Im Berliner Musikzirkus gibt es bekanntlich zahllose Bands, die auf der Retro-Schiene fahren, hybride Stilkombinationen wagen, mit Goth kokettieren, und wenn man ein bisschen recherchiert, erfährt man, dass die Mitglieder nebenbei Kunst und Theater machen, beim Film sind oder in der Bar nebenan auflegen. Das übliche, und es wurde so oft kommentiert, dass es fast schon wieder egal ist. Begegnet man Noblesse Oblige in dem Kontext, könnte man sie vielleicht auch in dieser langsam etwas Staub ansetzenden Bohème einordnen, doch so einfach kommt man damit nicht durch. Ich meine nicht einmal, dass sie etwas bekannter sind (prominente Tags sind Lydia Lunch oder The Irrepressibles via gemeinsamer Konzerte), sondern dass sie es v.a. nicht nur innerhalb des Ringbahnzirkels der unbegrenzten Möglichkeiten sind. Außerhalb gilt das deutsch-französische Duo, dessen Karriere in London begann, nach wie vor als „englische Band“.
Viel interessanter noch ist, dass Valérie und Sebastian, die charismatische „Femme Facade“ und der Mann an den Reglern, keine geringeren als Soft Cell beerbt haben. Sie sind die einzige Band aus dem angesagten „New Wave of New Wave“-Spektrum, der man das bescheinigen darf, was so ehrenhaft ist, dass die Frage, ob das überhaupt beabsichtigt war, sekundär erscheint. Die Mischung aus Electro, Black Music und einer Folklore mit dem Mut zum schwülstigen Torch Song, eine Performance, bei der Varieté und Voodoo zusammenkommen und letztlich ein Spiel mit Karibik-Klischees, die auf fast nostalgische Art unkorrekt sind – all das ist, bewusst oder nicht, ein Echo vor allem des frühen Marc Almond und lässt sich nur schwer verhipstern, es sei denn man bricht es nach Witch House-Manier auf flapsige Coolness herunter. Solchen Discount-Attitüden setzen die beiden eine Ernsthaftigkeit entgegen, die Raum hat für subtile Ironie und provokanten Humor.
Alle N.O.-Alben haben ihr eigenes Flair, es gab forsche Elektronik und geheimnissvolle Mystik und jedes Werk weckt seine typischen Assoziationen. Ihr jüngster Longplayer „Affair of the Heart“ ist professioneller, aber auch poppiger als alles bisher geschaffene, und wird polarisieren. Mit hochkarätiger Unterstützung im Studio entstand ein emotional facettenreiches Werk, das allerdings ein paar Ecken und Kanten mehr vertragen hätte. Mit „Mata Hari“ ist man gleich mitten im Emotionsgetümmel, schwüle, orientalische Erotik breitet sich über einem filigran gestalteten Klangbild aus. Das ist durchaus reizvoll, doch die allzu radiotaugliche Single „Runaway“, die darauf folgt, erinnert stellenweise an die zahlreichen Depeche Mode-Fans, die in den 90ern via Synthie-Schlager gegen die musikalische Weiterentwicklung ihrer Idole protestierten. Vielleicht wird es ihr populärster Song, mich erreicht er allerdings weniger.
Die gute Nachricht ist, dass alle folgenden Stücke vergleichsweise edgy sind, und dass einige herausragende Momente auch Hörer versöhnen sollten, die sich mit dem neuen Kurs nur bedingt anfreunden. Mit dem trotz anrührender Vocals sehr straighten „Burn“ zeigen sie, dass Sternchen wie Grimes sich des Blondie-Erbes nicht allzu sicher sein sollten, und einige Songs funktionieren dann auch ganz ohne Namedropping. „Chasing Shadows“ ist der größte Ohrwurm der Platte: Bei der euphorischen Melodie und den nur vordergründig traurigen Versen über die Angst vor der Leere mag man für dreieinhalb Minuten an den wahren Kern all der stereotypen Gefühle glauben, die man aus zahllosen Songs und Filmen kennt. Aus dem Rahmen fallen die Ballade „Seventh Wave“ und das französisch gesungene „Vagabonde“, und weil Namedropping doch irgendwie Spaß macht, kommen jetzt noch die Eagles und Kraftwerk dran: Beim lasziven „Hotel California“-Cover meint man gegen Ende fast „Das Model“ um die Ecke flanieren zu sehen, und wie zur Bestätigung klingt die Platte dann auch mit einem analogen Gassenhauer aus.
Ich bin zwiegespalten: Trotz all der genannten Stärken in der Waagschale stört mich vermutlich gerade das, was dem Duo mehr Zuspruch bescheren wird: Ich mag sie kantiger, provokativer, unberechnebarer, mit einem etwas weniger elaborierten Sound. Aber wer weiß, Antony ließ nach dem viel zu glatt klingenden „The Crying Light“ ein vergleichsweise experimentelles Album folgen. Das müsse N.O. nicht einmal, aber es gibt auch hier genügend Potential, dass man die Hoffnung nicht aufgeben muss. (U.S.)
Label: Repo Records