SHARRON KRAUS & HARRIET EARIS: Winter Songs, Caneuon Y Gaeaf

Sharron Kraus, die ursprünglich aus Oxfordshire stammt, verdankt ihr Wissen über traditionelle Musik auch ihrer Leidenschaft für das Reisen. Allerdings ist sie keineswegs eine Vagabundin, die an den jeweiligen Orten nur als Gast ihre Zelte aufschlägt, um alsbald wieder in neue Richtungen aufzubrechen. Gerne lebt sie in den Gegenden ihrer Wahl etwas länger, schlägt vorübergehend Wurzeln und nimmt sich die Zeit, Freundschaften zu schließen und etwas tiefer in die lokale Folkmusik einzutauchen. Zwar ist sie primär auf das Angelsächsische fokussiert, doch immerhin schließt das zwei Seiten eines Ozeans ein, weshalb ihre Musik britische und amerikanische Bezüge aufweist. In den letzten Jahren lebte sie in Wales, in einem Ort namens Ysbyty Cynfyn nahe der Stadt Aberystwyth – eine Gegend, die mit all ihren Klängen, Stimmungen und zungenbrecherischen Ortsnamen deutliche Spuren in ihren Aufnahmen hinterlassen hat.

Hier lernte sie auch die Harfenistin Harriet Earis kennen, deren Werk mir erst seit kurzem bekannt ist, die in der „seriösen“ Folkszene allerdings schon zu Anerkennung gelangt ist. Da beide gute Kontakte zum örtlichen Vikar hatten, ergab sich vor zwei Jahren die Gelegenheit eines kleinen Weihnachtskonzertes in der Dorfkirche. Dargeboten wurde eine Auswahl an englischen und walisischen Christmas Carols und anderer Lieder, die meist aus dem Repertoire einfacher Balladen und Folksongs stammten. Da das Programm gut beim einheimischen Publikum ankam, wurde daraus eine regelmäßige Veranstaltung, und mittlerweile liegt auch eine Aufnahme mit den beliebtesten Stücken vor.

Aus einem etwas klischeehaften Blickwinkel betrachtet klingt die Musik der beiden so, wie vielleicht Loreena McKennitt klingen würde, wäre ihre Musik nicht auf große Konzerthallen zugeschnitten und für populäre Fantasyfilme prädestiniert. Krauss und Earis machen etwas, das fernab des bürgelichen Spektakels existiert, weswegen die Musik nicht nur etwas ungeschliffener, sondern auch dezent und introvertiert klingt. Trotzdem breiten die beiden eine beachtliche Stimmungspalette aus: Das Wehmütige, das vielen britischen Folksongs zueigen ist und ihrer Tradition schon immer ein romantisches Image verliehen hat, findet sich auch in vielen weihnachtlichen Songs, so als wollten sie bereits auf musikalischer Ebene kundtun, dass ihre Botschaft nicht einfach eine frohe ist, sondern auch vom Ringen der Seele handelt, um deren Erlösung es geht.

„Down in the Forest“ ist so ein Beispiel, ein Traditional, dessen Geschichte sich bis ins 15. Jahrhundert zurückverfolgen lässt – fast beiläufig, doch nicht minder ernst wird der dramatische Inhalt hier wiedergegeben, und die locker gespannten Gitarrensaiten scheinen die fragile Stimmung auf dem Grad zwischen dem Heimeligen und dem Unbehaglichen zu untermauern. Unter musikalischem Zuckerguss wäre dieser ambivalente Zug sicher untergegangen. Der ernste, kontemplative Tonfall findet sich ebenso in einigen der zahlreichen Instrumentalstücke wie dem walisischen Tune „Breuddwyd Dafydd Rhys“, das mir das Blake’sche Diktum „Freuden lachen nicht“ in Erinnerung ruft.

Die besinnliche Melodie ist allerdings der Auftakt zu einem schwungvollen Medley, dessen Herzstück „Hoffedd Tom Manaw“ von leichthändigem Harfenspiel und einer lebhaften Flöte in Bewegung gehalten wird. Viele der Instrumentals wirken wie kurze Interludien – mit glasklarem Saitenspiel und erdigem Dröhnen sorgen sie für eine stimmungsvolle Kulisse, vor der Kraus’ Gesang auch einige der frohsinnigeren Stücke mit Inhalt füllt. „To Shorten Winter’s Sadness“ und das Neujahrslied „Deck the Halls“ zeigen ihre immer leicht nasale Stimme von der aufgewecktesten Seite, während Earis Hände immer lebhafter über ihr Instrument fliegen. Dass die Musik niemals ins allzu Süßliche abgleiten, macht auch diese Stücke so überzeugend. Wie sehr all dies in Kraus’ Fall auch mit ihrem eher laizistischen Religionsverständnis zusammenhängen mag, muss Spekulation bleiben.

Ein gelungenes Duett, dass wieder einmal schmerzlich bewusst macht, wie sehr die akademische Folkgeschichtsschreibung hinter den jüngeren Enticklungen herhinkt und bei aller Restriktion auf Spektaküläres und Biederes nicht einmal die Hipsterphänomene würdigt – von den lebendigen Grass Roots ganz zu schweigen.

Vertrieb: Sharron Kraus / Harriett Earis