, und Oblomow, der Verweigerer, wären nie direkt genannt und doch stets geisterhaft präsent.

Eine besondere Zäsur müsste das Kapitel zum Jahr mit der Unglückszahl markieren, denn dort ereignet sich etwas, woran manche trotz Ankündigungen und einer Vielzahl an Arbeiten außer der Reihe nicht mehr geglaubt haben: Craf hat mit Mushroom’s Patience ein reguläres Album herausgebracht, auf richtiger CD und eingespielt mit einer mehrköpfigen Band. Mushroom’s Patience 2013 beinhaltet Beiträge von Musikern, deren sonstige Heimat u.a. Roma Amor und Ballo Delle Castagne ist, und so sehr die einzelnen Beiträge – v.a. stimmlich – viele der Songs prägen, „Road to Nowhere“ ist Mushroom’s Patience vom ersten bis zum letzten Ton.

Das Leben als Reise ins Ungewisse, ziemlich oft wurde dieses Motiv schon in Liedern und Geschichten verwurstet, doch selten mit so viel erdigem Charme, wie ihn Cerroni ausstrahlt, der neben seinem On Way-Ticket nur eine zerlesene Paperback-Ausgabe von Cormac McCarthys Endzeit-Roman „The Road“ in der Tasche hat. Auf einer solchen Reise ist alles nur Vorstufe zur nächsten Vorstufe, und der an Bowie angelehnte Titel des Openers „Station to Station“ unterstreicht dies noch einmal besonders. Sein tremolierender Klang markiert den Hintergrund für gespenstische Dialoge, die im Flüsterton beginnen und irgendwann als Plausch über Schnaps und verschollene Frauenzimmer erkennbar sind. Die Worte stammen aus Herzogs Film „Stroszek“, eine weitere tragikomische Wegmarke des Albums, dessen Haltung irgendwo zwischen verhaltener, doch unverwüstlicher Aufbruchstimmung und abgeklärter, melancholischer Selbstironie pendelt.

Ähnlich wie jüngere Soloarbeiten des John Fahey- und Jack Rose-Fans hat das Album eine leichte „Americana“-Schlagseite. Eine lässige Slideguitar zählt zu den kleinen roten Fäden und gipfelt für Momente sogar in echten Country & Western-Kitsch. Der ist so perfekt geraten, dass man ihn vermutlich für bare Münze nehmen würde, käme er nicht in einem absurden Weihnachtslied vor, zusammen mit infantilem Geschrammel und einem lärmigen Klimpern und Knarzen im Hintergrund. Seltsame Geräusche gibt es zuhauf, und viele Songs enden mit dem rustikalen Klappern und Pusten einer Dampflok. Verhalten noisig geht es auch in dem Sauflied zu Ehren eines „Tracktor Train Orchestra“ zu, das Roma Amor-Chanteuse Euski mit Banjo-Begleitung anstimmt, doch anders als in ihren eigenen Songs ganz ohne liebliche Melodien als Gegenpart.

Mushroom’s Patience gehörten nie wirklich in die bei uns gerne als Italofolk verklärte Ecke, sehr wohl aber einige der neuen Bandmitglieder, was mit ein Grund sein dürfte, dass sich auf „Road to Nowhere“ einiges von der rotweintrunkenen Schwermut dieser Musik findet. Die kann ergriffen ausfallen wie bei Vinz’ (Ballo Delle Castanie) Rezitation in „King’s Return“, dessen wunderschöne Gitarrenmelodie mich außerdem an John Renbourn und Renaissance-Musik erinnert. Andere Stücke klingen moderner und geraten zu schrägem Psych Folk mit futuristischen Momenten (sehr schön “Water #5″ mit Neuzugang Echo Eerie von Collapsing New People) oder blauen Elefanten auf der Analytikercouch – ich könnte mir schlimmere Träume vorstellen als jene, die der Patient in „Memoria Sonica“ zum Besten gibt.

Crafs Werk ist nie etwas für Hörer gewesen, die es griffig und homogen brauchen, und dem typischen Industrial-Konsumenten waren seine Arbeiten nach dem letzten Comeback ohnehin zu frei und windschief, vermutlich hielten es einige für Hippiegeschrammel – Urteile, die auf die Urteilenden zurückfallen, und ich finde nach wie vor, dass Freunde von NWW und Hafler Trio an einigen Alben der mittleren Phase ihre Freude hätten. Momentan dominieren akustische, angefolkte Klänge den Cerroni-Kosmos, doch die Handschrift des Römers ist stets zu erkennen. Schön, dass das immer noch so ist. (U.S.)

Label: Klanggalerie/SPQR