Lloyd James von Naevus hat eine angenehme Stimme und wenn es sein muss auch ein Händchen für schöne Melodien. Wahrscheinlich verstören seine Songs deshalb niemals direkt, auch wenn die Musik stets das Gefühl vermittelt, von etwas Ernstem, mitunter Drastischem zu künden. Erst mit der Zeit registriert man, dass die eingängigen Stücke einen doppelten Boden haben. Heterogene Elemente harmonieren nie ganz miteinander, oft wirken die Drums wie Versatzstücke einer Kollage, die dem Gesang und den restlichen Spuren kurzerhand aufgeklebt wurden. In die Melodik schleicht sich immer wieder eine Verweigerungshaltung ein, die dem Wohlklang eine spröde Monotonie entgegenhält. Den Songtexten mag oft ein Element von Trost innewohnen, und doch künden sie nicht selten von Sackgassen. Der Bandname, den James zusammen mit seiner früheren Partnerin Joanne Owen wählte, passt ganz gut zu dieser Doppelbödigkeit, verweist er doch auf etwas Unangenehmes, das auf den ersten Blick so unscheinbar wirkt wie der eigene Klang.
In vielen Naevus-Rezensionen geht es um Aspekte der stilistischen Einordnung, konkreter um die Frage, ob die Musik nun zur weiten Welt der Postpunk-Retromanie zählt oder doch eher einer eigenwilligen Spielart des Folk entspricht. Schon weil man beides zugleich bejahen und verneinen kann wirken solche Fragen immer etwas langweilig. Und doch gibt es bei Naevus bestimmte Songtypen, deren Abgrenzung sich zum Großteil entlang solcher Stilfragen abzeichnet. Das kann man ganz gut anhand einer respektablen Werkschau aufzeigen, die vor kurzem unter dem bezeichnenden Titel “Stations” erschienen ist. “Stations” ist keine Best-of, auch wenn die Band nach fünfzehn Jahren und sieben Alben im adäquaten Alter dafür wäre, sondern eine Sammlung fast aller Tracks, die nicht auf Alben, sondern auf Compilations, Singles oder Split-Veröffentlichungen erschienen sind, ergänzt von einigen unveröffentlichten Aufnahmen.
Wollte man Naevus-Songs nun in Schubladen packen, müsste man Akustiksongs von solchen mit aggressivem Punkverve unterscheiden, eine weitere Kategorie würden schunkelige Seemannslieder mit Akkordeon bilden, eine kleinere zuguterletzt wären soundscapeartige Experimentalstücke. Schematisch wäre das, weil die Songs solchen Kategorien nur selten in Reinform entsprechen, so beginnt “The Orchard” mit sanftem Folkpathos, um irgendwann kurzerhand den Schauplatz zu wechseln: Was im beschaulichen Obstgarten beginnt endet in einen düsteren Gothkeller der verwahrlosten Metropole. Auch die Urversion von “Body Speaks in Tongues” ist bloß dann ein netter Folksong, wenn man sich das atonale Quietschen und Jaulen wegdenkt, bei dem neueren „Oracle, Oracle“ zerstört noisiges Gitarrenfeedback jeden Gedanken an einen Ohrwurm. Freilich gibt es auch lupenreine Songwriterballaden, doch alle warten mit ihren eigenen Extras auf: das hier als Titelstück fungierende „Stations“ mit einem whiskeyseligen Honky Tonk-Piano, „Untold“ mit stimmungsvollen Surf-Twangs oder „Kill deep“ aus der rauen Frühzeit mit ritueller Repetition.
Durch Joannes Akkordeon bekommen einige Stücke einen starken Sea Shanty-Charakter, exemplarisch hervorgehoben seien hier das frühe „Torn Wheat Deap“ oder „Recovery is not Permitted“ von der Split-EP mit Spiritual Front. Für viele sind sie das Sahnehäubchen der Bandkarriere, ich persönlich bevorzuge allerdings die härteren, agressiveren Stücke mit der oft leicht atonalen Handschrift der Drummer John Murphy und Hunter Barr. „Occasion Table“, ursprünglich auf einem musikalisch durchwachsenen Sampler erschienen, ist auch hier eines der Highlights und verbindet Noise mit einer rumpeliger Perkussion, die einer ganze Reihe an Stücken ihren Stempel verpasst. Gallopierende, fast westernartige Stücke sind nicht das, was man als erstes mit Naevus in Verbindung bringt, umso mehr mag das neuere Uptempo-Stück “The Beast” all die überraschen, die „The Devil“ vom Split mit KnifeLadder noch nicht kannten.
James hatte stets ein Faible für Neuinterpretationen, und so bilden Coverversionen eine Kategorie für sich. Auf der limitierten Bonus-CD „Others“ sind sämtliche Cover, meist Beiträge zu Tribute-Samplern, zusammengetragen. James nimmt auch die Herausforderung an, große Namen zu covern, und zum Teil handelt es sich dabei um Songs, denen man nicht einfach im Handumdrehen eine neue Gestalt verleiht. Die eigenständige Interpretation (und Übersetzung) von Ain Sophs „Uomini Perduti“ oder die nur subtil veränderte Version von Tom Waits’ „Walking Spanish“ sind jedoch mehr als gelungen, ebenso die im Rahmen seines Seitenprojektes Retarder aufgenommene Akustikversion von Fine Young Cannibals’ „Johnny Come Home“. Zwei Scott Walker-Songs und eine Hommage an die seit Jahren überschätzten Joy Division dagegen betrachte ich als solide Fingerübungen. Neben einigen Traditionals und einer Umsetzung von Sol Invictus’ “Oh What Fun” (bei der das Wort „Fun“ mit einer äußerst ironisch wirkenden Langsamkeit kontrastiert) stechen ein paar Songs über grausame Mädchen und feistes Essen hervor, die aus dem Repertoire von James Freund David E. Williams stammen.
Naevus ist durchaus eine Art Konsensband, insofern, dass sie Hörer ansprechen könnten, die klassischen World Serpent-Neofolk ebenso gemocht haben wie New Model Army, Echo and the Bunnymen oder die Smiths. Wären sie frühzeitig bei einem hippen Label gelandet, wäre zuletzt weit weniger Wind um Gruppen wie Cult of Youth gemacht worden. „Stations“ und „Others“ dürften sich zum Kennenlernen der Band eignen, da viele Songs den Albumtracks in nichts nachstehen.
Label: Tourette