HERMANN KOPP: Zyanidanger

Als im Jahr 2008 das Album „Under a Demon’s Mask“ von Hermann Kopp auf Galakthorrö veröffentlicht wurde, verwiesen die Referenzpunkte (u.a. Huysmans und Bataille) auf sein Interesse an der Transgression und auch schon seine Arbeiten an drei (von vier) Langfilmen Jörg Buttgereits machten deutlich, dass Kopp sich gerne dem Abseitigen, Morbiden, Heterogenen (Bataille) widmete. Das zweisprachige Portmanteauwort, das dem neuen Album seinen Titel gibt, macht das erneut deutlich. Inspiriert wurde „Zyanidanger“ von dem im 19. Jahrhundert veröffentlichten Werk Die Geschichte der Chemie des deutschen Chemikers, mit dem der Künstler seinen Namen teilt und das in Braunschweig veröffentlicht wurde. Koinzidenzen überall.

Laut Booklet verweist der Begriff „Black Chemistry“ – ein Stück gleichen Namens ist auf dem Album vertreten – auf eine Zeit, als (wissenschaftliche) Experimente noch als Ketzerei betrachtet werden konnten und als Wissen und Formeln kodiert waren und entziffert werden mussten.

Musikalisch steht meistens Kopps elektrische Geige im Zentrum. Als William Breeze Ende der 90er Coil bei einigen Aufnahmen unterstütze, so sorgte seine E-Geige für einen warmen, organischen Klang, Kopp hingegen lässt – wie schon früher – sein Instrument immer bewusst am Rande der Dissonanz spielen, wie etwa beim Opener „An die Chemie“ oder aber auf „Raven’s Head“. Insofern erinnert das, was er (schon lange)  macht, eher an das leicht atonale Streicherspiel von D. Smolken. Die Stücke haben dadurch (und auch bedingt durch die Produktion) etwas Archaisches. Man meint, die Aufnahmen seien in einem Haus entstanden, in dem Roderick Usher gleich um die Ecke schaut. Auf „Jabir Ibn Hayyan“ werden neben Streichern auch Piano und seltsame Geräusche eingesetzt, die an den legendären Trailer erinnern, mit dem vor vielen Jahren das ZDF seine phantastischen Filme einleitete. Auf „Mutus“ dominiert das Piano, das den sakralen Gesang Kopps untermalt, der einen lateinischen Text des böhmischen Mönches Johann von Tetzen vorträgt. „So bin ich Gift und bleibe Gift “ flüstert Kopp auf „Arsenicum“ (damit den im 15. Jahrhundert lebenden Alchemisten Basilius Valentinus zitierend) und man glaubt ihm das sofort. Auf „Tabula“ spricht Dorothee Schwarz einen Text, während im Hintergrund die Geige stöhnt und ächzt. Einen Moment der Melancholie bietet „Gas hinter Glas“. Abgeschlossen wird das Album von „The Gold Bug“, basierend auf Poes Kurzgeschichte gleichen Namens, aus der Kopp mit teils verfremdeter Stimme zitiert. Thematisch passt das durchaus zum Rest des Albums, geht es doch in Poes Text (auch) um das Entziffern, das Dekodieren, wird hier Poes Interesse an Kryptogrammen virulent.

Verglichen mit dem Vorgänger klingt „Zyanidanger“ in sich geschlossener. Auf seiner Website spricht Kopp von seiner Musik als „Haunting sounds for extreme visions“ und das ist sicher eine angemessene Beschreibung. Ebenso könnte man auch aus einer Geschichte des „Einsiedlers von Providence“ zitieren: „I heard the shrieking viol swell into a chaotic babel of sound; a pandemonium which would have led me to doubt my own shaking sanity“. Großartige Platte.

M.G.

Label: Galakthorrö